2.2 BALALAIKA - PHYSIK:
DIE BALALAIKA ALS PHYSIKALISCHER SCHALLKÖRPER
Dem hybriden Klang der Balalaika auf der Spur
Die Balalaika kann aufgefaßt werden als hybrides Instrument: sie vereinigt die Formen von Halslaute und Dreiecks-Zither.
Überdies weist die Balalaika auch einen hybriden Klang auf.
Dieser kann physikalisch aus der aus der besonderen Form des Balalaika-Korpus erklärt werden.
Dreieckskorpus mit kleinem Schallloch: Zitherklang
Glockenkorpus (dreieckig-trapezoider Glockenmantel): Klangfarbe einer Glocke
Trichterkorpus: Klangfarbe eines Hornes (Trompete, Schaleika)
1. Der Balalaika-Korpus - ein Schall-Trichter
Das "Scannen" der Balalaika bezieht sich auf verschiedene Aspekte des Instrumente.
Nur drei sollen hier genannt werden:
1. Das Scannen des Instrumentengegenstandes und seiner Geometrie
2. Das Scannen der Entstehungs- und Kulturgeschichte der Balalaika
3. Das Scannen der Balalaika als physikalischer Klangkörper.
ad 3) Hier offenbart sich überraschenderweise die dreieckige Balalaika als ein Instrumentenkörper, dessen akustische Eigenschaften eine Übereinstimmung aufweisen mit Eigenschaften einer ganz anderen Instrumenmtengattung: den Aerophonen. Zu den Aerophonen gehören beispielsweise die Trompeten. Klangbestimmendes Merkmal der Trompete ist der Schalltrichter. Auch der Scan der Balalaika liefert das gleiche Ergebnis:
die Balalaika stellt einen Schalltrichter dar.
Die akustischen Besonderheiten des Trichterraums
Zuerst gilt festzuhalten: Die Balalaika ist ein reines Saiteninstrument. Die Form der Balalaika ist das Ergebnis einer Entwicklung, die innerhalb der Chordophon-Familie (Familie der Saiteninstrumente) stattgefunden hat. Verbindungen zu Idiophonen und Aerophonen sind nicht nachweisbar und auch nicht anzunehmen.
Die heutige Korpusform der Balalaika ist "interfamiliär" entstanden aus der Zusammenführung von rundbauchiger Schalenkorpus-Laute und schaufelförmiger Holztrog-Laute. Dieses Komplexinstrument wurde weiterentwickelt zu einem Hybridinstrument, indem es mit dem flachem dreieckigen Psalterium eine Synthese eingegangen ist. Laute und Psalterium sind reine Saiteninstrumente, wenn auch verschiedener Bauart.
Die Zusammenführung von Laute und Zither erforderte eine konstruktive Umsetzung. Das Ergebnis: es entstand ein dreieckiger Instrumentenkorpus mit Trichterform!
Die Dreiecksform des Trichters stammt vom Psalterium, die Ausrundung der Trichterform stammt von der Schalenlaute, die ihren Ursprung im Kürbis hat.
Der Name der persischen Schalenlaute "Tanbur" bedeutete sehr wahrscheínlich "Kürbis".
In wie weit die dreieckige sphärische Trichterform der heutigen russischen Balalaika sich durch Zufall ergeben hat, rein intuitiv entwickelt wurde, durch physikalische Berechnung entstand oder durch andere Faktoren bestimmt wurde, darüber läßt sich trefflich streiten. Es wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Schalltrichter
Akustisch stellt die Balalaika wegen ihrer kombinierten Dreick/Halbschalenform einen physikalischen S c h a l l - T r i c h t e r dar, genauer: einen Schalltrichter in längs-halbierter Form. Fazit:
Neben den beiden form- und klangprägenden Charaktereigenschaften von "Laute" und "Psalterium" kommt bei der Balalaika noch ein drittes Charakteristikum hinzu: die Trichterform.
Klangtrichter und Klanghörner erwartet man eher bei den Aerophonen und nicht bei Saiteninstrumenten. Die Balalaika ist ein Instrument mit Überraschungen.
Dazu gehört, daß sie sich als einen "Klang-Trichter" offenbart. In der physikalischen Lehre vom Schall, der Akustik, erfährt man, daß Trichterkammern erstaunliche klang(ver)formende Eigenschaften besitzen.
