5.4. B A L A L A I K A U N D K A N T E L E
5.4.1. Aus dem Holz einer Birke geschnitzt:
Vier traditionelle legendäre Saiteninstrumente
Die Zupf-Laute (Balalaika)
Die Streich-Laute (Gudok: Geige)
Die Zupf-Gusli (Psalterium, Kantele)
Die Streich-Gusli (Karelo-finnische Jouhikko)
Das bekannte russische Volkslied " Bо поле берёэынька стояла " berichtet von zwei Instrumenten, die ein verliebtes und handwerklich begabtes Mädchen aus dem Holz der Birke herausgeschnitzt hat:
Gudok ( Geige ) und Balalaika ( eine Zupflaute ).
Es gibt noch zwei andere, ebenso bekannte Instrumente, die gleichermaßen aus dem Stamm einer Birke gefertigt wurden:
die Kantele
( ein Zupfinstrument: Psalterium, "Zither" ) und
die Jouhikko
auch "Jouhikko-Kantele" genannt, denn das Wort Jouhikko bezieht sich auf den Streichbogen ("jouhi" = Pferdehaar) Die Jouhikko ist also ein Streichinstrument (Smyk) wie der Gudok.
Die Kantele - ein Dreieck
Es ist erstaunlich, wie gering das Wissen um Musikinstrumente auch bei Musikern ist.
Ein Absolvent des Balalaikastudiums in Tscheljabinsk erlärte anläßlich eines Konzertes in Deutschland, die Balalaika sei das einzige Instrument, das dreieckig ist. An die Dreiecksform anderer Instrumente z.B. des Psalteriums, der Kantele oder der dreieckig gebogenen metallenen Triangel hat er nicht gedacht.
Die Kantele: eine "Гусли выдолблёны из цельной доски"
Die Kantele (Betonung auf der 1. Silbe!) ist eine schmale spitzwinklig-dreieckige Gusli, ein Psalterium, eine Zither.
Wegen ihrer schmalen Form wird sie auch "Schmal-Zither" genannt.
Die Finnen weisen auf die sehr lange Geschichte der Kantele hin. Bautechnisch geht die Kantele auf die Grundform eines geschnitzten Holztroges zurück: eine alte traditionelle Bauart, die die Grundlage verschiedener Musikinstrumente ist.
Auch heute noch werden die Kantele und die russische Gusli auf diese Art hergestellt. Eine " Гусли выдолблёны из цельной доски " ("eine aus einem ganzen Brett herausgeschälte Gusli" ) gehört zum Standardangebot in den Verkaufskatalogen des Instrumentenhandels in Russland.
Meist jedoch wird heute der Korpus der Kantele aus einzelnen Bauteilen zusammengesetzt. Der Zargenrahmen z.B. ist wie bei einem Bilderrahmen aus separaten Leisten zusammengeleimt.
Der Korpus ist asymmetrisch-paddelförmig. Durch die auf die Instrumentendecke aufgesetzte Holzkonstruktion zur Halterung des Varras (Querstab zur Saitenaufhängung) bekommt der Korpus das Aussehen eines schmalen Bootes.
Auch mit einem Sarg wird diese Form der Kantele bisweilen verglichen. Die englischsprachige Bezeichnung "coffin type" weist darauf hin und bezeichnet
eine zu den Füßen hin schmaler werdende Sargform.
Eine Kantele hat das Mädchen in dem Lied nicht gebaut. Vielleicht war ihr die Anfertigung dieser fünfsaitigen Zither doch zu schwierig.
Die Ausgangsform: Ein länglicher schmaler dreieckiger Trog
Die Trogform der Kantele ist nicht rechteckig (wie bei der historischen Trogzither), sondern hat eine schmale spitzwinklige Fächerform.
Die schmale spitzwinklige Fächerform der Kantele ergibt sich aus dem Saitenfeld: die Saiten der Kantele verlaufen nicht (wie z.B. bei der heutigen afrikanischen Trogzither) parallel, sondern sie gehen vom Aufhängestab aus strahlenförmig auseinander.
Der Trog der Kantele nimmt, anders als die Inanga, die Form des Saitenfeldes auf: ein asymmetrisches Trapez. Die schmale Dreiecksform der Kantele erinnert an einen Vogelflügel. Deshalb zählt die Kantele auch zur Gruppe der "krylovidnye gusli" ("flügelförmige Gusli") (von russ. "krylo": der Flügel)
Die Kantele ist in Finnland und Karelien verbreitet, ebenso im Norden Russlands.
In Estland ist sie unter dem Namen "Kannel" bekannt, in Lettland heißt sie "kokle".
Ihre Entstehung scheint bis in vorchristliche Zeit zurück zu reichen.
( Siehe unten "Kalevala")
Die Kantele/Kannel wurde und wird in verschiedenen Umrißformen und Größen gebaut.
Heute wird sie nur noch selten aus e i n e m Stück geschnitzt, sondern aus
n zusammengesetzt (Zarge, Deckbrett, Bodenbrett).
Bei dieser Zargenbauweise ist normalerweise der Zargenrahmen oben u n d unten mit je einem Holzbrett verschlossen, es gibt aber auch Kantelen, die unten offen sind. Das Deckbrett ist meist mit Resonanzöffnungen versehen, auch bei der unten offenen Kantele.
Kantele mit 5 Saiten - Balalaika mit 5 Bünden
Balalaika mit 4 Bünden = Kantele mit 5 Saiten
Viele der ersten bezeugten Balalaiken mit dreieckigem Korpus besaßen 4 Bünde. Damit enthielten sie den gleichen Tonvorrat (auf der Medlodiesaite) wie die Kantele, nämlich 5 Töne
(Balalaika: 1 Leerseiten-Ton und die 4 Bundtöne).
