1.6. HISTORIE  DER  BALALAIKA - B

 

BALALAIKA - HISTORIE

Von  der  persischen  Tanbur zur  russischen  Balalaika

 

Die langhalsige historische  Balalaika verweist auf die traditionelle persische TANBUR.

Russland und Persien waren durch das Kaspische Meer miteinander verbunden. Über die Wolga, die in das Kaspische Meer mündet, gab es einen Warenaustausch zwischen Russland und Persien.

 

SEIDENSTRASSE

Südlich des Kaspischen Meeres trafen die von der Ostsee kommenden Handelswege auf die ost-westlich verlaufende  Seidenstrasse, eine persisch dominierte Handelsstrasse, deren Haupt- und Nebenrouten China, Indien, Persien, Arabien, Byzanz, Ägypten u. a. Gebiete miteinander verbanden. Eine für ostslawischen Gebiete bedeutende Nebenroute war die "Kaukasische Seidenstrasse", die den Weg nach Norden öffnete. Entlang der ägyptisch-indischen Seidenstrasse erstreckte sich seit 331 v. Chr. das 

griechisch-persische Weltreich Alexanders des Großen.

 

DAS  GEOGRAFISCHE  "GEBURTS-DREIECK"

DER  BALALAIKA :

 

Im  ostslavischen Dreieck  zwischen  Ostsee,   Schwarzem Meer  und

Kaspischem Meer  trafen  von Norden und von Süden her  zwei Typen von Saiteninstrumenten  aufeinander, die die eigene ostslawische  Instrumenten-Tradition beeinflussten, prägten und zahlreiche Balalaika-Bauformen hervorbrachten.

Das Dreieck ist blau markiert: ein Hinweis darauf, dass die Hauptwege dieser Nord-Süd-Handelsroute Wasserstraßen (Flüsse)  waren .

In das  Schwarze Meer  münden:  Dnjepr und Dnjestr

In das  Asowsche Meer  mündet  der  Don.

In das  Kaspische Meer  münden:  Wolga, Ural, Kura, Terek

Die Transportmittel waren Schiffe. Boote wurden oft von einem Fluss zum anderen übers Land auf Rollen gezogen.

Schon vor der Gründung des Altrussischen Staates 882 war das ostslavische Siedlungsgebiet über  Handelswege,

die von der  Ostsee  ( Baltisches Meer ) nach Süden, zum Schwarzen Meer, Asowschen Meer und  Kaspischen Meer führten, mit  der  Seidenstraße  verbunden.

Seit 1184 war  Nowgorod eine Stadt der Hanse und entwickelte sich danach zum größten Handelsplatz Ost-Europas. Die Handelswege erstreckten sich von der Ostsee bis nach Persien und Byzanz und nach Süden zur Seidenstrasse von China bis Ägypten.

Dies führte zu einem Warenaustausch  größten Ausmaßes. Handelsgüter waren nicht nur Seide,Felle, Bernstein und Gewürze, sondern auch Dinge des täglichen Gebrauchs, z.B. Musikinstrumente. Wo Handel getrieben wird, findet immer auch eine  Begegnung von Kulturen statt. Erfolgreiche Handelsabschlüsse wurden gefeiert.

Auf solchen gesellschaftlichen Begegnungen wurde gesungen und getanzt: und dies immer unter  Begleitung von Musikinstrumenten. Verschiedene Traditionen des Gesangs und des Musikinstrumentenbaus trafen aufeinander und beeinflussten sich.

 

Nördlicher Ausgangspunkt:  Ostsee-Raum

Die  älteste Handelsniederlassung  im Norden  des ostslavischen Raumes  war Staraja Ladoga, gegründet ca. 750  von skandinavischen Warägern.

Im Ostseeraum ( Finnland,  Lettland,  Litauen,  Estland )  war  eine  halslose Kastenzither mit flachem schmalem  dreieckigen Korpus  weit verbreitet: das Psalterium (Zither, finnische Kantele, Kannel, Kokle). 

Ein Instrument dieses Typs wurde im 12. Jahrhundert das Nationalinstrument Russlands: die Gusli.

 

Südlicher Ausgangspunkt: Persische Seidenstrasse

Von Persien aus über das Kaspische Meer und die Seidenstrasse  gelangte ein Saiteninstrument  anderen Typs  in das ostslavische Gebiet: die  Tanbur. 

Die Tanbur war ein  Zupfinstrument mit langem Hals. Sie besaß 2 oder 3 Saiten. Ihr rundbauchiger Korpus war sehr klein. Er besaß eine halbkuglige oder ovale Form.

Auf ihrer Wanderung nach Norden über das Kaspische Meer und den Kaukasus bekam der Korpus der Tanbur im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Ausprägungen.  Es gab zahlreuche Formvarianten, z.B.:

 

Halbkuglige Schöpfkelle, ovaler Löffel, dreieckige Schaufel, Bootspaddel, rechteckiger Kasten,  "abgeschnittenes Ei", schaufelförmiger Brotschieber   und Mischformen zwischen diesen.

 

Eine große Formenvielfalt der Tanbur bildete sich im  Kaukasus  heraus.

Auch heute noch werden dort viele nicht-dreieckige Tanburen

( "Balalaiken") gespielt, sog. "Berg-Balalaiken".

 

BALALAIKA

HERKUNFT -  KULTURELLER  KONTEXT - NAME

 

Mongolisch-tatarische Herkunft der Balalaika

 

In diversen "Sachartikeln" und  Publikationen auf dem Gebiet der russischen Musikikinstrumente und ebenso in Programmheften zu Balalaikakonzerten wird immer wieder ein mongolisch-tatarische Ursprung der Balalaika behauptet, als sicher angenommen oder zumindest als sehr wahrscheinlich bezeichnet.

Man liest Sätze wie:

"Die Mongolen haben die Balalaika nach Russland eingeschleppt" ( sic ! )

"Die Balalaika wurde von den Mongolen zu den Russen gebracht"

Diese These wird aber nie präzisiert.