Persönliche Anmerkung: Ich erinnere mich, wie ich mit dem Technik-Team von "Lautsprecher-Teufel" in der damaligen Werkstatt in Berlin-Wilmersdorf (noch spät am Abend) über die klangfärbende Wirkung von Schalltrichtern diskutiert habe. Ich hatte einen Schalltrichter zum Testen mitgebracht. An Hand von Meßprotokollen konnten wir uns alle davon überzeugen, welch unglaublich großen Einfluss ein akustischer Trichter auf das Gesamt-Klangbild des abgestrahlten Schalls ausübt. (Der Chef wußte es schon vorher).
Der "Trichterton" (der Klang, der in einer Trichterkammer entsteht) ist weitaus druckvoller als der weiche Klang einer Rundkammer (bei Aerophonen "Liebesfuß" genannt, ein birnen- oder kugelförmiger Schallbecher) einer Dombra, Domra oder Mandoline.
Schallreflexionsöffnung
Bei der Balalaika - definiert als Schalltrichter - kann der Schall nicht durch den weiten Trichtermund austreten, denn diese Öffnung ist durch das Hinterbrett (Sadinka) verschlossen. Die Sadinka aber bewirkt durch ihre extreme Schrägstellung, dass der Schall in Richtung auf die runde Deckenöffnung reflektiert wird. Der dort austretende Schall-Anteil besitzt "Trichterklang". Er färbt den Gesamtklang der Balalaika, er beeinflusst das Frequenzspektrum, den Schalldruck und andere akustischen Eigenschaften.
Die dem Balalaikaklang nachgesagte Unbeschreibbarkeit und Faszination wird in diesem Trichterklang gewiß eine ihrer Ursachen haben.
Lamellentrichter
Auf ein Design-Merkmal ist hinzuweisen: Schalltrichter und Balalaika weisen eine ähnliche Aufbaustruktur auf, die optisch sofort ins Auge fällt: Schalltrichter sind häufig aus Lamellen zusammengesetzt, so wie der Späne-Korpus der Balalaika. Vergleiche die Grammophon-Schalltrichter aus alter Zeit!
Hochtonhorn
Noch stärker als bei der Balalaika ist die Trichterform bei der Martin-Backpacker-Traveller-Gitarre ausgebildet: sie stellt ein langes Trichterhorn dar (siehe Bilderleiste links). Da Hörner nur einen geringen Bassanteil produzieren, ist das Schalloch der Martin-Gitarre sehr groß demensioniert. Es hat die Funktion einer Bassreflexöffnung, die die tiefen Töne verstärken soll. Die Balalaika dagegen hat ein sehr kleines Schallloch. Die Balalaika will nicht die Bässe hervorheben, sondern die mittlere und hohe Stimmlage einer menschlichen kindlichen Gesangsstimme betonen.
( Zur Trichterform der Balalaika siehe: Balalaika und Trumscheit )
Der Balalaika-Korpus - Amphitheater und Odeon
Балалайка - Амфитеатр - Одеон
Klangphänomen Amphitheater
Der besondere Klang der russischen Balalaika (im Gegensatz zu nichtrussischen Balalaikaformen wie z.B. die "Kaukasus-Balalaika") ist zurückzuführen auf ihre breite Dreiecksform in Kombination mit einem schalenförmig gewölbtem Korpusboden. Der Akustikraum dieser so geformten Balalaika entspricht wegen seiner Tichterform dem Bau-Schema des antiken Amphitheaters, genauer: des halbkreisförmigen antiken römischen Theaters. Solche Bauformen werden als "Akustikwunder" gerühmt.
Die optischen Erscheinungsbilder von Balalaikaraum und Amphitheater gleichen einander. Physikalisch stellen beide einen Lamellentrichter dar: der Schalenboden der Balalaika ist fächerartig aus Lamellen zusammengesetzt, auch der "Trichtermantel" des antiken Amphitheaters besitzt eine Lamellenstruktur: eine senkrechte Teilung der Tribünen in Sektoren, hervorgerufen durch die schmalen steil ansteigenden Stufenpfade.
Die Halbrund-Ebene unten im Zentrum, auf der Tanz, Sprechen, Musik und Gesang aufgeführt wurden, trug den Namen "orchestra".
Die "orchestra" der Balalaika
Bei der Balalaika sind die szenischen und räumlichen Verhältnisse sehr ähnlich wie beim Amphi-Theater. Jedoch ist die Schallquellen-Ebene, die orchestra, anders positioniert. Die "orchestra" der Balalaika, die "Spiel-Plattform", ist die dreieckige ebene Instrumentendecke : hier wird der Klang erzeugt.
Das Halbkreis-Amphi-Theater des Asklepieion in Pergamon besitzt eine 7-Segment-Einteilung
(7 "Lamellen") und entspricht somit der häufig anzutreffenden 7 Späne-Balalaika-Bauform (sog. "Passerbski-Stil").