Saiten-Mathematik
Balalaiken mit 4 Bünden
Bei der Kantele/Gusli werden die 5 Töne durch 5 separate Saiten erzeugt. Die vierbündige Balalaika besitzt in ihrer Urform nur 2 Saiten, wovon aber nur 1 Saite als Melodiesaite benutzt wurde. Auf dieser einen Saite (a´-Saite) können 5 Töne gespielt werden (1 Leersaitenton und 4 Bundtöne).
Zählt man den tiefen Ton ( e´ ) der Bordunsaite dazu, dann können 6 Töne gespielt werden.
Balalaiken mit 5 Bünden
Die meisten Balalaiken des 19. Jhds. vor Andrejew besaßen 5 Bünde.
Eine 5-bündige 2- saitige Balalaika erzeugte auf 1 Saite 6 Töne. Die zweite Saite, die als Bordun mitklang, lieferte den 7. Ton.
Wenn beide Saiten als Melodiesaiten gegriffen wurden, waren sogar 9 Töne möglich.
Zur "Saiten-Mathematik": 1.7. Die Saitenstimmung der Balalaika
Die Bünde wurden um den Instrumenten-Hals geschlungen und verknotet. Als Bund-Materiel wurde verwendet: Lederriemen, Darmsaiten, Naturfaser-Bindfäden oder Schnüre aus irgendwelchem Material, das gerade zur Verfügung stand.
In Russland wurde die Kantele "Gusli" genannt. Wegen ihrer asymmetrischen schmalen Dreicksform, die an einen Flügel erinnerte, wurde sie "flügelförmige Gusli" (krylividnyje gusli) genannt.
Ein Holztrog - Vier Instrumente
Die Kantele ist ein altes finnisches Instrument. Finno-ugrische und slawisch-russische Kultur haben seit dem 6. Jhd. aufeinander eingewirkt.
Der finnische Einfluß ist nicht auf Karelien im Norden Russlands (Russische Republik Karelia)beschränkt.
Die alte Stadt Murom (an der Oka) im Herzen Russlands zum Beispiel ist eine finnisch-ugrische Gründung. Noch heute gibt es verschiedene Volksgruppen der Wolgafinnen an der mittleren Wolga: in Mordwinien (Republik Mordowija), in der russischen Republik Mari El ("Tscheremissen"), in Udmurtien.
Die russische Republik Udmurtija im Föderationskreis Wolga ist 2012 bekannt geworden durch die singenden Großmütter "Buranowskije Babuschki" ("Großmütter aus dem Dorf Buranowo"), die beim Eurovision Song Contest 2012 in Baku als Vertreterinnen Russlands den 2. Platz belegt haben von insgesamt 18 Ländern im Finale.
Die udmurtischen Babuschkis sind eine reine Singgruppe. Sie verwenden keine Instrumente.
In Udmurtien ist nicht nur die schmale finnische Kantele verbreitet, sondern besonders auch die breite halbkreisförmige Schlemovidnyje gusli: die kres´.
Vier legendäre Guslispieler
aus alter Zeit
Väinämöinen war Kanrtelespieler. Die Kantele ist eine Gusli.
Damit gehört er - ohne Okkupationspolitik betreiben zu wollen - in die Reihe der großen legendären russischen Guslispieler, die im Kapitel 3.2. Nowgorod und die Gusli ausführlich besprochen wurden. Da die ältesten Teile des Kalevala 1000 Jahre v. Chr. entstanden sind, sei der finnische Kantelespieler Väinämöinen hier als erster genannt:
1. Väinämöinen
2. Sadko aus Nowgorod
3. Der Sänger und Guslispieler Bojan
4. Der Drachentöter Dobrynja
Der 44. Gesang ( "44. Runo" ) der Kalevala
1. Trauer über den Verlust der alten Kantele
Fort war seine Freud’ auf immer,
Seine Harfe blieb verloren.
Väinämöinen alt und weise
Schreitet grade nun nach Hause,
Kopfgesenkt und schlechter Laune,
Schiefgeschoben seine Mütze,
Redet nochmals diese Worte:
„Werde niemals wieder wecken
Freude aus des Hechtes Zähnen,
Auf des Fisches Gräte Töne.“
2. Die Birke klagt ihr Leid
Als die Waldung er durchwandert,
An dem Rand des Haines schreitet,
Hört er eine Birke weinen,
Hört den Maserbaum er klagen,
Schreitet rasch in seine Nähe,
Gehet näher hin zum Baume,
Fragte so zur Birke sprechend:
„Weshalb weinst du, schöne Birke,
Klagst du also, grünbelaubte,
Jammerst du mit weißem Gürtel?