Zwangen die Mongolen und Tataren den Russen die Balalaika gegen deren Willen auf? Wie soll dieses "Bringen" oder "Einschleppen" geschehen sein, wo doch die Eroberungstaktik der Mongolen darin bestand, möglichst viel aus Russland

heraus zu schleppen? Die Eroberer machten Russland tributpflichtig. Und die Tribute trieben sie noch nicht einmal selber ein, sondern ließen diese Arebit von russischen Fürsten verrichten. Dass die Mongolen ein Interesse daran hatten, ihre Kultur den unterworfenen Völkern (China, Persien, Russland) zu vermitteln, dafür liefern Quellen keine Belege, eher für den umgekehrten Vorgang.

Das, was die Russen von den Mongolen freiwillig übernahm,en, war die Art ihrer Kriegsführung mit dem Zweck, die Eroberer mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und zu vertreiben.

Von 1243 bis 1480 dauerte das sog. "Tatarenjoch", die Besetzung Russlands durch die Mongolen (Tataren).

Sollten die Russen des Kiewer Reiches  ("Kiewer Rus", gegründet 862 in Nowgorod), eines Reiches mit weltweiten Handelsverbindungen, wirklich ein Volk gewesen sein, das die seit dem Perserreich der Achämeniden in Asien verbreitete Langhalslaute nicht kannte?

Sollte dieses Lauten-Instrument im ersten russischen Staat 400 Jahre lang

unbekannt gewesen sein, bis es endlich durch die mongolische Invasion 1223

bzw. durch die tatarische Eroberung im Jahr 1240  nach Russland gelangte ?

Ein seßhaftes Handelsvolk, das durch die Flüsse Verbindungen zur Ostsee, zum Schwarzen Meeer und zum Kaspischen Meer hatte, und auf eigenem Gebiet viele Marktplätze und Handelsniederlassungen aufzuweisen hatte, sollte erst 400 Jahre nach seiner Gründung durch ein Reiternomadenvolk, das zudem in feindlicher kriegerischer Absicht nach Russland kam, die Langhalslaute Balalaika und vielleicht noch andere Musikinstrumente bekommen haben?

Das ist sehr, sehr unwahrscheinlich und läßt sich auch nicht begründen.

 

Russland -

Marktplatz zwischen Warägern und Persern

 

Das russisch/ostslawische Siedlungsgbiet  ist nicht zu vergleichen mit einem Jahrhunderte lang unentdeckten im Dornröschenschlaf liegenden Eingeborendorf, das von seinen Entdeckern - in diesem Fall die  Mongolen - "wachgeküßt "wurde. Es verhält sich ganz anders: Die Russen lebten  300 Jahre nach ihrer Staatsgründung  -  ohne mongolische Mithilfe  -  in einem gut organisierten Staatswesen, das sogar eine Zeit lang der größte Staat Europas war, ein Staat mit hohem Bildungsniveau (Die Nowgoroder Birkenrindentexte zeugen davon)

und mit Handelsverbindungen zur Ostsee im Norden  und im Süden zu

Schwarzem Meer und Kaspischen Meer.

Ladoga (russisch Ладога) war einer der wichtigen Handelshäfen Nordeuropas zwischen 750 und 950 n. Chr. Die älteste in Europa gefundene Münze des arabischen Mittelalters, die auf das Jahr 786 datiert, wurde hier gefunden.

(Zitiert aus: Wikipedia "Nowaja Ladoga")

Nowgorod war seit 1184 eine Stadt der Hanse.

Die Ostslawen waren ein Volk, das lange vor der tatarischen Eroberung eine eigene Musikkultur besaß. Die "Rus" war wegen ihrer Musikalität bekannt.  In Nowgorod gab es im 12. Jhd. -  lange vor der tatarischen Eroberung - berühmte Guslispieler.

 

Wenn von "Bringen" die Rede ist, dann geschah dieses Bringen schon eher durch die Waräger des Nordens, die im 9.Jhd. das russische Staatswesen mit aufbauten und handelsgüter von Norden nach Süden und von SWüden nach Norden brachten.

 

Die Nestor-Chronik  ("Повесть временных лет") berichtet von dem Miteinander von Warägern und Slawen.

(Der nachfolgende Auszug aus der "Laurentiuschronik" -Fassung ist zitiert aus dem Artikel "Nestorchronik" in wikipedia deutsch):

 

Und sie gingen über das Meer zu den Warägern, zu den Rus, denn so hießen die Waräger „Rus“, wie andere Schweden heißen, andere Norweger und Angeln, andere Gotländer: so auch diese.

 

Und es sprachen die Rus,

die Tschuden (Anm.: siehe Esten),

Slowenen (Anm.: gemeint sind die Ilmenslawen),

Kriwitschen und Wes:

"Unser Land ist groß und reich, doch es ist keine Ordnung in ihm;

so kommt über uns herrschen und gebieten."

Und die drei Brüder wurden erwählt samt ihren Sippen,

und sie nahmen alle Rus mit sich und kamen.

Rurik, der ältere, ließ sich in Nowgorod nieder,

der zweite Sineus (v. schwedisch "sine hus") am Weißen See (Belo Osero),

der dritte  Truwor  in  Isborsk.

Und nach diesen Warägern wurde das Land um Nowgorod "Rus" genannt, und die Nowgoroder sind vom warägischen Geschlecht,

früher nämlich waren sie Slowenen.“

 

Die Waräger waren Kaufleute und Händler; das "Bringen" gehörte zu ihrem Beruf, nämlich das Bringen, Tauschen und Kaufen von Waren und der Handel allgemein.

Sie brachten ihre eigenen Waren aus dem Norden hinunter in den Süden zu den Ländern des Schwarzen Meeres und des Kaspischen Meeres. Und sie brachten Waren in die umgekehrte Richtung. Russland war nicht nur Transitland, sondern Ziel-Land. Hier, im Gebiet des ersten russischen Staates, wurden Handelsniederlassungen errichtet und eine große Zahl von Kaufmannssiedlungen gegründet. Viele russische Städte sind aus diesen Siedlungen hervorgegangen.

 

(Zum Thema "Handelswege": siehe Karte unten !)

 

Dier ersten "Balalaiken" (d.h. Langhalslauten) werden auf diesem Süd-Nord-Weg (vom Kaspischen Meer und vom Kaukasusgebiet) nach Russland gelangt sein und dort Annahme und Verbreitung gefunden haben.

