3.4. BALALAIKA UND BOOTSBAU
A. Historisch beweisbare Zusammenhänge
B. Assoziationen
Einbaum, Trog und Instrumentenkorpus
Dieses "Boots-Kapitel" ist eine Ergänzung zum "Trog-Kapitel". Denn die Urform des Bootes, das Einbaum-Boot , ist ein Holztrog.
Bootsbautechnik und Musikinstrumentenbau haben im Trog einen gemeinsamen Bezugspunkt.
Boote sind nichts anderes als schwimmende Tröge.
Brunnentrog - Trogschiff - Trogzither
Ein Trog kann mit Wasser gefüllt werden: dann ist er ein Brunnentrog, Waschtrog.
Ein Trog kann zu Wasser gelassen werden, dann ist er ein Einbaum-Boot.
Ein Trog kann aber auch mit Saiten überspannt werden: dann ist er eine Trogzither. Die Saiten laufen über die Öffnung des Troges.
Die Trogzither bleibt gewöhnlich unbedeckt, also offen.
Es kann aber auch auf die Öffnung des Troges eine Decke als Resonanzdecke aufgelegt werden. Die Decke besteht aus:
Tierhaut (Pergament) oder Tierleder oder Holz. Damit die Schwingung der Saiten auf die Decke übertragen wird, muß auf die Decke ein Saitensteg gestellt werden, über den die Saiten geführt werden. Man kann die Saiten zupfen, anschlagen oder mit einer Bogensehne streichen.
Läßt man die Saiten und den Steg weg, kann auf der Decke getrommelt werden.
Bootspaddel
Ein wichtiges Bestandsteil des Bootsbaues ist das Bootspaddel.
Frühe Balalaikaformen haben große Verwandschaft mit Bootspaddelformen.
Heutige Dombren und viele asiatische Tanburen besitzen heute noch die Bootspaddelform.
Balalaika und Boot: Assoziationen
Bootsdeck - Instrumentendecke
Die Decke des Musikinstruments entspricht dem Deck eines Bootes.
Als Deckholz - wenn Holz verwendet wird - wird meistens Bergfichte gewählt. Diesem Holz werden die besten Schwingungseigenschaften nachgesagt.
Die heute sehr verbreitete türkische Baglama wird meist in dieser Art gebaut:
als ausgehöhlter Holzblock, zumeist aus Maulbeerholz, abgedeckt mit einem Brett aus Fichtenholz. Die Schallöffnung der Baglama wird nicht (oder sehr selten) in der Decke angebracht, sondern in der Korpus-Schale, entweder am unteren Ende oder auch an der Seite.
Die Balalaika hat stets die Schallöffnung (Golosnik) in der Decke, meist als runde Öffnung, ca 2 cm im Durchmesser. Die Balalaiken aus deutscher Fertigung besitzen meist ein größeres Schallloch als die in Russland gefertigten. Oft wird hier ein Durchmesser von 4 cm gewählt. Dadurch soll die Balalaika bassiger werden und im Klang sich der vertrauten Gitarre annähern, die auch ein großes Schallloch aufweist.
Ganz selten gab es früher Balalaiken mit einem zusätzlichen asymmetrisch gesetzten Schalloch in der Decke oder einer dreickigen Schallöffnung an der Korpusseite.
Schiffsformen: Balalaika und Gudok
Daß der Korpus der dreieckigen Balalaika eine große Ähnlichkeit mit dem Vorderteil (Bug) eines Schiffsrumpfes hat, ist eine Tatsache und hat dazu geführt zu behaupten, die Form der Balalaika sei vom Schiffbau inspiriert worden.
Der Instrumentenhals der Balalaika kann verglichen werden mit dem Bugspriet eines Segelbootes. Das spitz zum Hals zulaufende Teil des Balalaika-Korpus entspricht dem Formverlauf eines Schiffsbugs.
Die Sadinka, das Hinterbrett der Balalaika, entspricht dem Spiegelheck eines Schiffes. Die geometrischen Formen sind fast identisch.
Die englische Bezeichnung für die Sadinka der Balalaika lautet "transom".
Dieser Terminus nimmt direkt Bezug auf den Schiffbau: "transom" ist der Marinesprache entnommem und bedeutet "Heckwerk eines Schiffes".
Auch ein anderes russisches Volksinstrument hat große Ähnlichkeit mit einem Boot: der Gudok, die russische Geige.
Der Gudok - ein Boot
Der Gudok (Rebec) hat die Form eines Bootes. Besonders wenn der Gudok eine lange und schmale Form hat, dann ist der Bootseindruck täuschend echt.
Die russische Ethno-Musikgruppe Rusichi stellt in ihrem 2013 aufgenommenen Video zu ihrer CD "Dwa sokola" ("Zwei Falken") bewußt diese Assoziation her.
Die 3 Mitglieder der genannten Gruppe bauen viele ihrer Instrumente selber.
Für die letzte CD wurde eine gezupfte "Spielfenster-Kantele" (also eine Leier)
zur gestrichenen Geige (Gudok) umgebaut und diese als "Zeitenschiff"
im Video gezeigt.
Dieses Instrument wird im Finnland "Jouhikko" genannt. (Bild unten)
Die Jouhikko
Der geplankte Holzkörper
Die oben skizzierte Jouhikko ist aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt, die Höhlung oben ist mit einer dünnen Decke aus Holz verschlossen.