Wirst ja nicht zum Krieg geführet,
Nicht zum Kampfe du gezwungen.“
Klüglich antwortet die Birke,
Redet selbst die grünbelaubte:
„Also mögen viele sprechen,
Mögen manche von mir reden,
Daß ich nur in Freude lebe,
Daß ich voller Jubel rausche;
Arme, die ich bei den Sorgen,
Bei der Wehmut mich nur freue,
Die ich in den Unheilsstunden,
Bei dem Kummer mich beklage.“
„Weine jetzt ob meiner Kleinheit,
Und beklage meine Armut,
Da ich Arme ohne Anteil
Elend ohne alle Stütze
Hier auf dieser schlechten Stelle,
Auf dem Weideplatze stehe.“
„Voller Glück und reich an Wonne
Hoffen andre immerwährend,
Daß der schöne Sommer komme,
Daß die warme Zeit erscheine,
Anders muß ich dummes Bäumchen,
Muß ich arme Birke geben
Meine Rinde zum Zerschneiden,
Meine Zweige fortzuführen.“
„Oftmals sind zu mir, der Zarten,
Oft zu mir, der armen Birke,
Kinder in dem raschen Frühjahr
Her zu meinem Stamm gekommen,
Schlitzen mit dem scharfen Messer
Aus dem Bauch mir meine Säfte,
Böse Hirten ziehen Sommers
Ab mir meinen weißen Gürtel,
Machen Schalen, machen Scheiden,
Machen daraus Beerenkörbchen.“
„Oftmals sind bei mir, der Zarten,
Oft bei mir, der zarten Birke,
Mädchen, die am Stamme sitzen,
Die an meiner Seite weilen,
Schneiden Laub mir von der Krone,
Binden Zweige fest zu Besen.“
„Oftmals hat man mich, die Zarte,
Oftmals mich, die zarte Birke,
Schon beim Schwenden umgehauen,
Mich zu Brennholz kleingespalten;
Dreimal sind in diesem Sommer,
In dem Lauf der warmen Jahrszeit
Männer an dem Stamm gewesen,
Haben ihre Axt gewetzet
Gegen meine arme Krone,
Daß ich um mein Leben käme.“
„Dieses war die Freud’ im Sommer,
Dies die Lust von dieser Jahrszeit;
Doch nicht besser war der Winter,
Nicht die Schneezeit angenehmer.“
„Stets hat schon in frühen Zeiten
Kummer mein Gesicht verändert,
Mir mein Haupt schlimm zugerichtet,
Meine Wangen sind erblichen,
Wenn ich an die schwarzen Tage,
An die schlechten Zeiten dachte.“
„Schmerzen bringen dann die Winde
Und der Reif gar bittre Sorgen,
Winde führen fort den Laubpelz,
Fort der Reif die hübsche Kleidung,
Daß ich arme, schwache Birke,
Ich, das unglücksvolle Bäumchen,
Unbekleidet hier verbleibe,
Aller Kleidung ganz beraubet,
In der strengen Kälte zittre,
In dem Froste heftig klage.“
3. Väinämöinen tröstet die Birke
Sprach der weise Väinämöinen:
„Weine nicht, o grünes Bäumchen,
Klage nicht, du reichbelaubte,
Jammre nicht mit weißem Gürtel!
Sollst ein wonnig Los erhalten,
Voller Lust ein neues Leben;
Wirst sogleich vor Freude weinen,
Wirst voll lauter Lust ertönen.“
4. Väinämöinen schnitzt aus Birkenholz eine Kantele
Schuf der weise Väinämöinen
Aus der Birke nun ein Spielzeug,
Schnitzte einen Tag des Sommers,
Bildete sich eine Harfe
Auf der nebelreichen Spitze,
Auf dem waldungsreichen Eiland;
Schnitzt die Wölbung von der Harfe,
Neue Freude auf dem Stammholz,
Schnitzt aus festem Holz die Wölbung,
Schnitzt aus Maserholz das Stammholz.
Sprach der alte Väinämöinen,
Redet’ selber diese Worte:
„Fertig ist der Harfe Wölbung,
Für die Freude auch das Stammholz;
Woher nehm’ ich jetzt die Zapfen,
Woher hol’ ich gute Wirbel?“
5. Väinämöinen schnitzt aus Eichenzweigen die Saitenwirbel
Wuchs ein Eichbaum an dem Wege,
In die Höhe auf dem Hofe,
Hatte Zweige gleicher Größe,
Eicheln dort auf jedem Zweige,
Goldne Kugeln an den Eicheln,
Auf der Kugel einen Kuckuck.
Wenn der Kuckucksruf ertönte,
Fünf der Töne dort erschallten,
Floß ihm Gold aus seinem Schnabel,
Goss herab sich reiches Silber
Auf die goldbedeckten Hügel,
Auf die silberreichen Höhen;
Daher nahm er Harfennägel,
Daher Pflöcke zu dem Spielzeug.
6. Väinämöinen spannt 5 Saiten aus Mädchenhaar
Sprach der alte Väinämöinen,
Redet’ selber diese Worte:
„Habe Nägel nun zur Harfe,
Pflöcke für mein neues Spielzeug;
Etwas fehlet noch der Harfe,
noch der Kantele fünf der Saiten,
Woher nehme ich die Saiten,
Schaffe ich die tönereichen?“
Ging sich Saiten nun zu suchen,
Schritt einher entlang der Waldung;
Saß ein Mädchen in dem Haine,
Eine Jungfrau in dem Thale,
Dieses Mädchen weinte zwar nicht,
War auch nicht recht voll von Freude:
Sang ein Liedchen vor sich selber,
Daß der Abend schwinden möchte,
In der Hoffnung, daß der Liebste,
Daß er ja recht bald erschiene.
Väinämöinen alt und wahrhaft
Eilte dorthin ohne Schuhe,
Springet zu ihr ohne Strümpfe;
Als er bei ihr angelanget,
Fing er an um Haar zu bitten,
Redet’ selber solche Worte:
„Gib, o Jungfrau, deine Haare,
Locken deiner zarten Haare,
für die Kantele als Saiten,
für die Harf´als schöne Stimmen!"
Ihre Haare gab die Jungfrau,
Gab von ihren weichen Haaren,
Gab derselben fünf, ja sechse,
Gab ihm sieben ganze Haare,
Daraus sind der Harfe Saiten,
Sind die ew’gen Freudenwecker.
Fertig war nun seine Harfe;
7. Väinämöinen stimmt die Kantele und beginnt zu spielen
Setzt der alte Väinämöinen
Sich auf einen Sitz von Steinen,
Auf den Block an einer Türe.
Nahm die Kantele zu Händen,
Nahm sein Labsal näher zu sich,
Dreht die Wölbung zu dem Himmel,
Stützt den Knopf auf seine Kniee.
Setzt die Saiten dann in Ordnung,
Stimmt dieselben zu einander.