Der berühmte Balalaika-baumeister Galinis, der als Nachfolger von Nalimow die Andrejewsche Balalaika-werkstatt in Marjino geleitet hat, hatte eine Vorliebe für den 7-Späne-Korpus (семиклепочный корпус),
ebenso Mark Kupfer.
Das Bild oben zeigt die Sadinka (Hinterbrett) einer solchen Balalaika.
Ein weiteres berühmtes Amphitheater, das Athener Odeon ("Odeon des Herodes Atticus") am Südhang der Akropolis in Athen, hat im unteren Bereich 5 Lamellen. Auch diese Form ist im Balalaikabau vielfach zu finden. Ein Odeon ist ein Raum, in dem Oden erklangen (daher der Name): ein Ort der Darbietung von Gesang und Instrumentalmusik. Das griechische Wort "ode" bedeutet "Gesang, Gedicht, Lied". Das Wort "Ode" ist enthalten in dem Wort "Melodie". Damit die Oden gut wahrgenommen werden, bedarf es eines geeigneten akustischen Raumes. Amphitheater und Odeon besaßen aufgrund ihrer Architektur diese Eignung. Die Balalaika weist die gleiche Architektur auf und knüpft damit an altes antikes Wissen an.
Das Amphitheater ist - akustisch gesehen - ein Trichterraum. "Trichterräume" besitzen erstaunliche akustische Eigenschaften mit weit tragendem Klang.
Lev Tolstoi bemerkte einmal, daß die Schönheit des Balalaika-Klanges sich erst durch das Zuhören aus großer Distanz offenbart.
Das folgende Bild zeigt nicht das Innere einer Balalaika, sondern das berühmte Odeon-Amphitheater in Athen.
Bild unten: Das Innere einer Balalaika - oder antikes Amphitheater ?
Das Balalaika-Schallloch
Selten: ein konisch gebohrtes Schallloch:
Trichter-Schallloch
Einige wenige Balalaiken weisen ein konisch gebohrtes Schallloch auf. Die Schalllochbohrung in der Instrumentendecke ist nicht mit einem Zylinderbohrer oder einer Lochsäge ausgeführt, sondern mit einem Kegelbohrer.
Oder das zylindrisch geborte/gesägte Schalloch ist nachträglich mit einem Kegelsenker nach oben hin erweitert worden. Es entsteht ein Trichter.
Diese Maßnahme kann man als eine Hommage an die beliebte russische Schaleika ansehen. Die Balalaika erhält durch diesen Trichter einen Hörnerklang - wenn auch nur in einem geringen Maße.
Bei kasachischen Dombren ist diese Trichterbohrung häufiger zu sehen.
Der "Kastentrichter" auf der Balalaika-Decke
Schallraum zwischen Decke und Schlagplatte
Die Schlagplatte der Balalaika und auch der Domra ist nicht -wie bei der Mandoline als freischwebendes Dach (siehe Bild unten) über dem Korpus befestigt, sondern mit einem Holzzrahmen auf den Korpusrand aufgesetz. Die Seitenflanken des Schlagbretts sind schalldicht abgeschlossen.
Die an beiden Seitenflanken geschlossene Schlagplatte bildet einen Schallraum, der nur zur Korpusmitte hin geöffnet ist (siehe Foto oben).
Dieser Luftraum zwischen Decke und Schlagplatte ist ein Resonanzraum, der zusätzlich zum großen Korpus-Schallraum entsteht:
eine schmale Schallkammer auf der Decken-Oberfläche in der Form eines Kastentrichters. Solche Formen sind im Lautsprecherbau als Kasten-Hochtonhörner mit rechteckiger Schallaustrittsöffnung bekannt.
Die Schwingung der Balalaika-Decke wirkt wie eine Membran, die die Luft unter der Schlagplatte im Rhythmus der Tonschwingung komprimiert. Die verdichtete Luft wird aus dem Spalt unter der Platte herausgepresst.
Das sehr keine Schallloch der Balalaika sorgt für eine hohe Efffizienz der Decken-schwingung. Bei größerem oder fehlendem Schallloch wäre die Schwingungsamplitude geringer.
Hier findet ein allgemeines physikalisches Gesetz der Strömungslehre Anwendung:
Dieses besagt, daß in einem Luftspalt stets eine erhöhte Strömungsgeschwindigkeit entsteht. Je enger die Öffnung eines Schallraumes ( = je schmaler der Spalt) , desto höher die Strömungsgeschwindigkeit.