Die Decke entspricht dem Deck eines Schiffes.
Ein Bootskörper braucht nicht aus e i n e m Stück bestehen (Einbaum), er kann auch aus Holzplanken zusammengesetzt werden. Das ist heute die gebräuchliche Art, einen Bootskörper aufzubauen.
Diese Technik ist 1:1 auf den Musikinstrumentenbau übertragen worden. Musikinstrumente werden heute meist aus mehreren Teilen zusammengesetzt. Der Korpus besteht aus Planken.
Der Körper kann schalenförmig sein, dann werden die Planken gebogen. Er kann aber auch - wie es beim Prahm der Fall ist, die Form eines Kastens mit flachem Kiel haben. In diesem Fall besteht der Korpus aus einer flachen Bodenplatte (oft zusammengesetzt aus einzelnen Brettern) und umlaufenden schräg gestellten Zargen.
Die russische Sprache verwendet für Schiffsrumpf und für Musikinstrumentenkorpus das gleiche Wort: kusow.
Mit dem gleichen Terminus wird heute auch die Autokarosserie bezeichnet.
Die Holzsegmente, aus denen der Korpus (Kusow) besteht, heißen beim Schiff Planken, beim Musikinstrument Späne (in der russischen Sprache: Dauben).
In der Schiffsbausprache gesprochen ist die Korpusschale der Balalaika die
Plankenhaut, die durch die man Gesamtzahl der Späne gebildet wird.
Ein Balalaika-kusow hat mindestens 2 Späne (der 2-Span-Korpus ist eine historisch bezeugte Balalaikaform).
Auch die Tromba marina hat mindestens 2 Späne (V-förmiger, pflugscharähnlicher bzw. spitzkielähnlicher Rumpf mit einem gleichseitigen Dreieck als Querschnittform). Heute werden keine 2-spänigen Balalaiken mehr gebaut. Die Balalaiken heute haben meist 5 , 6 oder 7 Späne.
Eine italienische Rundbauch-Mandoline ("Kartoffelkäfer") hat bis zu 48 Späne,
eine griechische Bouzouki kann bis zu 64 Späne haben.
Je mehr Späne das Instrument hat, umso gerundeter und "schaliger" wirkt der Korpus.
Die obere Öffnung des Kastens/Troges/Schale wird mit Holz abgedeckt und verschlossen.
Beim Schiff: das Deck
Beim Instrument: die Decke.
Der gegossene Kunststoff-Resonanzkörper
Moderne Kunststoffe (z.B. PVC, Kunststoffverbundmaterial) lassen sich in jede Form gießen.
Der Schiffsbau macht davon ebenso Gebrauch wie der Musikinstrumentenbau.
Prominentestes Beispiel ist die Ovation-Gitarre, die wegen ihres seidigen Klanges berühmt ist. Entwickelt wurde sie vom Designer Charles Kaman. Ihr Roundback ist eine Schale, die aus Kunststoff-Verbundmaterial gegossen und gepresst ist, ein Material, das Charles Kaman eigentlich für Hubschrauber-Rotorblätter entwickelt hat.
Aus "Plaste" besteht auch die Korpusschale der kultigen Fluke-Ukulele, deren dreieckige Form an die Balalaika erinnert.
Im Autobau ist legendär die Plastik-Karosserie des in der DDR gefertigten "Trabant". Der Kunststoff hieß Duroplast und bestand aus einer Mischung von Harzpulver und Baumwolle.
Im Balalaikabau in Russland wurde eine ähnliche Guss-Technik angewandt anläßlich der Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau, als massenweise Balalaikas fabriziert wurden, um den Balalaikabedarf der Touristen zu decken, die alle ein typisch russisches Souvenir mit nach Hause nehmen wollten.
Der Korpus dieser "Plastik-Balalaika" wurde nicht im ganzen Stück aus Kunststoff gegossen, sondern nur die "Schiffs-Planken" als u-förmige Späne-Einheit in Form eines gebogenen Schildes.
Hals, Heckbrett (Sadinka) und Decke wurden traditionell aus Holz gefertigt.
Die Balalaika und Bootskörper im Vergleich
Der folgende Text stellt lediglich Assoziationen her.
Historische Herleitungen und Zusammenhänge zwischen Balalaika und Bootsbau sollen nicht behauptet werden.
Folgende Teile sind bei Balalaika und Boot ähnlich und miteinander vergleichbar:
Planken = Späne
Schiffsdeck = die Instrumentendecke
Spiegelheck = Heckbrett, Heckwerk, Achterbrett, Hinterbrett, Back board,
russ.: Sadinka, engl.: transom
Flachkiel = der Mittelspan (bei ungeradzahliger Spanmenge)
(sog. "Passerbski-Typ")
Spitzkiel = dieser ergibt sich automatisch bei einer geradzahligen
Span-Anzahl (sog. "Nalimow-Typ". die beiden v-förmig zueinander
stehenden Mittelspäne bilden eine spitze Mittelnaht.
Bugspriet = Instrumentenhals
Klüverbaum = Wirbelbrett
Schiffschnabel = Der Dorn zum Aufhängen der Saiten
(So beim alten holzgeschnitzten Gudok und der Balalaika).
Siehe Foto oben.