Hatte nun gestimmt die Saiten,
Seine Harfe gut geordnet;
Nimmt sie darauf in die Hände,
Stützt sie auf die Knie querüber,
Ließ das Zehend seiner Nägel,
Fünf von seinen Fingern laufen,
Auf den Saiten munter lärmen,
In denselben lustig springen.
8. Das Spiel auf der Kantele verzaubert die Welt
Als der weise Väinämöinen
auf der Kantele da spielte,
Zart von Hand und weichen Fingers,
Seinen Daumen auswärts krümmte,
Da ertönt das Holz der Birke,
Klinget laut die reichbelaubte,
Rief voll Lust das Gold des Kuckucks,
Jubelte das Haar der Jungfrau.
Väinämöinen’s Finger spielen,
Seiner Harfe Saiten tönen,
Berge springen, Blöcke krachen,
Ganze Felsen selber dröhnen,
Steine bersten auf den Fluten,
Kies selbst schwimmet in dem Wasser,
Fichten waren voller Freude,
Stämme hüpften auf der Heide.
Alle Frauen Kalevala’s
Eilen fort von ihrem Nähen
Dorthin gleichwie mit dem Strome,
Stürzen hin gleich einem Flusse,
Junge Weiber munter lachend,
Froher Laune jede Wirtin,
Um das Spiel mit anzuhören,
Um die Freude anzustaunen.
Wieviel Männer nahe waren,
Standen, in der Hand die Mütze,
Wieviel Weiber nahe waren,
Hielten ihre Hand zur Wange,
Tränend sind der Mädchen Augen,
Auf der Erde knie’n die Knaben,
Lauschen auf der Harfe Töne,
Staunen ob des freud’gen Klanges,
Reden wie mit einem Munde,
Sprechen wie mit einer Zunge:
„Niemals ist zuvor gehöret
Solch ein Spielen voller Anmut,
Nie, so lang’ die Zeiten dauern,
Nie, so lang’ das Mondlicht strahlet.“
Tönte weit das schöne Spielen,
Tönte über sechs der Dörfer,
Gab daselbst kein einz’ges Wesen,
Das zu hören nicht gekommen
Dieses Spielen voller Anmut,
Dieses Tönen auf der Harfe.
Alle Tiere in dem Walde
Hocken nieder auf die Krallen,
Um die Harfe anzuhören,
Um die Freude anzustanen;
Alle Vögel in den Lüften
Lassen sich auf Zweige nieder,
Wasserfische jeder Gattung
Nähern sich dem Meeresstrande,
Würmer kommen aus der Tiefe
Auf der Erde Staub gekrochen,
Wenden sich und hören fleißig
Auf das Spielen voller Anmut,
Auf die Freude von der Harfe,
Auf das Drehen Väinämöinen’s.
Spielt’ der alte Väinämöinen
Wohl auf wunderbare Weise,
Ließ gar schöne Töne klingen;
Spielte einen Tag, den zweiten,
Spielte ohne anzuhalten
Von dem Frühstück an dem Morgen,
Von demselben Gurt umschlossen,
Mit demselben Hemd bekleidet.
Spielte er in seinem Hause,
In der Wohnung, die von Tannen,
Dann ertönte die Bedachung,
Dann erdröhnte oft der Boden,
Sang die Decke, heult’ die Türe,
Alle Fenster jubeln lustig,
Selbst des Ofens Steine schwankten
Und die Pfeiler selbst ertönten.
Wandert er im Fichtenwalde,
Gehet er durch Tannenhaine,
Bücken tief sich alle Fichten,
Neigen sich zur Erd’ die Tannen,
Nieder fallen ihre Zapfen,
Zu den Wurzeln ihre Zweige.
Wandelte er durch die Haine,
Oder schreitet er durch Büsche,
Spielten munter gleich die Haine,
Freuten immer sich die Büsche,
Wurden liebevoll die Blumen,
Beugten sich die jungen Reiser.
Holztöge könne - je nach Verwendung - in verschiedenen Formen geschnitzt werden. Die Normalform ist das Rechteck: Backtrog, Backmulde, Fleischermolle, Brunnentrog u.s.w.
Die oben (in schwarz/weiß) skizzierte dreieckige Trogform ist die Ausgangsform für Kantele und Balalaika.
Eine ovale Form besitzt der Gudok, die russische Geige. Die karelo-finnische Geige, die Jouhikko, hat in den meisten ihrer Ausführungen die alte Rechteckform beibehalten. Aus dem Trog sind entstanden: 2 Halslauten und 2 Kasten-Psalterien: Zupfpsalter und Streichpsalter.
ZWEI HALSLAUTEN
1. Gudok
Eine K u r z h a l s l a u t e , die mit dem Bogen gestrichen wird. Sie gehört
zur Familie der Rebec-Instrumente. Der Gudok ist symmetrische aufgebaut
und hat eine Boots-Form (auch Form eines Fisches oder einer Hammelkeule).
An das Ende des Troges ("Schiffsheck", "Fischschwanz") wird direkt das
Wirbelbrett geschnitzt. Ein Hals ist kaum erkennbar, und wenn doch, dann ist
er sehr kurz.
2. Balalaika
Sie ist eine L a n g h a l s l a u t e. In geschnitzter Ausführung ist sie ein
"Holztrog" in Löffel- Schaufel (Lopata-) oder Paddelform, deren Mulde mit einer
Tonholz-Decke verschlossen ist.
Sie besitzt wie der Gudok eine symmetrische Form. Vielleicht war ihre
Korpusform früher ähnlich wie die des Gudok oval-bootsförmig.
Später jedoch bekam er immer mehr eine Dreiecksform und hat sich damit in
die Kategorie der Psalterien hineinbegeben.
Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal gegenüber Psalterium und Gudok:
das lange Hals der Balalaika.
