5.5. Die Balalaika - Hybride aus Tanbur und Psalterium
T A N B U R + G U S L I = B A L A L A I K A
" Fühlst du nicht an meinen Liedern,
daß ich Eins und doppelt bin? "
( Johann Wolfgang v. Goethe, West-östlicher Diwan )
Das Zitat stammt aus Goethes Gedichtssammlung West-östlicher Divan (1819). Sie ist durch die Werke des persischen Dichters Hafis inspiriert und steht ganz in der Tradition der persisch-abendländischen Kulturzusammenführung, die durch Alexander den Großen 321 v. Chr. begonnen hat.
Die oben zitierten Zeilen sind bezogen auf die Blattform des Gingko biloba.
Nun können aber Gingkoblätter nicht singen. Deshalb treffen Goethes Worte viel passender auf die "west-östliche" Balalaika zu, in deren Brust - um weiter mit Goethe zu sprechen - zwei Seelen wohnen.
Von der östlichen persischen Seele der Balalaika, der Tanbur, und der griechischen westlichen Seele, dem Psalterium, wurde schon viel auf dieser Homepage geschrieben.
"Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust ... ", läßt Goethe in Faust I vor dem Tor sprechen. Anders als bei Goethe wollen aber bei der Balalaika ihre zwei Seelen (Tanbur und Gusli) nicht auseinander streben, sondern sie bleiben verbunden und sind untrennbar aufs innigste miteinander vereint:
"Fühlst du es nicht an meinen Liedern?"
Tanbur-Laute und Gusli vereinen sich
Wir erinnern uns: die "Ur-Balalaika" (die Tanbur/Dombra-Laute) war ein Zupfinstrument mit langem Hals, 2 Saiten und einem kleinen Korpus aus Kürbis oder Holz. Der Korpus war rund, oval, schaufelförmig.
Diese B a l a l a i k a wurde immer populärer und gewann immer mehr an Beliebtheit - sowohl als Begleit-Instrument zum Gesang und Tanz als auch als Melodieinstrument.
Das gilt für beide Bauarten der Balalaika: Kürbis (Tykva) und Holz (Derevo).
Es scheint so, als daß die h o l z geschnitzte Balalaika im Norden Russlands heimisch war (Birkenwälder), die Kürbis-Balalaika im Süden Russlands und in der Ukraine (Kürbisanbau).
Diese Balalaika war - egal, ob aus Holz oder Kürbis - ein Schalenhals-Instrument
mit ovalem oder rundem Klangkörper (Kürbisschale, Holzschale). Diese Halslaute war viel einfacher herzustellen als die Brettzither, die Gusli. Diese mußte aus verschiedenen Holzteilen gezimmert werden, und es waren auf ihr viele teure Saiten aufzuziehen, die zudem immer wieder eine Nachstimmung verlangten.
Für den Bau einer Gusli brauchte man eine überdurchschnittliches handwerkliches Geschick. Die kleine Gusli, die Kantele, wurde wie die Schaufel-Balalaika und der Gudok (kleine Kurzhalsgeige) aus einer Birke herausgeschnitzt. Das russische Volkslied "Wo polje" berichtet nur von Balalaika und Gudok. Der Bau einer Kantele war wohl doch für das Mädchen zu schwierig.
Eine Balalaika war in der Herstellung einfach: man benötigte nur einen getrockneten Kürbis oder ein Holzstück, ein Schnitzmesser und 2 Saiten (später 3 Saiten), die über den Korpus und den daran befestigten Hals gespannt wurden.
Eine 2-saitige Balalaika mit 5 diatonischen Bünden ersetzt eine 9-saitige Gusli
Auf den 2 Saiten der Balalaika konnte man durch Greifen, d.h. durch Verkürzen der Saiten, genau so viel Töne erzeugen wie auf einer Gusli mit einer Vielzahl von Saiten. Das war möglich durch Bünde, die um den Instrumentenhals "gebunden" (daher der Name) wurden.
Eine 9-saitige Gusli konnte so ersetzt werden durch eine Balalaika
mit 2 Saiten und 5 diatonisch gesetzten Bünden.
Beispiel: 5 Bünde diatonisch
Eine in Quarten gestimmte Balalaika ( e´ - a´ ) mit 5 diatonisch gesetzten Bünden erzeugt neun verschiedene Töne: sie hat einen Tonumfang von 1 Oktave plus einem Ganzton.