Drei Komponenten wirken hier zusammen und stehen in Beziehung zueinander:
1.Das Gesamtvolumen des Resonanzraumes zwischen Decke und Platte
2. Die Fläche der Schingungsmembran
3. Die Fläche des Spaltes
Daraus errechnen sich Luftgeschwindigkeit und Schalldruck.
Noch ein zusätzliches Phänomen:
Die ca. 3mm hohe Luftkammer unter dem Schlagbrett der Balalaika hat Dreiecksform. Sie wirkt somit wie ein Trompetentrichter bzw. wie ein Hornkammer-Lautsprecher.
Noch mehr Balalaika-Physik:
2. Der Korpus der Balalaika - eine Glocke
Der Klang der Balalaika wird häufig als "Glockenklang" charakterisiert,
die Balalaika selber als "Glocke" bezeichnet.
Glockenakustik
Der wohl bekannteste Schalltrichter, der den Ruf hat, den schönsten Klang hervorzubringen, ist die Glocke.
Den Russen wird nachgesagt, daß sie zwei Klänge über alles mögen: den Klang
der Gusli und den Klang der Glocken, dem sie stundenlang zuhören können und
der im mittelalterlichen Moskau - so wird berichtet - fast pausenlos erklang.
Beide Instrumente sind im Klang der Balalaika enthalten.
Glocken-Gusli: kastige Glocke
Das verbreitetste rusische Psalterium ist die schlemividnyje gusli. Der Name bedeutet zwar "Helm-Gusli", akustisch aber stellt diese Psalterium eine Glocke dar. Deshalb auch der glockenähnliche Klang dieser Zither. Die Glockenform ist allerdings nur im Korpus-Umriss verwirklicht. Das Instrumnent selber ist ein
flacher Kasten von geringer Tiefe.
Anders die Balalaika. Sie besitzt ein sphärisches Gesamt-Glockenvolumen.
Glocken-Balalaika: sphärische Glocke
Der dreieckige Resonanzkörper der Balalaika hat wegen seiner Trichterform eine große Ähnlichkeit und Verwandschaft mit dem Klangkörper einer Glocke. Diese stellt in stilisierter Form - wie die Balalaika - ein Dreieck bzw. ein spitzes Trapez dar. Die Balalaika kann als "längs-halbierte Glocke" angesehen werden. Der gewölbte Boden der Balalaika ist ein schwingender Glockenmantel.
Ein Unterschied besteht:
Eine Glocke besteht aus Metall, die Balalaika aber besteht aus Holz.
Bei der Balalaika wird aber nicht das Holz angeschlagen, sie gibt keine "Holztöne" von sich, sondern den Ton der metallenen Saiten.
Die Balalaika ist zwar von der Form und vom Material her eine Holzglocke, aber nicht vom Klang her. In der Akustik ist oft nicht das Material entscheidend,
sondern das, was dem Material aufmoduliert wird.
Beispiel: die Membran eines Lautsprechers besteht nur aus Pappe, die trichterförmig konisch geformt ist, dennoch kann diese Membran täuschend echt Geigenmusik, Trompetenklang, menschliche Stimme, zerspringendes Glas u.v.m. wiedergeben.
Die Balalaika besitzt den typischen trichterförmigen Schallraum der Glocke, der durch seine Reflexionseigenschaften Vorraussetzungen schafft für glockenähnliche Schalldruckverhältnisse und glockenähnliche Klangfärbungen.
Das gilt, obohl der Balalaikakorpus keine 360 Grad- Rotationssymmetrie aufweist, jedoch aber (angenähert) einen halbierten Glocken- Rotationskörper darstellt.
Glocke: Klang durch Klöppelanschlag.
Balalaika: Klang durch Saitenanschlag.
Glocken hatten nicht immer die bekannte Tulpen- oder Kelchform. Vor dem 15. Jhd. waren Zuckerhutglocken und Bienenkorbglocken sehr verbreitet.
Es gibt auch Glockenformen, die keine Rotationssymmetrie aufweisen.
Glocken aus einem Guss
und
Zusammengesetzte Glocken (genietetes Eisenblech)
Sehr alte Glocken aus Irland und Schottland haben oft eine rechteckige Form und sind nicht gegossen, sondern aus Blechen (Eisen oder Kupfer) zusammengefügt (genietet).
Die älteste Glocke Deutschlands (und zugleich die älteste erhaltene Kirchenglocke des europäischen Festlands), die "Ramsachglocke" ist eine solche geschmiedete Eisenblechglocke. Sie befindet sich im "Ramsachkircherl St. Georg" bei Murnau und stammt aus dem 8. Jhd. Sie hat einen rechteckigen Grundriß, ihre Vorderfront besitzt eine breite Trapezform, von der Seite gesehen ist sie ein Dreieck bzw. ein spitzes Trapez: Formen, die sich auch in der Balalaika-Geometrie finden. Die Ramsachglocke ist eine Handglocke von 60 cm Höhe.