Bei der holzgeschnitzten Balalaika wird der Hals entweder mit dem Korpus
zusammen aus einem Stück geschnitzt (wie es auch heute wieder getan wird:
siehe die schmale Balalaika auf dem Bild oben), oder ein langer Hals ist
angesetzt ( angeschäftet ) an einen kurzen Halsstumpf. Letztere Bauweise
wird heute bei der türkischen Baglama angewendet.
ZWEI KASTENPSALTERIEN
1. Kantele (karelo-finnisches Zupf-Psalterium)
Wegen der verschieden langen Saiten der Kantele wird dieser Holztrog in
unsymmetrischer Form geschnitzt. Die Instrumentendecke entspricht der
Korpusform. (Siehe Foto "Kantele")
Gusli (russisches Zupfinstrument)
Die dreieckige Schallkörper-Form bekommt traditionell ein rechteckiges Deckbrett,
das über die Dreiecksform des Korpustroges hinausragt. Die Dreiecksform wird
durch das Deckbrett kaschiert (= beliebte russische Form der krylovidnyje gusli).
2. Jouhikko (karelo-finnisches Streich-Psalterium)
Es gibt viele Formvarianten dieser gestrichenen Kantele. Während die Kantele
dreieckig ist, entsprechend ihrem strahlenförmig verlaufenden dreieckigen
Saitenfeld, besitzt die Jouhikko meist eine rechteckige Trogform mit einem
zugespitztem Ende.
Viele Jouhikken besitzen die langschiffige Form des Gudok, jedoch mit Spielfenster
im "Heck" des überstehenden Deckbretts. Im vorderen Bereich zeigen Gudok und
Jouhikko große Ähnlichkeit mit einem Schiffsbug.
Von den beiden genannten karelo-finnischen Instrumenten ist die Kantele am bekanntesten. Sie gilt als finnisches Nationalinstrument Nr.1
Im finnischen Nationalepos, dem Kalevala, wurde ihr ein berühmtes Denkmal gesetzt.
3.4.2. Die Kantele im finnischen Nationalepos
Das finnische Nationalepos, Kalevala, wurde von dem finnischen Arzt und Volkskundler Elias Lönnrot in der ersten Hälfte des 19. Jhds. aus alten überlieferten Volksliedern und epischen Volksdichtungen, die er durch Feldforschungen in Ost-Karelien gesammelt hatte, zu einem einheitlichen Epos zusammengestellt.
Die Hauptfigur ist der Held Väinämöinen. Er machte eine Kantele aus dem Kieferknochengroßen eines großen Hechtes. Als diese Kantele im Meer versinkt, macht er eine zweite aus dem Holz einer Birke.
Die folgenden Zitate stammen aus der deutschen Übersetzung nach Anton Schiefner (bearbeitet von Martin Buber und Wolfgang Steinitz, Leipzig 1984).
Das 44. Kapitel (44. Rune) wird hier in voller Länge zitiert, weil dieser Text exemplarisch zusammenfaßt, welche Bedeutung im finno-ugrischen und slawischen Kulturkreis das Psalterium besitzt.
3 Birkeninstrumente, denen eine verzaubernde Wirkung nachgesagt wird:
Kantele (finn.) - Gusli (russ.) - Balalaika (russ.)
Ähnliche Lobeshymnen, wie sie die Kalevala auf die finnische Kantele anstimmt,
(wenn auch nicht in dieser Länge), gibt es auch auch für die russische Gusli und die russische die Balalaika. Das Gemeinsame dieser drei Instrumente: sie sind - vom Ursprung her - "Birken-Instrumente". Ihr dulce melos verzaubert.
Wolgafinnen und Udmurten
5.4.3. Väinämöinens Kantele
Über die Form der Kantele, die Väinämöinen aus dem Holz der Birke geschnitzt hat, wird im Kalevala nichts ausgesagt.
Mit "Wölbung" ist wohl gemeint die ausgeschälte Höhlung des Holztroges, ähnlich wie bei einer Backmulde.
Zapfen und Wirbel
Die Saiten der Kantele (Harfe) spannt er zwischen Zapfen und Wirbeln.
Zapfen sind die in dien in den Holzrand des Troges fest eingelassenen Rundstäbe, Wirbel sind drehbare Zapfen.
Wenn die in der Übersetzung verwendete Pluralform von "Zapfen" korrekt ist, dann besaß jede Saite einen eigenen Zapfen, also waren 5 Zapfen vorhanden.
Der Varras
Die heutige Kantele, auch in ihrer alten Form, besitzt jedoch keine separaten Zapfen, sondern einen waagerecht angebrachten Querstab , den "Varras"
(finn.: Spieß) Er ist der der gemeinsame Saitenhalter für alle 5 Saiten der Kantele und entspricht dem Knüpfsteg (Querriegel), der vielfach bei heutigen Gitarren, Lauten und anderen Saiteninstrumenten anzutreffen ist.
Die Kantele als Streichinstrument:
die finnischeJouhikko-Kantele
Ebenfalls ein traditionelles finnisches Saiteninstrument, das aus Birkenholz geschnitzt wurde (und wird), ist neben der Kantele dieJouhikko.
Sie ist eine gestrichene Kantele ( смычковое кантеле ) und besitzt ein sog. "Spielfenster". "Spielfenster" bedeutet: Die Instrumentendecke, die weit über den Resonanzraum, den Trog, hinaus verlängert ist, besitzt eine Öffnung, die als Durchgriff für die Spielfinger der linken Hand dient.
Die Finger wirken als Tangenten (wie die Tangentenfähnchen der Drehleier), die die Spielsaite(n) derJouhikkoberühren und damit verkürzen.
Die Form der Jozhikkoist fast identisch mit der Form der russischen liraförmigen gusli krylovidnyje mit Spielfenster. Nur der Saitensteg ist erhöht und gerundet.