(z.B. bei der Dur-Stimmung: e - fis - gis - a - h - cis - d - e - fis)
Das bedeutet: eine zweisaitige diatonische Balalaika ersetzt eine 9-saitige Gusli.
Pentatonische Stimmung:
Bei pentatonischer Stimmung, die einen großen Abstand zwischen 1. und 2. Bund aufweist (es sind 3 Halbtöne = kleine Terz, "Moll-Terz"), ergibt sich ein Tonumfang von 8 Tönen.: e - fis - a - h - cis - d - e - fis )
Die Balalaika mit ihren 2Saiten ließ sich viel einfacher stimmen als die 9 Saiten der Gusli. Was ebenfalls wichtig war:
die 2-saitige Balalaika brauchte nur 2 Wirbel für ihre Saiten;
für die Gusli mit gleichem Tonvorrat mußten 9 Wirbel geschnitzt werden.
Die Balalaika bot also viele Vorteile und war preiswerter in der Anschaffung.
Altes Volksinstrument mit "russischem Klang": die Gusli
Es gab nur ein Manko: diese Balalaika mit ihrem ovalen oder paddelförmigen Korpus klang zu wenig "russisch". Der "russische Klang" war seit dem 12. Jahrhundert durch ein anderes russisches Instrument geprägt:
das Psalterium, die Gusli, eine Flachkasten-Zither.
Die Schalenkorpus-Balalaika, die aus Kürbis oder aus einem Holzstück gefertigt war, war ein Instrument mit sehr dünnem Klang. Es fehlte ihr das Klangvolumen und die vertraute Klangfarbe der russischen dreieckigen bzw. trapezförmigen Gusli, deren Resonanzdecke eine größere Fläche aufwies als die kleine Balalaika.
Von der kleinen Gusli zur großen Gusli
Anfangs war die Gusli auch sehr klein. Bei der finnisch/nordrussischen Kantele
behalf man sich, indem man auf den kleinen Instrumentenkörper ein großes Resonanzbrett aufsetzte. Das Resonanzbrett, meist in Form eines Flügels mit geschweiftem Formverlauf, stand weit über den Rand des Guslikastens über. In der Gusli-Entwicklung selber gab es also den Drang zu einer großen Form. Die Helm-Gusli schließlich fand zur Form eines großen symmetrischen Dreiecks bzw. Trapezes bzw. Halbkreises.
Von der kleinen Balalaika zur großen Balalaika
Die Balalaika schloß sich dieser Entwicklung an. Sie orientierte sich an der Gusli:
sie vergrößerte sich und wurde dreieckiger.
Der kleine runde, ovale bis schaufelförmige Schalenkörper der Balalaika wurde zur Form der Gusli umgestaltet: zum Dreieck. Bei der Kürbis-Balalaika war dies technisch nicht möglich (Kürbisse wachsen nicht in dreieckiger Form), bei der Holz-Balalaika aber konnte eine Dreiecksform ohne Probleme hergestellt werden.
Durch das instrumentenbauerische Geschick und das handwerkliche Können des Instrumentenbauers wurden schaliger Korpus und dreieckige Gusli-Deckenform miteinander kombiniert: es entstand die Hybridform der heutigen Balalaika.
Es entstand eine Balalaika, die auf gleiche Art spielbar war wie die alte Kürbis-oder Holztrog-Balalaika. Ihr Klang aber erinnerte wegen der Dreiecksform der Decke an den vertrauten Klang der volkstümlichen russischen Gusli.
Das Balalaika-Dreieck ist im Grunde kein geometrisch exaktes Dreieck: es hat gerundete Seiten und tendiert zu einem Halbkreis.
Diese Form der Balalaika war alt-vertraut: sie ähnelte sehr stark dem gerundeten Dreiecks-Korpus der Gusli. Die Gusli, die russische Zither, präsentiert sich in zwei Variationen: Trapez und Halbkreis.
Die Halbkreis-Gusli kann zwei Formen annehmen: Glocke und Halbrund-Helm
Besonders die letztgenannte Form wurde in Russland sehr beliebt: die Schlemowidnyje gusli.
Ihre Rundhelmform ist in der Andrejew-Balalaika zu entdecken. Allerdings mußte wegen des notwendigen Halsansatzes der Balalaika der Halbrund-Helm zum Spitzhelm abgewandelt werden.