Ein Bild der Ramsach-Glocke und weitere Infos:
(www.bistum-augsburg.de) (Stickwort:Historische Glocken - St.Georg Ramsach)
Bei der Glocke erfolgt die Klangerzeugung durch Anschlag des Klöppels (russ.: jasyk) gegen den Instrumentenmantel. Bei der Balalaika geschieht die Klangerzeugung durch Anschlagen des F i n g e r s gegen die Saiten, die den Instrumentenmantel zum Schwingen bringen.
Glocke: Der Klang (Stimme) entsteht durch Anschlag des Klöppels (Jasyk = Zunge, Sprache) Balalaika: Der Klang entsteht durch Anschlagen der Saiten ( = Stimmbänder) mit dem Finger
Glocken-Akustik
Balalaika und Glocke
Balalaika und Glocke - Schallkörper mit ähnlicher Geometrie
Der Resonanzkörper der Balalaika mit seiner dreieckigen Umrißform und seiner gewölbten Schale weist eine große geometrische Übereinstimmung mit dem Klangkörper einer Glocke auf. Die heutigen Glocken haben meist einen rotationssymmetrische Körper. Vergleicht man den Korpus der Balalaika mit dem Korpus einer solchen Glocke, muß korrekterweise die Balalaika als halbierte Glocke bezeichnet werden. Der Eindruck einer "längs halbierten Glocke" entsteht in der Tat bei Balalaiken mit einer stark gerundeten Schalenform des Korpusbodens.
Aber auch für kastige Balalaiken lassen sich Glockenbeispiele finden.
Anmerkung:
Es geht hier nicht darum, einen historischen Zusammenhang zwischen Glockenbau und Balalaikabau zu konstruieren. Es sollen hier nur formverwandte physikalische Resonanzkörper miteinander verglichen werden, um den Balalaikaklang zu ergründen.
Metallklang
Ein Unterschied besteht beim Material: Glocken sind aus Metall gegossen, Balalaiken bestehen aus Holz. Auch wenn es eine Ähnlichkeit der Form gibt, scheint es sich von selbst zu verbieten, den Metallklang der Glocke mit dem "Holzklang" der Balalaika zu vergleichen. Doch hier muß eines bedacht werden: die Mehrzahl der Balalaiken besitzen Stahlsaiten, bei gemischter Besaitung (Darm/Metall) ist die melodietragende a-Seite stets eine Stahlsaite.
Die hölzerne Balalaika erzeugt also ihren Klang, so wie die Glocke, durch angeschlagenes Metall !
Anschlag-Klöppel der Glocke: der Jasyk
Die Klangerzeugung bei der Glocke geschieht durch Anschlagen des Klöppels (russisch "jasyk"= Sprache, Zunge, Glockenklöppel) gegen den Glockenmantel. Dieser wird dadurch zum Schwingen gebracht.
Anschlag-Klöppel der Balalaika: der Finger (russ.: paletz)
Bei der Balalaika gilt das gleiche Tonerzeugungsprinzip wie bei der Glocke. Auch hier wird der Ton durch Anschlagen erzeugt: der Finger des Spielers ist der Klöppel. Der "Finger-Klöppel" schlägt gegen das Metall der Saite(n). Dadurch gerät der f l a c h e Teil des "Glockenmantels" der Balalaika, die Schalldecke, ins Schwingen. Die Schallwellen treffen auf den g e w ö l b t e n Teil des "Glockenmantel" und werden zwischen beiden "Mantelhälften" hin- und hergeworfen.
Der "Glockenmund" der Balalaika: das Schallloch
Mit "Glockenmund" wird die nach unten gerichtete Öffnung einer Glocke bezeichnet. Im Vergleich Glocke-Balalaika müßte der Mund der Balalaika der gesamte hintere Teil
sein, der dem Instrumentenhals gegenüber liegt. Dieser aber ist durch das Hinterbrett, die Sadinka, verschlossen.
In der modernen Kunst des Kubismus braucht ein Mund nicht immer an der Stelle zu sein, wo er sich in der Realität befindet. Der Mund kann auch an anderer Stelle erscheinen und dort seine Funktion wahrnehmen.
Bei der Balalaika findet sich der Mund in der Instrumentendecke. Das Schallloch ist der Mund der Balalaika und entspricht dem Glockenmund.