Die Saitenzahl derJouhikkobeträgt 2, 3, oder 4. Sehr selten ist die 5-saitigeJouhikko. Das bekannte Musik-Ensemble für alte russische Musik, "RUSICHI", benutzt eine solche. Besonderheit der "Rusichi-Jouhikko": 5 Saiten und Crotta-Steg. Beim crotta-Steg sitzt der eine Fuß des Steges auf der Instrumenten- decke, der andere auf dem Instrumentenboden auf. Es gibt viele Formen der Jouhikko: Die beiden Skizzen zeigen die Bootsform der "Rusichi-Jouhikko" und eine Trogform mit überstehender Decke.
5.4.4. Balalaika und Kantele - Eine Verwandtschaft
Kantele-Gusli und Balalaika
Eine alte nordeuropäische Form der Zither ist die Kantele, ein sehr schmales, spitzwinklig-dreieckiges Instrument, ein Psalterium, eine Gusli.
Zwischen der nordrussischen Kantele, einer alten Form der Flügel-Gusli, und der Balalaika gibt es mehr Verwandschaft als man denkt.
Dieselbe Herstellungsart:
Aus Birke geschnitzt
Die Herstellungsart beider Instrumente war dieselbe: beide wurden aus "gleichem Holz geschnitzt", d. h. aus einem massiven Holzblock einer Birke herausgeschält.
Der selbe Bautyp: Trogzither
Balalaika und Kantele waren vom Bautyp her kleine "Holztröge".
Besonders die unten offene (open bottom) Kantele läßt die alte Holzkastenform der Trogzither noch gut erkennen. Eine Kantele wird hergestellt, indem ein flacher dreieckiger Holztrog aus einem massiven Stück Holz herausgeschält wird. Meist wurde Birke verwendet. Andere Hölzer:
Erle (russ. oljcha; engl. alder ),
Lärche (russ. listwennitza: engl. larch; .
Für die Decke wurde meist Fichten- oder Kiefernholz verwendet. Weil früher alle Kantelen (auch heute bisweilen noch) aus einem Baum-Ast oder Baumstamm herausgearbeitet wurden, war ihre Breite begrenzt.
"Trog-Laute" Balalaika
Gleiches gilt von der Balalaika. Auch sie war aus Birke geschnitzt. Sie war - von der Grundbauert her - eine "Trog-Laute" in einer schmalen Ausführung. Jedoch gab es bei ihr keine "open bottom"-Ausführung. Sie war stes geschlossen. Für ihre Holzdecke wurde Fichte (und früher auch Kiefer) verwendet.
Dieselbe Korpusform: das schmale Dreieck
Die alte Vorgängerin der Balalaika, die persische Tanbur, hatte noch einen ovalen Korpus. Diese Form hat sie in den zentralasiatischen Ländern (und in der Türkei) bis heute beibehalten.
Die türkische Baglama und die kasachische Dombra besitzen immer noch den ovalen Schallkörpe der Tanbur, der zum Hals hin tropfenförmig ausläuft.
In vielen zentralasiatischen Ländern begegnen Dombren in derselben Form, aber auch häufig in Form einer schmalen Schaufel (lopata).
Die Schaufel- oder Paddelform wird auch beschrieben als "abgeschnittenes Oval".
In Russland erfuhr der ovale Korpus der persischen Tanbur eine Veränderung zu vielfachen Formen:
Löffelform, zu einer
runde Form (Domra)
Paddelform
Schaufelform .
Durchgesetzt hat sich die Lopata-Form, in der ein Dreieck bereits enthalten ist.
Für die runde Form der Holzbalalaika hat die Kürbisbalalaika Pate gestanden, bei der Paddelform hat gewiß das Vorbild der Kantele Pate gestanden.
Das verwundert nicht, denn Balalaika und Kantele wurden auf sehr ähnliche Art gefertigt: durch Herausschälen aus einem einzigen Stück Holz.
Balalaika und Kantele wurden "aus gleichem Holz" geschnitzt": traditionell aus derm Ast oder dem Stamm der Birke.
Durch Herausschnitzen aus Birkenholz wurden traditionell 3 Instrumente hergestellt:
Kantele ( =Zither = Flügel-Gusli ), auch die gestrichene Kantele: Jouhikko.
Balalaika ( = Zupf-Laute )
Gudok ( = Geige = Rebec ).
Die holzgeschnitzte Balalaika bekam entweder die schmale Dreiecksform der Kantele oder die mehr rundliche Löffel-Form der Geige, des Gudok.
Unterschied: Die Kantele blieb halslos, beim Gudok wurde ein sehr kurzer Hals mit angeschnitzt, die Balalaika bekam einen separaten Hals. Frühe Balalaiken hatten sogar einen sehr langen Hals, so wie die Dombren ihn heute noch besitzen.
Von schmal zu breit :
Von der Kantele zur Balalaika.
Bild:
Balalaika mit "eingebetteter Kantele"
Nebenstehend eine Balalaika des 19. Jhd.:
Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig.
Balalaika,
Inventarnummer 673
Das Instrument ist dokumentiert im Mimo-Projekt.
Die Wiedergabe wurde mir gestattet unter der Bedingung der genauen Quellenangabe. Diese findet sich unter der Abbildung.
Diese Balalaika ist interessant wegen ihrer Decke. Das Mittenfeld, das sich deutlich abzeichnet, besitzt (zufälligerweise) die Form einer Kantele. Eine Balalaika, sozusagen mit sichtbar "eingebetteter" Kantele. Oder anders gesagt: eine Balalaika mit zentral eingebetteter Kantele.
Die Balalaika erscheint hier als eine doppelflüglig "entfaltete Kantele", an die ein Hals angesetzt wurde.