Zusammenfassung:
Einen aus der Lautenhistorie sich ergebenden Formzwang, den Korpus der Balalaika dreieckig zu gestalten, gab es nicht. Die "Kürbishistorie" der Balalaika legt eher einen runden bis birnenfürmigen Korpus nahe, denn Kürbisse wachsen nicht dreieckig.
Auch eine physikalisch-funktionale Notwendigkeit, die einen Dreieckskorpus nahe gelegt hätte, gab es nicht: Die Balalaika als Laute besaß kein dreieckiges Saitenfeld. Anders die Gusli.
Die Notwendigkeit zur Schaffung eines Dreiecks-Korpus ergab sich aus dem Wunsch, eine wie eine Gusli klingende Laute zu schaffen. Andrejew, der - wie die Quellen bezeugen - auch die Gusli gut studiert hat, verhalf der Balalaika-Laute 1883 zu einem großen Dreiecks-Korpus. Wer diese Balalaika in den Händen hielt, hielt fast schon eine richtige russische Gusli in den Händen - eine Gusli mit Hals.
Tanbur + Gusli = Balalaika
Aus der persischen Langhalslaute "Tanbur" und dem persischen Psalterium "Santur", entstand in einem langen Entwicklungsprozess die heutige russische Balalaika:
als dreisaitige Langhalslaute mit großem dreieckigem Korpus.
Nachtrag: Das Psalterium, obwohl in Westeuropa und Byzanz verbreitet, stammt aus Persien. Es hatte die Form eines breiten symmetrischen Trapezes, seine Saiten wurden aber nicht gezupft, sondern mit Hämmern angeschlagen. Der Persische Name lautete "Santur" (wohl erst seit Alexander dem Großen so genannt, denn "Santur" leitet sich ab vom griechischen "Psalterion")
Die Gusli-Proportion:
Das Verhältnis der Saitenlänge zur Breite des Instruments = 1 : 1
Die Balalaika folgt - obwohl von ihrer Bauart her überhaupt nicht notwendig, der Gusli-Regel. Diese Regel, die - angewandt auf die Gusli und alle Zithern - eine Selbstverständlichkeit ist, lautet:
Die B r e i t e
der Gusli wird durch
die L ä n g e
ihrer längsten Saite bestimmt.
Die Gusli (in Dreiecks-, Trapez-, Halbrundform) wird beim Spielen so gehalten, daß ihre Saiten q u e r zum Körper des Spielers verlaufen. Beim Banduraspiel verlaufen die Saiten l ä n g s. Die Gusli wird so gehalten, daß ihre längste (die tiefste) Saite sich unten, in Knienähe des Spielers befindet, die hohe Saite oben in Brustnähe.
Die Gusli-Regel ist eine banale Regel: natürlich muß die Korpusbreite der Gusli nach der längsten Saite bemessen sein.
Bei der Balalaika sind die Saiten nicht quer über den Korpus gespannt, sondern verlaufen der Länge nach. Mensur und Korpusbreite haben nichts miteinander zu tun. Und dennoch wurde die Gusliregel auf die Balalaika angewandt.
(Die Balalaika kann eben doch ihre Guslibezogenheit nicht leugnen: sie besitzt "Guslisaiten".) Das bedeutet:
Eine Balalaika mit der Mensur von 43 cm ( ca. 17 Zoll) tendiert zu einer Korpusbreite von ebenfalls 43 cm (+/-). Die meisten der heute gebauten Balalaiken wenden die Gusli-Regel an.
Der Balalaika-Korpus nach dem Maß der Gusli
Vielleicht ist dieses Gusli-Maß Zufall, aber mir scheint, daß es von Andrejew beabsichtigt ist. Der Balalaika-Korpus ist eine Gusli. Die Breite des Korpus bestimmt die Mensur, auch wenn die Seite nicht quer über dem Korpus verläuft.
Der Klang der Gusli mit ihrem dreieckigen Korpus war seit dem 12.Jahrhundert in Russland das "Maß aller Dinge", was die Musik betrifft. Der Guslispieler Sadko hat diesen Maßstab gesetzt. Wenn die Balalaika ebenso die Herzen der Zuhörer erreichen wollte, mußte sie an der Gusli - im allerwörtlichen Sinne "Maß nehmen".