 

Wenn hier von "Balalaika" die Rede ist, ist noch nicht das  dreieckige Instrument in seiner heutigen Form gemeint. Die heutige Balalaika-Form ist 1883 von Wassili Andrejew entwickelt worden - übrigens gänzlich ohne Mithilfe von Mongolen oder Tataren. Auch die alten Waräger waren daran nicht beteiligt.

 

Der behauptete tatarische Ursprung bezieht sich auf  Balalaikaformen vor Andrejew.  Es gab eine Vielzahl von Formen und unterschiedlicher Herstellungsarten: Kürbisbalalaiken, Holzbalalaiken mit runden, schaufelförmigen, ovalen Korpora, und auch hier wieder verschiedene Konstruktionsvarianten.

Welche Balalaikaform  sollen die Russen von den Tataren übernommen haben (auf welche Art auch immer) ? Hier ist eine Beweisführung sehr schwierig.

Es fehlen konkrete Hinweise und Belege.

 

 

Russen und Tataren

 

Seit dem 13. Jahrhundert ( von 1223 bis 1480) geriet das Gebiet der russischen Fürstentümer der  Kiewer Rus  unter die Herrschaft der Mongolen und Tataren.

Der erste russische Staat, der 862 von Nowgorod aus gegründet wurde ("Die Kiewer Rus" oder präziser  "Alt-Russisches Reich" ) unterlag in der Schlacht an der Kalka ( Би́тва на реке́ Ка́лке) im Jahr 1223 den mongolischen Feldherrn Dschingis Khans und ging

1240 endgültig im sog. "Mongolensturm" unter.

Das gesamte russische Leben wurde fortan, d.h. 250 Jahre lang, asiatisch-mongolisch-tatarisch geprägt. "Russisches Chinesentum" nannte es der Historiker Sergej  M. Solowlow.

Nicht immer standen die Russen in Opposition zu den Tataren, oftmals wurden Bündnisse geschlossen. Tatarische Stämme waren willkommene Helfer, wenn ein russisches Fürstentum gegen ein anderes in den Krieg zog.

Einer der größten russischen "Volkshelden" des 13. Jahrhunderts, Alexander Newski  aus der Dynastie der Rjurikiden, Fürst  von Nowgorod, der in der orthodoxen Kirche als Heiliger verehrt wird, hat nicht etwa gegen die Tataren gekämpft (mit denen konnte man sich arrangieren), sondern gegen die Schweden (Schlacht an der Newa 1240). Und er war siegreich gegen  den Deutschen Orden: in der Schlacht auf dem (zugefrorenen) Peipus-See im Jahr 1242

(genannt  "Schlacht auf dem Eise" : Ледо́вое побо́ище).

("Peipus" = deutsche Bezeichnung für die russische Stadt "Pskow".)

Mit dem Mongolen-Khan Batu arrangierte sich Alexander Newski und unterstützte seine Einrichtung eines Steuereintreibungssystems in Russland.

 

Der entschiedene Kampf gegen die tatarischen Eroberer ging später vom Großfürstentum Moskau  aus.

Zar Iwan IV. ("der Schreckliche"), Großfürst von Moskau, leitete mit der Eroberung Kasans  1552 die Befreiung vom "Tatarenjoch" ein.  Nun wurden die Herrschaftsverhältnisse umgekehrt: die Tataren gerieten unter russische Herrschaft: Eine neue Epoche russisch-tatarischer Verflechtung begann.

Berühmt und viel zitiert ist der Ausspruch des französischen Marquis de Custine im 19. Jhd.: "Grattez le Russe et vous trouvez le Tatare"

("Kratzt den Russen an, und ihr findet den Tataren").

 

Doch zunächst zu den Mongolen und Tataren. Sie werden in ihrem Einfluß auf Russland entweder maßlos überschätzt ( "Sie brachten den Russen die Kultur")

oder maßlos unterschätzt ("Sie waren kulturlose Barbaren").

Waren die Mongolen und Tataren kulturlose Barbaren? Die Chroniken aller von den Mongolen eroberten Völker berichten übereinstimmend von der unvorstellbaren Grausamkeit der mongolischen Krieger. Aber dennoch war die mongolische Kultur keine Primitivkultur. Als Nomadenvolk haben die Mongolen ein Reich hervor-gebracht, das das größte Landreich der Erde war, politisch hervorragend organisiert, und mit einer spezifisch nomadischen Kultur von hohem Niveau. Ärchäologische Funde zeugen davon.

Mit der Errichtung der  Hauptstadt Karakorum  1220  bewies Dschingis Khan, zu welch städtebauliche Leistung ein Nomadenvolk fähig ist, nicht zuletzt dadurch, daß er bereit war, andere fremde Kulturen in die eigene Kultur zu intergrieren.

Am Aufbau von Karakorum waren viele Fremde beteiligt. Nicht nur der Bau der Stadt ist bewundernswert, sondern auch die Entwicklung des städtischen Lebens dort, das mongolische und fremde Kulturen wie in einem Schmelztigel zusammenwachsen ließ.

Historiker weisen darauf hin, daß die Kultur der Mongolen nie tief in die Kulturen der von ihnen eroberten Länder eingedrungen ist. Die Stärke der Mongolen bestand in einer effizienten vorbildlichen Verwaltung, ihre kulturelle Prägekraft war jedoch gering und blieb an der Oberfläche.  Hörte der mongolische Einfluss auf, so konnte das okkupierte Volk schnell seine eigene kulturelle Identität wiederfinden: es "schüttelte den mongolischen Einfluss ab wie den Staub von einem Kleidungsstück". Im Kulturland Persien ist dies genau so geschehen.

In Russland währte die mongolische bzw. tatarische  Besatzung 250 Jahre. Hier konnte es nicht ausbleiben, dass die Herrschaft der Besatzer größere Spuren hinterließ.

Die slawischen Russen übernahmen - teils gezwungenermaßen, teils freiwillig - viele Lebensweisen ihrer asiatischen Besatzer. Auch der Austausch von Dingen des täglichen Bedarfs gehörte dazu. Die Langhalslaute war auch bei den asiatischen Steppenvölkern bekannt: die Dombra. Sie existierte in verschiedenen Formen.  Es kann sein, daß  Formen und Bauarten dieser Langhalslaute auf den Instrumentenbau in  Russland Einfluss ausgeübt haben. Beweise allerdings sind schwer zu erbringen.