Das stark schräg gestellte Hinterbrett (Sadinka) der Balalaika ist ziemlich genau zu dieser Schallaustrittsöffnung hin ausgerichtet.
Trapezoide Formen:
Keltische Glocke und russische Balalaika
Glocken haben nicht immer Tulpen- oder Kelchform. Bevor sich diese Form durchsetzte - das war im 15. Jhd. -, waren andere Glockenformen sehr verbreitet,
z.B. folgende Glocken in rotationssymmetrischer Form:
Glocken mit Rotationssymmetrie
Röhrenglocken
Zuckerhutglocken
Bienenkorbglocken.
Becherglocken
Glocken ohne Rotationssymmetrie
Trapezoidglocken ("Kuhglocken")
Dies sind sehr alte Glockenformen. Keltische Glocken des 8.Jhds. aus Irland und Schottland haben diese Form. Die Glockenöffnung ("Glockenmund") ist nicht rund, sondern rechteckig. Trapezoide Glocken sind auch nicht gegossen, sondern aus Blechen zusammengefügt (genietet), danach manchmal in ein Bad aus flüssiger Bronze getaucht.
Die älteste Glocke Deutschlands und zugleich die älteste erhaltene Kirchenglocke des europäischen Festlands, die "Ramsachglocke" ist eine solche geschmiedete Eisenblechglocke mit trapezoider Form. Sie befindet sich im "Ramsachkircherl St. Georg" bei Murnau und stammt aus dem 8. Jhd. Sie hat einen rechteckigen Grundriß, ihre Vorderfront besitzt eine breite Trapezform, von der Seite gesehen ist sie ein Dreieck bzw ein spitzes Trapez. Die Ramsachglocke ist 60 cm hoch. Sie ist eine Handglocke mit einem Bügel-Handgriff.
(www.bistum-augsburg.de) (Stickwort:Historische Glocken - St.Georg Ramsach)
Glocken in dieser trapezoiden Form mit rechtwinkligem Glockenmund verweisen auf eine iro-schottische, keltische Herkunft. Als Handglocke besaßen sie meist einen
Bügelgriff. Die älteste Glocke dieser Art ist die St. Patricks Bell. Sie ist über 1400 Jahre alt und gehörte dem hl.Patrick, dem Missionar und Nationalheiligen Irlands, der hunderte dieser Glocken anfertigen ließ. Sie gehörten zur Grundausstattung der irischen christlichen Missionare.
Alte irische Glocken in der modernen Musik: Cow bells
Die alte irisch-keltische Glockenform ist heute wieder modern. Ein Cow bell Set, bestehend aus 5 trapezoiden Stahlglocken verschiedener Größe gehört zue Equipment vieler Schlagzeuger.
Balalaikaklang und Glockenklang.
Die Kantele
Sehr frühe Balalaiken, die aus einem einzigen Stück Holz eines Birkenstammes oder eines Birkenastes gearbeitet waren, besaßen eine sehr schmale Korpusform. Die gleiche schmale Form hatte ebenfalls die finnische Kantele. Es ist die gleiche spitz-dreieckige Form, die auch trapezoide Glocken aufweisen.
Die lettische Bezeichnung der Kantele lautet kokle
Die litauische Bezeichnung der Kantele lautet kankles.
Beide Bezeichnungen, kokle wie kankles, sind - so vermuten einige Sprachwissenschaftler - verwandt mit dem russischen Wort für
"Glocke" = kolokol.
(Man beachte besonders die Ähnlichkeit der Wörter: kokle = Glocke = kolokol)
(Siehe dazu das Stichwort "kolokol" im Etymologischen Wörterbuch von Max Vasmer.)
Die Bezeichnungen kokle und kankles beziehen sich entweder auf die Trapezoid-Form eines Glockenmantels oder auf den Klang einer Glocke.
Besonders seit der Verwendung von Metallsaiten ist Klang der Kantele/Kokle/Kankles/Gusli/Zither dem Klang einer metallenen Glocke sehr ähnlich.
Die Balalaika in ihrer früheren schmalen Form kann angesehen werden als eine Kantele, eine kokle, an die ein Hals angesetzt wurde, vergleichbar mit der Optik, die sich ergibt, wenn eine Handglocke mit eienm Stabgriff versehen wird.
(Siehe Skizze und Foto oben)
Durch die spätere Verbreiterung ihres Korpus im unteren Bereich ist der Klang der Balalaika noch glockenähnlicher und voluminöser geworden. Der Holzkorpus der Balalaika bewirkt jedoch, dasss der Glockenklang - besonders in den tieferen Tonlagen - eine geringe hölzerne (xylophone) Heiserkeit aufweist: ein typisches Charakteristikum des Balalaikaklangs, das dem Klangbild des Instruments seinen besonderen unverwechselbaren Reiz verleiht.