Die heutige Balalaika: eine Tanbur/Gusli - Hybride:
So entstand ein neues Instrument, ein Hybrid-Instrument, bestehend aus alter Balalaika ( = Tanbur ) und alter Gusli: die neue Balalaika, ein Lauten-instrument mit dem vertrauten Kastenklang der alten Gusli.
Die Balalaika ist ein Hals-Psalterium. Aber nicht so, dass einfach an einen Dreiecks-Psalter ein Hals angesetzt wurde ( nach Art der Selbstbau-Balalaika
in diversen Bastelkursen), sondern so, daß der Korpus in sich wieder eine Hybride zwischen 2 Formen darstellt: Schale und Kasten.
Am Halsansatz ist der Balalaikakorpus eine Schale, zum Hinterbrett (Sadinka)
hin entwickelt er sich - mehr oder weniger - zum Kasten.
Die Passerbski-Bauart tendiert mehr zum Gusli - K a s t e n , die Nalimow-Bauart (mit spitzem Kiel) orientiert sich mehr an der S c h a l e n - Halslaute.
Die Hybridform der Balalaika wurde in der Zeit v o r 1883 von einem
( oder mehreren) unbekannten Musikinstrumentenbauer(n) entwickelt, von Andrejew weiterentwickelt und hat sich heute auf breiter Front durchgesetzt. Diese Balalaika, die eigentlich ein "schalenförmiges Hals-Psalterium"
ist, wurde zu der uns heute bekannten Balalaika.
Die Gusli-Merkmale der Balalaika
Neben der Dreiecksform der Decke gibt es bei vielen Balalaiken noch 2 weitere Merkmale der Gusli-Verwandschaft:
1. parallel zur Decke verlaufender Mittelspan,
2. fast senkrecht stehende Seitenspäne = Kastenzargen
3.8.1 Der Hals-Fuß ( Pjatka )
Die meisten Balalaiken haben heute einen befußten Hals. - Was heißt das?
Dort, wo der Hals der Balalaika am Korpus angeleimt ist, besitzt der Hals eine Verbreiterung in der Oben-Unten-Dimension in der Form eines Fußes.
Schalenhalslauten (wie die persische Tanbur, die italienische Mandoline oder die ukrainische halbkuglige Domra) besitzen keine solche Verbreiterung im Hals/Korpus-Übergang.
Dient der Fuß dazu, mit seiner größeren Leimungsfläche die starken Zugkräfte zu kompensieren, die durch die Spannung der Saiten entstehen?
Eine Mandoline hat 8 Saiten und deshalb eine viel höhere Saitenspannung als eine dreisaitige Balalaika. Trotzdem hat sie keinen verstärkten Hals im Bereich des Übergangs Hals/Korpus. Und es ist auch nicht bekannt, daß bei italienischen Mandolinen dauernd die Hälse abbrechen.
Halsfuß = Merkmal der Kastenhalsinstrumente
Der Halsfuß weist immer darauf hin, daß hier ein Hals mit einer K a s t e n-Laute verbunden ist. Die meisten Schalenkorpuslauten haben keinen Halsfuß: hier geht die Rundung der Schale allmählich in den Hals über.
Beispiel: Die italienische Rundbauchmandoline (genannt "Kartoffelkäfer"). Sie besitzt einen Schalenkorpus und hat keinen Halsfuß.
Dagegen die portugiesische Flachbauch-Mandoline: Sie hat regelmäßig einen Halsfuß. Die portugiesische Mandoline ist wie die Geige ein reines Kastenhalsinstrument. Ihre breite umlaufender Zarge muß durch ein Übergangsstück an die geringe Halsstärke angeglichen werden. Dazu dient der Halsfuß.
Der Hals-Fuß ist ein Merkmal der Kastenhals-Instrumente.
Ausnahmen gibt es immer: die ukrainische Domra, obwohl sie eine reine halbkuglige Schale besitzt, verwendet dennoch einen gefußten Hals, weil aus Stabilitätsgründen ihr Halbkugelkorpus am Halsansatz "abgeschnitten" ist.
Die Gusli ist ein Kasten... Und die Balalaika ?
Bei der Balalaika aber liegt die Sache anders. Die Existenz des Halsfußes bei ihr weist darauf hin, daß in ihr, die anfangs ein reines Schalenkorpusinstrument war, eine gehörige Menge "Kasten" hineingeformt wurde. Die Balalaika will kastig sein, weil sie hintendiert zum Dreieckskasten des Psalteriums, der Gusli.