Da die Korpusform (und nicht der Hals) den Klang bestimmt, müssen die schmal-dreieckige Kantele und die schmal-dreieckige Balalaika sehr klangverwandt gewesen sein.
Die wirkliche historische Entwicklung hat gewiß so nicht stattgefunden, aber die oben dargelegte Sicht macht das "Balalaikaprinzip" deutlich: ein schmaler dreieckiger Klangkörper, der ohne Hals eine Zither ist, aber mit Hals eine Balalaika.
Bei beiden - Kantele und Balalaika - trat eine ähnliche Entwicklung ein: ein anfänglich schmaler "Kernkörper", der zum Wachstum tendierte und "in die Breite" ging.
Zur Balalaika oben:
Der Mitten-Teil der Decke der oben gezeigten Balalaika markiert die anfängliche "Kernlautenform" der Balalaika: die Form des Paddel oder der Schaufel (lopata).
Dieses schmale Dreieck ist bereits vor Andrejew in die Breite erweitert worden.
Sichtbar sind die zu beiden Seiten angesetzten "Flügel".
Andrejew hat ab 1895 diese Verbreiterung fortgesetzt und ein gleichseitiges Dreieck geschaffen. Zugleich hat er den Hals verschmälert.
Bildnachweis der oben gezeigten Balalaika::
Georg Kinsky, Katalog des Musikhistorischen Museums von Wilhelm Heyer in Cöln, Band II, Cöln 1912, S. 227.
http://www.europeana.eu/portal/record/09102/9F2DD383FE58C41471D78E8541D8C51ADFFFD8DE.html?start=15&query=balalaika&startPage=13
Provider: MIMO - Musical Instrument Museums Online
Es geht auch anders:
Von breit zu schmal
Schmales Dreieck:
Martin Backpacker Gitarre
Die Balalaika hat sich aus einem schmalen Dreieck (lopatka)zu einer breiten Form entwickelt. Im oberen Beispiel der Balalaika aus dem Leipziger Museum ist durch Zufall die schmale Urform im Deckenbereich sichtbar markiert.
Es gibt auch die umgekehrte Entwicklung: dass ein breites Instrument wieder zu einer schmalen Form zurückgeführt wird bzw. verschmälert wird, d. h.auf einen schmalen dreieckigen Kernkörper reduziert wird.
So ist es bei einer Gitarren-Neuentwicklung von 1992 geschehen: der Martin-Backpacker-Travel-Guitar. Diese besitzt einen schmale dreieckigen Korpus, der an die alte karelische Kantele erinnert bzw. an die Paddelform der kirgisischen oder kasachischen Dombra bzw. an die schmale Schaufel-Balalaika (lopatka).
Alte Formen feiern oftmals eine überraschende Auferstehung.
Die Martin-Backpacker hat bereits Kultstatus. Sie wird von namhaften Musikern auf der Bühne gespielt, sogar in der Rock-Musik (siehe Bildleiste links).
Das große Schallloch der Martin-Backpacker-Gitarre
So ganz war den Entwicklern dieser Backpacker-Gitarre die Einbuße an Volumen nicht geheuer. Um doch noch einige Bässe zu "retten", schufen sie ein übergroßes Schallloch.
Man vergleiche dagegen das kleine Schallloch der historischen Balalaika oben!
Balalaika und Kantele:
Verschiedene Saitenfelder
Auf dem Foto, das Kantele und Balalaika zusammen im Vergleich zeigt, ist die Ähnlichkeit beider Instrumente nicht auf den ersten Blick hin erkennbar.
Obwohl die Korpusform beider Instrumente fast gleich ist, irritiert doch bei der Kantele der Schrägverlauf der Unterkante. Diese Schräge ist technisch bedingt: das Saitenfeld bestimmt die Korpusform. Psalterien besitzen in der Regel asymmetrische Saitenfelder ("Orgelpfeifenprinzip")
Die Kantele, die ein Psalterium ist ( "Гусли-псалтырь", Gusli-psaltyrj ), hatte Saiten verschiedener Länge: deshalb wurde der Korpus an der Wirbelseite (tuning pin side) schräg gestaltet.
Die Saiten der Balalaika, die eine Laute war, waren wie bei (fast) allen Lauten, so bei der Gitarre, der Mandoline und der Geige, a l l e gleich lang.
(Die unterschiedliche Tonhöhe der Saiten wurde durch Verkürzen der Saiten mittels Greifen an den Bünden bewirkt.) Der Korpus der Balalaika konnte, weil er ein rechteckiges Saitenfeld mit gleich langen Saiten besaß, diesem Feld entsprechend symmetrisch gestaltet werden.
Die Korpus-Schräge der Kantele an ihrer Wirbelseite (tuning pin side) brauchte die Balalaika nicht übernehmen. (siehe Bild oben "Kantele und Birkenstammbalalaika)
Holztrog-Kantele und Holztrog-Balalaika :
Verwandtschaft in Form und Klang
Der Klang einer Kantele und einer Holztrog-Balalaika war ähnlich, da beide Instrumente auf gleiche Art hergestellt wurden (aus einem Stück Birkenholz geschnitzt), fast die gleiche Form besaßen und fast gleich groß waren.
Der Korpus war klein, die Form war sehr schmal und der Klang dementsprechend dünn und bass-arm.
Einen Unterschied gab es zwischen Kantele und Balalaika: die Balalaika hatte stets einen gedeckten, geschlossenen Korpus, die Kantele war unten offen. Deshalb brauchte sie auch auf der Decke keine Schallöffnung: der gesamte Boden war die Schallöffnung.