BALALAIKA-PHYSIK. DRITTER TEIL
Die zwei unterschiedlichen "Akustik-Konzepte" der Balalaika. Das "Lautsprecherprinzip"
Wer darf den Schall abstrahlen? - Die Decke? - Der ganze Korpus?
Es gibt Balalaikabauer, die entwerfen ihre Instrumente intuitiv, ohne sich Gedanken über Physik zu machen. Erfahrungswerte ersetzen physikalische Formeln.
Andere kennen die physikalischen Gesetze und wenden sie auch an.
Es geht um die Frage: Wie muss ich bauen, damit mein Instrument gut klingt bzw. die von mir gewünschte Klangwirkung bringt?
Welche physikalischen Gesetze der Akustik muss ich beachten und anwenden ?
Hier gibt es oft Überraschungen. Denn auch bei exakter Beachtung aller physikalischen Gesetze kommt manchmal ein Instrument dabei heraus, das "nach nichts" klingt.
Auch wenn die akustischen Messwerte hervorragende Ergebnisse zeigen, befriedigt der subjektiv empfundene Klang nicht.
Letztendlich entscheiden nicht Messgeräte, sondern das menschliche Gehör.
Es gibt viele Unberechenbarkeiten. Wie dem auch sei. Ohne Physik geht nichts.
Aber auch die Physik ist eingeordnet in akustik-religiöse Glaubensrichtungen.
Es sind zwei akustische Grundentscheidungen ("Akustik-Religionen"), zwischen denen man wählen muss. Jede hat einen anderen Einfluss auf die Konstruktion einer Balalaika.
Es geht um Antworten auf die Frage:
Welche Bereiche des Resonanzraumes dürfen bei der Balalaika durch die schwingenden Saiten in Resonanz versetzt werden - und welche nicht ?
2 Antworten:
Antwort 1: Der g a n z e Korpus muss mitschwingen.
Antwort 2: Nur die Instrumenten d e c k e darf schwingen.
Alle anderen Holzelemente müssen "schalltot" sein.
Sie haben nur schallreflektierende Eigenschaften.
Auch der Instrumentenhals darf keinen störenden
"Stimmstab-Effekt" aufweisen.
Die Entscheidung für eine der beiden Antworten hat Auswirkung auf die Bauweise der Balalaika. Instrumentenmacher, die meinen, der gesamte Korpus müsse schwingen, bauen das Instrument aus sehr dünnen Holzteilen, denn dünne Holzbretter schwingen leichter als dicke. Solche Balalaiken sind wahre Leichtgewichte und sind sehr empfindlich gegen äußere mechanische Einwirkungen.
Der ganze Korpus soll schwingen
Wer dieser Meinung ist, hat viel Vertrauen in das Zusammenspiel der verschiedenen Schwingungsfelder des Korpus. Es gibt kaum eine Berechenbarkeit.
Das Klangergebnis bestimmt der Zufall oder - wie die Balalaikabauer sagen - die Erfahrung und die Intuition. Auf den Einwand der Physiker, daß allzusehr mitschwingende Teile die Klangfarbe der Deckenschwingung verunreinigen, antworten sie, dass gerade dies den Reiz, die Individualität und die Schönheit des Klangs ausmacht.
Auch Edelsteine gewinnen oft erst durch Verunreinigungen ihren Wert, ihre Einzigartigkeit und ihre unverwechselbare Farbe.
Decken- und Bodenklang: Crotta-Steg und Innen-Stimmstab
Eine bestimmte Art von Saiteninstrumenten setzt ganz bewußt auf zwei Schwingungsebenen: die Streichinstrumente mit Crotta-Steg.
Hier ruht der eine Fuß des Steges ganz konventionell auf der Decke auf, der andere, der längere Fuß, ist durch ein Loch in der Decke durchgesteckt und
ruht auf dem Instrumentenboden auf.
Decke und Boden sollen so ganz gewollt zum gleichzeitigen Schwingen angeregt werden.
Man kann sich der guten Wirkung eines solchen Steges nicht entziehen: der erzeugte Klang ist tiefgründig und voluminös.
Für Nachahmer und Experimentierfreudige: der lange Fuß des Crotta-Steges befindet sich unter der tiefsten und dicksten Saite.
Eine weiteres Beispiel für Saiteninstrumente, bei denen auch der Gehäuseboden eine "Decken-Funktion" hat, sind Instrumente mit Stimmstab, z.B. die Violine.