Es wird also an die Z a r g e des alten Gusli-Kastens erinnert: ein schmaler Lautenhals wird verbunden mit einem Zargenkasten. Ein F u ß muß den Ausgleich schaffen zwischen schmalem Hals und breiter Zarge.
Der russische Ausdruck für diesen Fuß lautet "pjatka" = die Ferse (des Fußes).
Die Balalaika ist ein schillerndes Instrument. Die Balalaikabauer sind sich untereinander nicht einig.
Die einen wollen das Instrument als Schale bauen: ohne Zarge und ohne Halsfuß, die anderen wollen sie als Kasteninstrument bauen, (mit Zarge und mit Halsfuß), andere gehen den goldenen Mittelweg.
Der ehemalige "Balalaika-Papst" in Deutschland, der Russe Michail Ignatieff (+1910 in Hamburg), der die bekannte, in Deutschland weit verbreitete
"Schule des künstlerischen Balalaikaspiels" verfaßt hat, hat die Balalaika vorrangig als "Schalenhalsinstrument" angesehen und dem "Fuß" eine klare
Absage erteilt. Auf Seite 4 seiner Balalaika-Schule schreibt er:
"Der Hals des Instrumentes soll nicht zu schmal sein und am Schallkörperansatz
k e i n e V e r d i c k u n g haben" ( Sperrdruck durch mich ).
Der Grund wird wohl sein, dass beim Greifen der sehr hohen Töne der Halsfuß als ein Hindernis empfunden wird.
Andere sehen es anders.
Die Halsverriegelung = die aufgeleimte "Krawatte"
Russische Balalaikabauer scheinen Sicherheitsfanatiker zu sein.
Nicht nur versehen sie den Hals mit der oben beschriebenen (und unten angebildeten) fußförmigen Verbreiterung (sogar stumpf angeleimt besitzt ein solcher Hals eine große Stabilität), sondern sie leimen zusätzlich einen
Holzriegel ( mit der Form einer Krawatte) unten am Hals über die Verbindungsstelle Hals/Korpus. Nun kann nichts mehr durchbrechen!
Entweder ist das wirklich Sicherheitsfanatismus, oder die Instrumentenbauer trauen dem russischen Leim keine große Klebekraft zu.
Oben: Beispiel eines "fußlosen" Halsansatzes: Persische Tanbur
Der Hals geht fußlos in den schaligen Korpus über.
Unten: Balalaika mit Halsfuß.
Die Hals/Korpus-Verriegelung ist ein hölzerne Überleimer, der die Leimnaht Halsfuß/Korpus überbrückt.
Auf diese Weise soll eine stabile Verbindung zwischen Hals und Korpus hergestellt werden, denn die Saitenkräfte bewirken oft ein Auseinanderklaffen der Leimfuge an dieser Stelle.
Besonders bei 6-saitigen Balalaiken mit 6 Stahlsaiten sind die Hebelkräfte gewaltig.
Der Halsfuß ist bei der Balalaika sehr häufig anzutreffen, er ist fast schon die Regel.
Der Halsfuß ist notwendig, weil viele Balalaikakorpora am Halsansatz eine große Tiefe besitzen, der Hals dagegen eine geringere. Dieser Unterschied muß durch eine Verdickung ausgeglichen werden.
Der Halsfuß ist ein Kennzeichen der zargigen Kastenlauten: Gitarre, Geige, Cello u.s.w.
Die Balalaika ist eine Schalenlaute, aber ihr Korpus hat sich immer mehr am Kastenkorpus des Psalteriums (an der russischen Gusli) orientiert.
Der Halsfuß, der den Höhenunterschied zwischen Korpustiefe und Halsstärke ausgleicht, ist oft in künstlerischer Form gestaltet.
Kasten- und Schalenkorpus
Der Balalaikakorpus variiert. Er hat eine Form zwischen Flachkasten und Halbkugelschale. Entscheidend ist die Anzahl und die Anordnung der Späne, aus denen der Korpus zusammengesetzt ist.
Der Mittelspan ( "Gusli-Span")
In der Passierbski-Bauart der Balalaika ist die Anzahl der Späne ungradzahlig.