 

 

Russlands Verbindung mit den Hochkulturen des Ostens

 

Das erste russische Reich, die "Kiewer Rus", in Weliki Nowgorod gegründet, war kein abgeschottetes Gebiet, sondern  -  im Gegenteil  -  ein Hauptumschlagplatz des europäisch-asiatischen Handels, das Bindeglied zwischen Ostsee (Schweden, Deutsches Reich), Schwarzem Meer (Byzanz) und Kaspischem Meer (Persien).

Es gab Handelsabkommen mit Byzanz (die russische Bezeichnung für Byzanz  lautete "Zargrad", wovon sich später der russische Herrschaftstitel "Zar" ableitete).  Nowgorod und Kiew waren bedeutende europäische Handelsplätze. Viele russische Städte (wie z.B. Twer) sind hervorgegangen aus Kaufmannssiedlungen.

 

Am Ende des 10. Jhd. wurde das kulturell hochstehende  Reich der Chasaren , ebenfalls ein Staat mit weitreichenden Handelsverbindungen, von der Kiewer Rus besiegt und große Teile davon dem russischen Staat einverleibt.

 

Das Reich der Chasaren 7.-10-Jhd. Im Süden: das von den Arabern eroberte ehem. Persische Reich. (Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chasaren.jpg)

Das chasarische Reich erstreckte sich nördlich des Kaspischen Meeres, das deshalb auch das "Chasarische Meer" genannt wurde.

Die Chasaren waren ein Turkvolk, das die jüdische Religion angenommen hat. Das Chasarenreich unterhielt Handelsverbindungen in alle Welt. Diese Verbindungen wurden nun, im 10.Jhd., vom russischen Reich genutzt. Auch die Handelsrouten der Araber, die 642 Persien erobert hatten, führten durch russisches Gebiet. Die islamischen Araber besaßen eine große Musikkultur und hatten zudem den großen Schatz persischer Musikinstrumente übernommen, nachdem sie das persische  Sassanidenrich erobert hatten.

Kurzum: das russische Gebiet war keineswegs von der Welt abgeschnitten.

Seit 1184 war Nowgorod ein Stützpunkt der Hanse und größter Handelsplatz Osteuropas.

 

Der österreichische Historiker Hermann Schreiber erinnert an folgende Tatsache:

 

"Die zwei größten Handelsvölker des Mittelalters, die Skandinavier und die Araber, reichten einander die Hand nicht in Paris  und nicht am Rhein, nicht an der Rhone und nicht an der Donau, sondern in den Handelsplätzen am Dnjepr und an der Wolga."

(Hermann Schreiber, Deutscher Osten, S.149)

 

Das Persien der Sassaniden war 642 n.Chr. von den islamischen Arabern erobert worden. Persische Kultur fand Eingang in die arabische Kultur. Das gilt auch für den Bereich Musik und Musikinstrumente.

 

Die persische Tanbur

 

Zum persischen Musik-Instrumentarium gehörte auch das langhalsige Zupfinstrument Tanbur, entweder mit Kürbis- oder Holzkorpus.

Die Kalebassen-Tanbur (Kürbis-Tanbur) bestand aus 3 Teilen:

1. Ein habierter Kürbis als Resonanzkjörper

2. Ein Holzstab als Instrumentenhals, der mit dem Kürbis verbunden war.

3. Die Instrumentendecke: Tierhaut (Pergament) oder Resonanzbrett aus Holz.

 

Die Holz-Tanbur war zweiteilig:

1. Korpus und Hals wurden oft aus einem einzigen Stück Holz herausgeschnitzt.

2. Die Instrumentendecke: Tierhaut (Pergament) oder Resonanzbrett aus Holz.

 

Dutar =  die 2-saitige Tanbur

Die Tabur besaß anfangs nur 2 Saiten. Sie wurde deshalb "Dutar" genannt (persisch "du" = zwei, "tar"=Saite).  Die Saiten  liefen über einen auf die Decke gesetzten Steg. 

Statt aus einem Kürbis konnte das Instrument auch gänzlich aus Holz gebaut werden.

 

Die  Arabisierung  der  Tanbur  im  7. Jahrhundert   

 

Von der "Tanbur" zur  "Al Ud"

 

Als die Araber im Zuge der islamischen Expansion Persien eroberten, nahmen sie sich auch des Instruments Tanbur an. Die Tanbur existierte nicht nur als Kürbis-Instrument, sondern es müssen zu dieser Zeit auch viele Tanburen aus Holz gefertigt worden sein, denn die Araber nannten das Instrument  al-‘ûd.

 "ûd" bedeutet: Holz. "al" ist eine grammatikalische  Artikelform, also:

al-‘ûd = das Holz. Aus diesem arabischen Wort entstand das uns bekannte Wort: Laute  (La -ut -e).

(Einige Forscher beziehen das Wort "ud" nicht auf den  Gesamt-Korpus des Instruments, sondern nur auf die   hölzerne Decke. Wieder andere wollen das Wort "ud" nur auf das  hölzerne Plektrum, mit welchem das Instrument gespielt wurde, bezogen wissen.)

 

Nicht nur der Name der Tanbur wurde verändert, auch das Instrument selber.
Es scheint, daß die Araber in der Schaffung der "Ud" zwei Lautentraditionen zusammengeführt haben:

die Kurzhalslaute "Barbat" und die  Langhalslaute "Tanbur" wurden miteinander zu einem neuen Instrumententyp vereint: es entstand die  arabische  Laute.

 

Persische Tanbur. Original aus Persien
Arabische Laute

Naheliegender als eine nicht beweisbare mongolische Herkunft der Balalaika ist die Annahme, dass die Langhalslaute Tanbur durch persischen Einfluss nach Russland gelangte (über Handelswege), lange vor der mongolischen Invasion, und später in Russland den Namen "Balalaika" erhielt.

 

Die persische Langhalslaute Tanbur fand durch Alexander den Großen seit 331 v.Chr. auch Eingang nach Griechenland.

Wie hann man sich diese persische Tanbur vorstellen?