Offener und geschlossener Korpus
Die unten offene Kantele
Die Kantele erreichte ein größeres Klangvolumen, wenn sie beim Spiel auf eine Tischplatte gelegt wurde ("Tisch-Zither"). Diese Erfahrung führte dazu, daß Kantelen gebaut wurden, bei denen die "Tischplatte" an den Korpus angeleimt wurde, d.h. ein Bodenbrett an die Zarge gesetzt wurde. Da das Instrument jetzt geschlossen war, wurde - wie bei der Balalaika - oben in der Decke ein Schallloch angebracht bzw. die Decke mit mehreren kleinen Lochbohrungen versehen, so daß ein Lochmuster entstand (Kreuz, Bienenwabe, Stern u.s.w.).
Die Lochmuster von Kantele und Balalaika waren sehr ähnlich.
Indem die Kantele ihren Korpus schloß, orientierte sie, die Kastenzither, sich hier an der Balalaika, der Langhalslaute.
Der Trend zur Vergrößerung des Korpus
Um noch mehr Klangvolumen zu erreichen, war ein weiterer Schritt notwendig: der Korpus mußte v e r g r ö ß e r t werden.
Dies geschah bei beiden Instrumenten.
Aber die Vergrößerung geschah nicht (immer) als maßstabsgetreue vergrößerte Kopie des Instruments, sondern die Proportionen wurden verändert und es entwickelten sich viele individuelle Formen. Bei der Gusli wurde eine Form in Russland sehr verbreitet und beliebt: die schlemovidnye gusli (Helm-Gusli).
Die Helm- Gusli wies eine Besonderheit auf: sie besaß nicht mehr das längsgerichtete Saitenfeld der Kantele, sondern bei ihr wurde der Saitenverlauf quer gestellt.
Dementsprechend wurde ihre Form zu einem großen b r e i t e n Dreieck bzw. Trapez, Halbkreis, eine Form, die für die Entwicklung der Balalaika Maßstäbe setzen sollte.
Ebenso wurde bei der Balalaika ihr schmaler Dreieckskorpus auseinandergefächert in Richtung auf ein gleichseitiges Dreieck.
Größerer Korpus - andere Konstruktionsweise
Die zusammengesetzte Bauart
Beide Instrumente konnten, nachdem ihr Korpus vergrößert wurde, nicht mehr aus e i n e m Stück Holz geschnitzt werden: solch breite Birken gab es nicht.
Es mußte die Bauart verändert werden. Der Klangkörper wurde nicht mehr aus einem Stück Holz geschnitzt, sondern aus mehreren separaten Holzteilen zusammengesetzt. So konnten Instrumente beliebiger Größe gebaut werden.
Die verwendeten Holzarten bei der holzgeschnitzten Kantele und Balalaika waren gleich: Korpustrog = Birke, Korpusdecke = Fichte.
Auch bei der zusammengesetzten Bauweise blieb die Holzauswahl bei beiden Instrumenten anfänglich dieselbe: für die Decke wurde Fichte verwendet, für die Holzteile des Korpustroges wurde bei der Kantele getrocknetes Birkenholz verwendet, bei der Balalaika wurde gewässertes Birkenholz gewählt, um
die Späne in die rechte Form zu biegen.
Kantele: Die Vermehrung der Saiten
Balalaika: Die Vermehrung der Bünde
Bei der Kantele führte der größere Korpus zu einer Vermehrung der Saitenzahl: bis zu 43 Saiten. Bei der Balalaika war das nicht nötig. Sie erreichte auf ihren 3 Saiten einen sehr großen Tonvorrat durch Vermehrung der Bundzahl.
Der vergrößerte Korpus der Balalaika hatte anfangs immer noch die Proportion
der alten 5-saitigen Kantele: ein Flügel in Form eines spitzes schmalen Dreiecks.
Die Kantele hatte sich inzwischen zur halbkreisförmigen Helm-Gusli gewandelt, bzw. an die breite Trapezform der uralten persischen Santur angenähert.
Die Balalaika folgte diesem Beispiel. Durch Wassili Andrejew 1883 bekam die verbreiterte Balalaika eine ebensolche Form.
Tonvorrat und Tonumfang von Kantele und Balalaika
Fünf-saitige Kantele - Fünf-bündige Balalaika
Die Kantele besaß am Anfang 5 Saiten. Heute noch wird die fünfsaitige Kantele als "traditionelle Kantele" gebaut und verkauft.
Gestimmt war sie früher höchstwahrscheinlich ( so wie die heutigen Kantelen ) pentatonisch: c - d - f - g - a oder auch diatonisch.
Fünf = sechs
Die meisten frühen Balalaiken besaßen 5 Bünde. (siehe Abbildungen unten).
Es scheint, dass die Bund-Zahl der Balalaika bezogen ist auf die 5-Zahl der Kantele-Saiten. Jedoch:
5 Bünde bedeuteten 6 Töne: die leerklingende Saite ist der Grundton. Also: 1Ton der Leersaite plus 5 zusätzliche Töne durch Verkürzen der Saite. Das ergibt einen Tonumfang von 6 Tönen auf einer Saite.
Eine fünfbündige Balalaika ersetzt eine 6-saitige Gusli
Eine 6-saitige Gusli ist durch einen Fund bei Nowgorod archäologisch bezeugt. Das Instrument stammt aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts.
Die Balalaika war anfangs 2-saitig. Die 2. ( tiefer klingende ) Saite war eine Bordun-Saite.
Als sie später auch für das Melodiespiel mit verwendet wurde, vergrößerte sich der Tonvorrat der Balalaika auf 9 Töne. Der Tonumfang betrug diatonisch e´ - fis ´´ ( = Oktave plus 1 Ganzton), pentatonisch e´ - a´´ ( = Oktave plus Quarte ).
( Siehe: Die Balalaika-Stimmung )
Aus dem bisher Dargelegten geht hervor, daß es Sinn macht, sich im Folgenden mit der Gusli ( dem russischen Psalterium) näher zu beschäftigen.