( siehe dazu die Beschreibung bei Andreas Gerth, Balalaika )
Franz Passerbski aus St.Petersburg konstruierte eine solche Korpusform nach Plänen von Andreev, dem Entwickler der modernen Balalaikaform.
Diese Balalaikaform besitzt am Bauch unten einen Mittelspan.
Dieser verläuft bei einigen Balalaikatypen in auffällig langer Strecke p a r a l l e l zur Decke und wölbt sich erst im letzten Drittel zum Halsanschluss hin.
Durch diesen Spanverlauf wird die Verwandschaft zur kastigen Gusli auffällig betont. Ein solcher Mittelspan wirkt wie der übrig gebliebene schmale Rest des Flachbodens einer Gusli.
Die Mittelnaht
Balalaiken in der Nalimow-Bauart weisen diese flache Planke nicht auf, sie besitzen eine Mittelnaht, einen "Spitzkiel". Diese Mittelnaht verläuft nicht parallel zur Decke, sondern strebt direkt vom Hinterbrett (Sadinka)aus in flachem Bogen zum Hals hin, ganz in Art einer Schale.
Nalimow stellte solche Mittelnaht-Balalaiken in der Andrejewschen Balalaika-werkstatt in Marjino her. Nach dem Tod Nalimows 1916 führte Galinis dessen Arbeit weiter. Galinis aber bevorzugte die 7-Span-Bauweise, kehrte also wieder zur Passerbski-Bauart zurück ( Mittelspan-Balalaika ).
Seitenspäne oder Zargen?
Es gibt Balalaikamodelle, bei denen die beiden äußersten Seitenspäne des Korpus mit der Decke fast im rechten Winkel stehen.
Diese beiden senkrecht stehenden Randspäne stellen schon fast Z a r g e n dar und lassen den Balalaika-Korpus aus der Sicht auf das Spiegelbrett wie einen Kasten erscheinen. (Siehe Abbildung unten)
Balalaiken aus dem deutschen Markneukirchen und englische Balalaiken, die in Pakistan gefertigt werden, weisen häufig diese Bauart auf.
Eine solche Bauart der Balalaika (mit Halsfuß, parallel zur Decke verlaufendem Mittelspan und fast senkrecht stehende Seitenspänen) läßt fast vergessen, daß die Balalaika eigentlich ein S c h a l e n - Halsinstrument ist. Das (halbrunde) Schalenprofil ist hier nur im ersten Drittel des Korpus unmittelbar nach dem Halsansatz rein durchgeführt, danach verwandelt sich die Balalaika zum Spiegelbrett hin allmählich zu einem Kasten.
Die Korpustiefe
Eine Schalenlaute besitzt meist einen tiefen, bauchigen Korpus, eine Gusli besitzt eine geringe Tiefe, ihr Boden ist flach.
Frühe Balalaikaformen zeigen einen ausgeprägten tiefen Lautenkorpus. der aber sehr klein ist wie bei der alten und auch bei der heutigen halbkugelförmigen persischen Tanbur. Dann aber ist immer mehr eine Tendenz zur einer Bauform mit geringerer Auswölbung und starker Verflachung des Bodens erkennbar: ein Indiz dafür, wie sich die Balalaika zunehmend am flachen kastigen Psalterium (Gusli) orientiert hat.
Domra und Balalaika sind verschiedene Wege gegangen. Die Domra präsentiert sich als große halbkuglig-schalige Laute, die Balalaika mehr als flaches kastiges Psalterium.
Die Balalaikaformen sind mannigfaltig, je nachdem, woran sich die Balalaikabauer orientieren und welchen Klangeindruck sie bewirken wollen. Die einen tendieren
zur tiefbauchigen Domra, andere zum flachen Gusli-Psalterium.
Bildfolge:
Von der Schale zum Kasten
Balalaika mit stark ausgeprägtem Kastenprofil ("Psalteriums-Kasten", Gusli ):
2 + 5 Späne ( 2 Randspäne, 5 Bodenspäne ).
Die 2 Seitenspäne (Randspäne) sind quasi als (schräggestellte) "Zargen" errichtet. ("Trogzargen"). Die übrigen 5 Späne bilden einen schwach gewölbten Boden
(Das Instrument wurde bis 2010 verkauft durch den Instrumentenhandel "Early music", England (www.earlymusicshop.com), und wurde in Pakistan produziert.)
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