 

Ein moderner Nachbau, der heute im Handel erhältlich ist, könnte eine Vorstellung davon vermitteln (Bild unten). Diesen Nachbau gibt es in 2 Längen: 90 cm und 65 cm. Die Korpusbreite beträgt jedesmal 11 cm. Die Abbildung zeigt die 65 cm-Ausführung in bearbeiteter Form:

eine Tanbur mit schmalem Korpus, aus einem einzigen Stück Holz (Baumstamm oder  Baum-Ast) geschnitzt.

Nachbau einer Tanbur/Balalaika. Korpus, Hals und Wirbelbrett aus einem einzigen Stück Holz.

Das nachfolgende Bild zeigt eine Terrakottafigur, die in der griechischen Stadt Tanagra gefunden wurde. Sie stammt aus hellenistischer Zeit, aus dem 2.Jhd v. Chr. und zeigt den Einfluss persischer Kultur auf Griechenland.

In Griechenland wurde die persische Tanbur Pandura genannt. Ihre Form entspricht der oben gezeigten "Balalaika".

 

Pandura-Spielerin. Terrakottafigur 2.Jhd. v.Chr. ( Hellenistische Epoche ) Gefunden in Tanagra, Griechenland. (siehe wikipedia: Tanagra-Figuren)

"Pandoura 002" by Original uploader was Galassi at en.wikipedia - Transferred from en.wikipedia; transfer was stated to be made by User:Villanueva.. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons -

 

Die Tanbur ("Balalaika")  - 

im  Altrussischen Reich ("Kiewer  Rus")  des 10. Jhds.

Viele Gründe sprechen dafür, daß die persische Langhalslaute "Tanbur", die später (im 13. Jhd.?) in Russland den tatarischen Namen "Balalaika" erhielt, im ersten russischen Reich bekannt und verbreitet war, wohl sogar unter dem persischen Namen "Tanbur"

Die erste russische Staatsgründung ("Kiewer Rus") geschah im Jahr 862.

Von 862 bis 882 war Nowgorod die Hauptstadt der Rus, im Jahr 882 wurde das im Süden gelegene Kiew die Hauptstadt.  Nowgorod im Norden (am Ilmensee gelegen)  und Kiew im Süden (am Dnepr) waren beide bedeutende und große Handelsstädte.

 

Die Kiewer Rus war kein von der Welt abgeschnittenes Bergdorf, das erst durch den Tatareneinfall aus seinem Dornröschenschlaf "wachgerüttelt" wurde, sondern von Anfang an, 400 Jahre vor der tatarischen Invasion, ein lebendiges weltoffenes Staatswesen. Russland gehörte zu den größten Staaten Europas. Dank der Wasserwege über Dnjepr, Wolga und Don, die es schon zu wärägischer Zeit gab, war die Rus in den weltweiten Handel eingebunden. 1184 errichtete die Hanse einen wichtigen Stützpunkt in Nowgorod.

(Zu den Handelswegen: siehe Karte unten)

Nowgorod war der wichtigste Umschlagplatz für Waren und Kulturgüter im östlichen Europa. Von Nowgorod aus führte ein Handelsweg zur Wolga und von dort aus über das Kaspische Meer nach Persien ( die Heimat der "Ur-Balalaika", der Tanbur). Die Stadt Twer (die Lieblingsstadt von Andrejew, des Vaters der Balalaika), ist entstanden aus einer Ansiedlung von Kaufleuten. Twer ist  1127 erstmals urkundlich erwähnt und somit 20 Jahre älter als Moskau.

Von Kiew aus führte ein wichtiger Handelsweg zum Schwarzen Meer und nach Byzanz. Kiew ist bereits 860 in einer Chronik urkundlich erwähnt.

Staraja Ladoga (Alt-Ladoga) war einer der wichtigen Handelshäfen Nordeuropas zwischen 750 und 950 n. Chr.  Die älteste in Europa gefundene Münze des arabischen Mittelalters, die auf das Jahr 786 datiert, wurde hier gefunden.

(zitiert aus: wikipedia "Alt-Ladoga")

Die Kiewer Rus war ein bedeutsames  Bindeglied zwischen Westeuropa und dem asiatischen Kulturraum ( Byzanz, Persien, China, Indien ).

 

Das auf der Startseite erklärte Y-Favikon dieser Website enthält neben den 3 aufgeführten Bedeutungen noch eine vierte Aussage: es stellt eine geografische Karte der Handelsverbindungen Russlands mit dem Norden (Ostsee) und dem Süden (Schwarzes Meer, Kaspisches Meer) dar. In dieses geografische Schema ist auch das Verbreitungsgebiet der Balalaika einzuordnen.

 

 

 Von der persischen Tanbur zur arabischen Laute

 

1.  Vergrößerung des Korpus

     Der kleine Korpus der Tanbur wurde in der Länge und in der Breite vergrößert.

2.  Spanbauweise

     Der vergrößerte Korpus wurde nicht mehr (wie die Tanbur) aus einem einzelnen

     Holzstück herausgeschält, sondern aus einzelnen Spänen zusammengesetzt.

3.  Vermehrung der Saitenzahl.

     Anfangs Erhöhung der Saitenzahl auf 4. Heutige arabische Lauten haben 6 oder

     auch 7 Saiten, in der Regel doppelchörig. Also: Gesamtzahl der Saiten: 12 (14).

4.  Verbreiterung des Halses

     Die Vermehrung der Saitenzahl erforderte eine  Verbreiterung des Halses.

5.  Verkürzung des Halses

     Der lange Hals der Tanbur wurde verkürzt. Es wurde aber kein stetiger

     Übergang  zwischen Korpus und Hals geschaffen. Dieses typische Merkmal des

     Barbat  (Birnenform, Schinkenform) wurde  für die Ud nicht übernommen.

     Hier blieb die Ud dem Vorbild der Tanbur getreu.

6.  Weglassen der Bünde

     Während die persische Tanbur und die nah ihrem Vorbild gebauten Tanburen,

      so auch die russische Balalaika, stets einen bundierten Hals aufweist,

      verzichtet die arabische Laute sehr häufig auf Bünde (siehe Bild oben).