Hier werden Decke und Boden durch einen Stimmstab miteinander mechanisch verbunden Hier soll auch der Boden gewollt mitschwingen. Dazu werden Decke
und Boden zwillingsgleich gestaltet. Beispiel: die Violine.
Das andere Konzept: Deckenklang
Diejenigen, die überzeugt sind, dass nur die Decke den Balalaikaklang abstrahlen darf, verbauen sehr starke Bretter bei der Korpus-Schale: bei den Bodenelementen und der Sadinka.
Diese stark gebauten Balalaiken sind sehr schwer, aber sie haben einen guten Nebeneffekt: Sie sind von sehr stabiler Bauweise und sehr rubust. Die Leimnähte haben aufgrund der großen Brettstärke sehr viel Kontaktfläche: Nahtrisse kommen kaum vor.
Für Balalaikabauer, die vom Lautsprecherbau her kommen, gibt es nur eine richtige Antwort:
Nur die Decke darf schwingen. Deshalb bekommt auch nur die Decke das beste Tonholz (nämlich engmaserige Bergfichte)! Alle anderen Teile sind nur Gehäuse. Die einzige Aufgabe des Gehäuses ist es, für den Deckenklang das Volumen bereit zu stellen. Selber mitschwingen darf das Gehäuse aber nicht.
Der überzeugendste Beweis für die Effizienz dieses Klangerzeugungskonzeptes ist das Lautsprechergehäuse. Durch viele Kunstgriffe und Dämm-Maßnahmen wird dieses als schalltotes Gehäuse gestaltet. Einzig die Membran darf schwingen. Ohne Mittun von Gehäuseschwingungen bringt diese jede gewünschte Klangfarbe hervor, imitiert alle Musikinstrumente und strahlt deren Klang in höchster Treue (Hifi) ab.
Bei der Balalaika gibt es kein besonderes Vorbild eines Schwingungskörper-Ideals.
Auch wenn bei ihr - im Unterschied zu Geigen und Crotten - eindeutig die Decke die eigentliche Schwingungsmembran ist und an die anderen Teile keine eigenen Klangforderungen gestellt werden, sind sie dennoch für den Klang mit entscheidend. Für die Balalaike gilt, wie für jedes Saiteninstrument:
Die Balalaika ist kein Klang-Wiedergabegerät, sondern selber in ihrer Gesamtheit klangerzeugend.
Der Balalaika-Korpus bewirkt 2 Dinge:
1. Er bildet den Resonanz- R a u m und stellt das Schall-Volumen zur Verfügung.
2. Er bewirkt durch seine Formung eine Färbung des Klangbildes .
Durch seine Geometrie bewirkt er verschiedene Reflexionen und Interferenzen
der durch die Saiten erzeugten Töne.
Der Reflexionsraum entscheidet darüber, ob eine Schallverstärkung eintritt oder eine Schallschwächung, hervorgerufen durch schädliche Interferenzen.
Es gilt auch das Gesetz: gebogene Flächen verstärken das Obertonspektrum gleichmäßiger als ebene Flächen.
Im Lautsprecherbau gibt es noch strengere Gesetze als im Musikinstrumentenbau. Hier sind a l l e Schallreflektionen im Innenraum verboten !
Das Lautsprechergehäuse (vergleichbar mit dem Musikinstrumentenkorpus) darf keinerlei Schallwellen abstrahlen, es muss völlig "schalltot" sein.
Deshalb wird die Lautsprecherbox mit Dämmwolle gefüllt, um Reflexionen im Inneren der Box zu unterdrücken. Einzige Schallquelle darf n u r (!) die Lautsprechermembran sein. Hifi (High fidelity) heißt diese Philosophie.
Eine Ausnahme bei dieser "Ein-Quellen-Philosophie" gibt es allerdings: Im Lautsprechergehäuse kann eine Öffnung angebracht werden, eine sogenannte "Bassreflexöffnung", aus der - als einer 2. Quelle - basshaltiger Schall austreten soll.
Eine solche Öffnung ist im Musikinstrumentenbau bereits mehrere Tausend Jahre vor dem Lautsprecherbau erfunden worden: das Schallloch der Saiteninstrumente.
Allerdings ist die "Bassreflexöffnung" der Balalaika sehr klein: die Prim-Balalaika soll keine Bässe erzeugen. Sie ist ein Instrument mit einer "Kinderstimme".
Balalaikabauer haben sich immer mit folgenmder Frage beschäftigt:
Was klingt besser: ein Instrument mit geschlossener oder eines mit geöffneter Decke, also einer Schallöffnung? Und wie groß darf diese Öffnung sein und welche Form soll sie haben?