7.  Knickhals-Wirbelkasten

     Der obere Halsbereich mit den Wirbeln wurde nach hinten abgeknickt:

     es entstand die "Knickhalslaute". Der Knick bewirkt einen Schwelleneffekt: Die 

     Saiten werden straffer über die Obersattel-Schwelle geführt.

     Außerden bewirkt der abgeknickte Hals eine optische Verkürzung des

     Instruments. Ein weiterer Nebeneffekt: die liegende Laute erhält einen

     praktischen Auflagefuß.

8.  Veränderung der Saitenwirbel

     Anstelle der unterständigen Steckwirbel der Tanbur erhielt die arabische Laute

     seitenständige Wirbel.

9.  Saitenbefestigung  a u f  der Decke ("Knüpfsteg")

     Eine sehr grundlegende Veränderung erfolgte bei der Saitenbefestigung.

     Die Saiten wurden nicht mehr - wie bei der Langhalslaute Tanbur  und auch der

     Kurzhalslaute Barbat - am  R a n d  des Korpus  (außerhalb der Decke) 

     befestigt, sondern  a u f  der  Instrumentendecke  an einem  hölzernen

     Querriegel, der zugleich als Steg diente ("Knüpfsteg"). Jedoch gibt es auch

     arabische Lauten mit Saitenbefestigung am Korpusrand und Unterstell-Steg.

     Der irakische Oudvirtuose Munir Bashir spielt eine solche 7-saitige Laute.

10.Vergrößerung und Vermehrung der Schallöffnungen

     Das Schalloch wurde nicht nur vergrößert, sondern es wurden oft noch

     zusätzliche Schalllöcher geschaffen, meist drei (siehe Bild oben). Diese wurden

     mit  Rosettengittern  versehen, was bei der persischen Tanbur nicht üblich ist.

     Die persische Tanbur und Tanburen, die sich nach dem Vorbild der persischen

     Tanbur richten,  also auch die russische Balalaika, weisen ein sehr kleines

     Schalloch auf, bzw. ein  Löcherfeld  mit sehr kleinem Lochvolumen.

 

 

Die "Russifizierung" der persischen Tanbur

seit dem 9. Jahrhundert

 

Von der  "Tanbur"  zur  "Balalaika"

 

Das erste russische Staatswesen existiert seit dem Jahr 862. Zu dieser Zeit war Persien Teil des arabischen Kalifats und die persische Tanbur wurde Schritt für Schritt "arabisiert": Durch Korpusvergrößerung, Halsverkürzung  und Vermehrung der Saitenzahl wurde sie zur arabischen Laute.

Dennoch blieb die Tanbur parallel dazu in ihrer persischen Urform (kleiner Korpus, langer Hals) weiterhin bestehen und gelangte in dieser Form in die Kaukasusgebiete, nach Russland und die zentralasiatischen Regionen.

Es gibt keinen Hinweis darauf, daß die Tanbur in ihrer arabischen Form, also als "arabische Laute" bei den Völkern der Rus bekannt geworden ist.

Die russische Tanbur stand in der persischen Tradition.

Ihre Verbreitung geschah höchstwahrscheinlich durch direkte persische Verbindungen auf dem Handelsweg über die Wolga  oder  vermittelt durch die Kaukasusvölker. Im Kaukasus existieren bis heute Langhalslauten, in deren Namen das Wort "Tanbur" mitklingt (z.B. Pondar, Panduri).

Seit dem 9. Jahrhundert begann im russischen Staat allmählich die Entwicklung

der Tanbur hin zu einer immer breiter werdenden Dreiecksform.

 

Drei  persische  Musikinstrumente  in  Russland

 

1. Die persische Tanbur   entspricht der russischen Balalaika

2. Die persische Santur entspricht der russischen Gusli

3. Der persische Barbat entspricht dem russsischen Gudok

 

 

Außer der  Tanbur  gelangten auch zwei andere persische (bzw. in Persien verbreitete) Instrumente  nach  Russland und wurden dort beheimatet:

 

Der Santur, eine persische Brettzither, die in Russland "Gusli" genannt wurde

und dort im 12. Jhd. als Nationalinstrument bezeugt ist.

 

Der Barbat, eine persische Geige, die in Russland "Gudok" genannt wurde.

Das frühe Vorhandensein des Barbat in Russland ist durch archäologische

Funde bewiesen: der Fund eines Gudok aus dem 10.-12. Jhd. in Nowgorod:

die sog. "Nowgorod-Lira".

Auch heute ist der Gudok in Russland wieder häufig in Gebrauch.

 

Formänderung der Tanbur in Russland

Genau wie die Araber veränderten auch die Russen die Form der persischen Tanbur. Der Hals wurde verkürzt. Die Saitenaufhängung aber wurde am Korpusrand belassen und nicht wie bei den Arabern auf der Decke plaziert. Die augenfälliste Veränderung aber ist diese:

die Korpusform  wurde mehr und mehr zu einem breiten Dreieck umgeformt. Diese Veränderungen geschahen in einem längeren Prozeß und regional unterschiedlich.

 

Namensänderung der Tanbur in Russsland

So wie bei den Arabern erhielt die Tanbur auch bei den Russen einen anderen Namen: In Russland wurde sie  Balalaika  genannt. Diesen Namen trägt sie noch heute. Der Name "Balalaika" verrät  tatarischen Spracheinfluss.

 

Russen und Tataren

 

Die Tatarenherrschaft über Russland begann im 13.Jhd. Die Tataren waren für die russischen Fürstentümer keine Unbekannten. Jahrhunderte lang vorher gab es zahlreiche  Berührungen mit diesem Reiternomaden-Volk, das aus den Steppen Zentralsiens kommend immer wieder kriegerisch nach Westen vordrang.

Diese "Berührungen" waren jedoch nicht immer nur kriegerischer Natur, es gab auch Epochen friedlicher Koexistenz.

Die persische Langhalslaute Tanbur, die später in Russland "Balalaika" genannnt werden sollte, war auch bei den Steppenvölkern bekannt.

Die 2-saitige Ausführung der Tanbur, genannt Dutar, taucht unter dem Namen Dotar sehr häufig in den Sprachen asiatischer Steppenvölker auf.

 

"Balalaika":  ein Wort tatarischen Ursprungs ?

Dass der  N a m e   "Balalaika"  auf das tatarische Wort "bala" (Kind) zurückgeht,  wird von  vielen Forschern als sicher angenommen.

Ob das gesamte Wort "Balalaika" ein tatarische Wort ist (oder früher einmal war), ist zweifelhaft.

Es scheint so, daß "Balalaika"  von den Russen selber  eigenschöpferisch in Anlehnung an das tatarische "Bala" gebildet wurde.

Das ist ein ganz normaler Vorgang, wenn Kulturen aufeinander einwirken. Denken wir an die Anglisierung der deutschen Sprache heute und an eigenschöpferische Wortbildungen mit englischen Sprachbestandteilen.

 

Resumee:

Die aus Persien stammende Langhalslaute "Tanbur", die höchstwahrscheinlich seit der russischen Staatsgründung 862  (oder bereits schon früher) bei den ostslawischen Völkern bekannt und heimisch war, bekam irgendwann einen von der tatarischen Sprache beeinflussten Namen.

Noch einmal zur Erinnerung: Der Prozess der "Tatarisierung" der russischen Sprache  und des gesamten Lebens während der Tatarenherrschaft währte 250 Jahre lang. Die politische Verwaltung Russlands und ebenso der Handel wurden während dieser Zeit von den Tataren bestimmt. Viele Russen, besonders die an den Grenzgebieten zu den Tataren lebenden Russen, sprachen sowohl russisch als auch tatarisch und auch eine Mischform von beiden.

 

(Siehe unten: Tatarische Wörter in der russische Sprache)

 

Tatarische Worte im Russischen

Die tatarische Sprache als Sprache der militärischen Besatzer dominierte  viele Bereiche des täglichen Lebens. Tatarische Worte gerieten nach und nach in den Wortschatz der russischen Sprache hinein.

Viele davon finden sich auch heute noch im russischen Sprachgebrauch.

Tatarische Worte, die  in abgewandelter Form ins Russische gelangten, sind z.B.:

 

Tenge (tatarisch Münze): russisch Dengi

Ura    (tatarisch Angriff) : russisch ura! (Hurra!)

 

Viele wurden wörtlich von den Tataren übernommen, z. B. :

 

Trinkglas           =  tatarisch  Stakan,

Mütze                  = tatarisch Kolpak

Schuh                =  tatarisch  Baschmak,

Scheune            =  tatarisch  Saraj

Nebel                =  tatarisch  Tuman.

 

Balalaika  und  Nebel

Wurde  auch der  Nebel  durch die Tataren nach Russland gebracht ?

Das russische Wort für "Nebel" (tuman) ist tatarischen Ursprungs.

Man wird doch nicht ernsthaft behaupten wollen, daß es in Russland vor den Tataren 400 Jahre lang keinen Nebel gegeben hat  - und ebenso keine Trinkgläser, keine Schuhe, keine Scheunen - , sondern all diese Dinge erst durch die Tataren nach Russland eingeführt wurden: nur weil diese russischen Worte  tatarischen Ursprungs sind. Das gleiche gilt gewiss auch für die Balalaika.

Hier werden die Dinge  mit dem  N a m e n  der Dinge  verwechselt!

Eine übernahme des Namens einer Sache bedeutet nicht eine Übernahme der Sache selber.

 

 

PERSISCHER   URSPRUNG   DER   BALALAIKA

 

Das "Enststehungsgebiet" der russischen Balalaika (persisch "Tanbur", griech. "Pandura")

 

Geografische Karte der Handelswege

zur Zeit  des ersten russischen Staates im 9.Jhd.


Путь из варяг в греки

 

Die nachfolgende Karte zeigt die warägischen Handelswege zur Zeit des ersten russischen Staates, der Kiewer Rus (862-1240).

Der Handelsweg, der Dnjepr (Danapris) zum Schwarzen Meer, zu den Griechen nach Byzanz  ( " Путь из варяг в греки " ) ist violett markiert, die übrigen Handelswege sind rot und orange gezeichnet.  Die Bezeichnung " Путь из варяг в греки " stammt aus der Nestorchronik.

Handelswege z. Zt. der Kiewer Rus 9.Jhd. (400 Jahre vor der Tatarenherrschaft über die Rus). Bildnachweis: wikipedia "Weg von den Warägern zu den Griechen". http://de.wikipedia.org/wiki/Weg_von_den_War%C3%A4gern_zu_den_Griechen

Die Ostslawen und ihre Verbindungen zu 

            den Völkern in Europa und  Asien

 

Lange vor der Tatarenherrschaft über Russland hatte Russland bereits eine lange Geschichte hinter sich. Vorausgegangen war die Epoche der "Kiewer Rus", die mit der ersten russischen Staatsgründung 862 in Nowgorod (Weliki) begann.

Auch vorher gab es gewiß regionale politische Organisationsformen.

Die slawischen Stammesverbände hatten Nachbarn, und mit ihren jeweiligen Nachbarn wurden nicht nur kriegerische Auseinandersetzungen ausgetragen, sondern es fand, so kann man als sicher annehmen, auch ein kultureller Austausch statt.

1. Unbekannte Inkulturationen vor der russischen Staatsgründung 862

Über die Siedlungsgebiete der Slawen und ihrem Verhältnis zu den Nachbarn ist für die Zeit vor dem 6. Jahrhundert sehr wenig bekannt. Über das Verhältnis zu den Skythen und Sarmaten gibt es nur Mutmaßungen. Es liegen keine slawischen schriftlichen historischen Zeugnisse vor. Ein Schriftsprache erhielten die Ostslawen erst durch Kirill und Method. Über das Leben der Slawen gibt es Berichte ausländischer Kaufleute und Reisender.

2. Die Verbindung mit den Warägern

Der erste sicher bezeugte kulturelle und wirtschaftliche Kontakt war der mit den Warägern des Nordens (den Wikingern), der zur ersten russischen Staatsgründung von 862 in Nowgorod führte (882 Verlegung der Hauptstadt nach Kiew).

Die Waräger, die sich auch Rus = die Ruderer nannten, waren eine bedeutende Handelsmacht. Sie teilten den slawischen Stämmen über die Handelswege nicht nur ihre eigene Wikinger-Kultur mit, sondern vermittelten ihnen auch die Kulturen südlich lebender Völker, z. B. der Perser. Eine der Warägerstraßen führte die Wolga abwärts zum Kaspischen Meer nach Persien, wo die Langhalslaute Tanbur ihre Heimat hatte.         

3. Die Verbindung mit Byzanz und der griechischen Kultur

Deie wichtigste Straße aber führte zum Schwarzen Meer zu den Griechen nach  Byzanz, das von den Russen Zargrad genannt wurde. Nach dem Friedensvertrag zwischen Kiew und Byzanz von 911 und besonders nach der Christianisierung Russlands im Jahr 988 (Taufe Wladimirs) ging Russland  eine sehr feste Verbindung mit Byzanz ein, so fest, daß Russland, nachdem Byzanz (= das "Zweite Rom") 1453 von den islamischen Osmanen erobert wurde, sich als Nachfolger von Byzanz verstand und sich als das "dritte Rom" bezeichnete.

Das byzantinische Christentum und die gesamte byzantinische Kultur hatten nach der Christianisierung Russlands einen starken Einfluss auf das gesamte russische Leben. Mit der Christianisierung, der freiwilligen Annahme des Christentums durch Wladimir 988, erlebte Russland eine kulturelle Blüte.

4. Russland unter der Herrschaft der Mongolen und Tataren

Nach dem Sieg der Mongolen 1223 über Russland begann die 250 jährige Tatarenherrschaft. Das sog. "Tatarenjoch" übte eine starke Prägung auf das Leben der russischen Fürstentümer aus - nicht immer zum Nachteil des betreffenden Fürsstentums.

Diese Zeit der Tatarenherrschaft soll in knapper Form nachfolgend skizziert werden.

 

 "Mongolensturm" und "Tatarenjoch":

Die  Invasionszeit  von  1223  bis  1480

 

Mit der Schlacht an der Kalka (heute Ukraine) 1223 begannen die mongolischen Eroberungsfeldzüge gegen Russland.

Nach dem Tod Dschingis Khans im Jahr 1227 wurden die kriegerischen Feldzüge weiter geführt. Das Mongolenreich bildete viele neue Machtzentren heraus, die für lange Zeit eine Bedrohung für das russische Leben darstellten und eine russische Staatsbildung verhinderten.

 

 

Tatarisches Russland

Die Jahre 1237-1240  sind als "Mongolensturm" in die Geschichte eingegangen. 1240 ging das erste russische Reich, die Kiever Rus, im Mongolensturm unter. Russland geriet für lange Zeit unter die Herrschaft der Tataro-Mongolen und wurde von der westeuropäischen Kultur abgeschnitten.

Das Tataren-Khanat der "Goldenen Horde" ( Золотая Орда), das aus Dschingis-Khans Mongolenreich nach dessen Tod im Jahre 1227  hervorgegangen ist, übernahm bis 1480 die politische Herrschaft über die russischen Fürstentümer, die ihm tributpflichtig waren. Jedoch behielten sie eine gewisse Selbständigkeit.

Die Hauptstadt der Goldenen Horde war  Sarai  an der Wolga.

 

Tatarenjoch

Die Zeit der tatarischen Oberhoheit über Russland wird "Tatarenjoch" genannt, sie dauerte von 1223 (Schlacht an der Kalka) (Би́тва на реке́ Ка́лке) bis zum Jahr 1480 (Widerstand gegen die Tataren der Goldenen Horde an der Ugra durch Zar Iwan III., Großfürst von Moskau) (Великое cтояние на реке Угре). 

 

General Winter

Beim kampflosen Widerstand gegen die Tataren der Goldenen Horde an der Ugra durch Zar Iwan III., Großfürst von Moskau) (Великое cтояние на реке Угре)

war der Sieg der russischen Truppen zum ersten Mal einem General zu verdanken, der auch noch in späteren Jahrhunderten das russische Volk vor einem drohenden Untergang bewahren sollte: Der Winter, auch "General Winter" genannt.

Napoleon 1812 und das deutsche Hitlerreich 1943  haben die Stärke dieses Generals schmerzhaft erfahren müssen.

 

Russslands Feldzüge gegen die Tataren-Khanate bis 1783

Aber auch nach dem Zerfall der Goldenen Horde geriet Russland immer wieder neu in kriegerische Konflikte mit anderen Tataren-Khanaten, z.B. mit den Khanaten 

Kasan, Astrachan,  Sibir,  Krim

1552 besiegte Zar Iwan IV. ("der Schreckliche") das Khanat Kasan, vier Jahre später, 1556 wurde Astrachan erobert.

Die  tatarischen Überfälle aber dauerten weiter an. 1571 wurde Moskau von den Krimtataren niedergebrannt.

1582 wurde das Khanat Sibir durch den Kosakenführer Jermak Timofejewitch erobert: der Beginn der russischen Expansion nach Sibirien.  Erst 200 Jahre später, im Jahr 1783, wurde unter der Zarin Katharina der Großen das letzte selbstbestimmte tatarische Herrschaftsgebiet, das Krim-Khanat, von Russland besiegt und ins russische Reich eingegliedert.

 

Während und nach der Zeit  des Tatarenjochs wirkten russische und tatarische Kultur aufeinander ein. Beginnend mit dem Jahr 1552 waren die Verhältnisse umgekehrt: Russland begann nun über die Tatarengebiete zu herrschen.

Zu erwähnen ist, daß es  auch zahlreiche Bündnisse russischer Fürstentümer  mit tatarischen Khanaten gab, auch Handel wurde getrieben.

 

Die Kultur Russlands und die Kultur der Tataren waren - nolens volens - eng miteinander verwoben.

In der Zeit der tatarischer Oberhoheit über Russland wirkte der tatarische Einfluss auf fast allen Ebenen des täglichen Lebens ein, auch auf die russische Sprache. Dieser Einfluß ist bis heute feststellbar. Beispiel: die Balalaika.

Das tatarische Wort "Bala" (= Kind)  wurde in die russische Sprache hineingenommen zur Umbenennung der in Russland verbreiteten Langhalslaute,

die den Namen "Balalaika" erhielt.