4.6   B A L A L A I K A    U N D    B A N D U R A

 

Die Bandura -

Ein Psalterium, entstanden aus der Kobsa-Laute

Ukrainische Bandura, 57 Saiten

Bandura  -  Von  der  Kobsa-Laute  zur  Zither

Ukrainische Kobsa, 4 Saiten. Der Korpus ist eine flache, aus einem Stück geschnitzte Holz-Pfanne. Siehe Skizze unten.

 Wie die russische Balalaika kann auch die ukrainische Bandura zu den Hybrid-Musikinstrumenten gezählt werden.

Die Bandura verbindet die Form der  Halslaute  mit  der Form der  Kastenzither, allerdings hat die Entwicklung hier einen anderen Verlauf genommen als bei der Balalaika.

Die Bandura hat sich gänzlich von der Laute zur Zither (Psalterium) gewandelt, während die Balalaika eine Laute geblieben ist.

Von der Kobsa zur Bandura

Der Lautentyp, aus dem die Bandura entstanden ist, ist die Kobsa, eine Hals-Laute.

Ihr Korpus konnte entweder bauchig gewölbt sein wie bei der arabischen Laute, oder ein flacher Pfannen-Trog wie bei der nebenstehens abgebildeten Kobsa.

Die Kobsa-Laute wurde fast vollständig in eine  Brettzither umgewandelt. Der Weg dorthin verlief folgendermaßen in drei Schritten:

Kobsa (links) und Bandura (rechts), ukrainische Nationalinstrumente. Die Bandura ist entstanden aus einer Kobsa mit seitlich versetztem Hals.
Kobsa mit flachem pfannenförmigen Korpus

1. Schritt:

Die Kobsa war symmetrisch aufgebaut: der Hals dieser Laute war, wie bei der Mandoline, der Gitarre u.s.w.,  m i t t i g  an den Korpus angesetzt. Zusätzlich zu den über den Hals ( und den Korpus) verlaufenden Saiten wurden rechts davon weitere Saiten gesetzt. Die Saiten-Anordnung war folgende:

Tiefe Saiten über dem Hals, die hohen Saiten unter dem Bass-Saitenfeld (bezogen auf die Spielhaltung).

Der Korpusbereich links des Hals-Saitenfeldes blieb ohne Saiten, damit die Tonhöhen-Abfolge von tief nach hoch gewahrt  blieb.

 

2.Schritt:

Um noch mehr Saiten auf dem Korpus unterzubringen, wurde der Hals an den linken Rand des Korpus gesetzt, also asymmetrisch angebracht. Das Bass-Saitenfeld verlief jetzt  entlang des linken Korpusrandes.  Die gesamte Fläche der Korpusdecke rechts davon konnte nun zum Anbringen vieler weiterer Saiten genutzt werden.

Zusätzlich wurde oft noch der gesamte Korpus verbreitert, um noch mehr Saiten unterzubringen.

Dieses so  verbreiterte Instrument erinnert an die Scherrzither mit ihrer bauchigen seitlichen einseitigen Auswölbung.

Das Ergebnis: die Laute wurde zur Zither umgeformt.

Die tiefen Saiten sind die, die über dem Hals laufen.  Der Bandura-Hals ist aber kein Lautenhals mehr. Als Lautenhals besaß er Bünde, die Saiten wurden mit der linken Hand gegriffen (verkürzt) und mit der rechten Hand angeschlagen.

 

Nun, da die Kobsa-Laute sich zur Zither (Psalterium) gewandelt hat, sind keine Bünde mehr notwendig. Der Abstand der Saiten von der Halsoberfläche wurde vergrößert. Ein Niederdrücken der Saiten ist nicht mehr möglich und auch nicht notwendig: Die Saiten erklingen als Leersaiten und werden auch im Halsbereich  gezupft.

Die Bandura wird also - wie die Gusli - zweihändig gespielt. Die linke Hand spielt die Bass-Saiten im Halsbereich, die rechte Hand zupft die Saiten im Korpusbereich.

 

3.Schritt

Der Saitensteg, der bei der Kobsa - wie bei fast allen Lauten-  noch  als Querriegel zentral auf der Resonanzdecke aufgestellt (bzw. befestigt) war, wurde wie bei den Psalterien an den Rand geschoben. Psalterien besitzen meist keinen funktionalen Steg, sondern nur Saiten-Sattel für eine saubere Saitenauflage und für eine eindeutige Mensur.

Die Saitenauflagen-Leiste der Bandura ist nicht nur Sattel, sondern hat auch noch eine gewisse Steg-Funktion: ein  Überbleibsel aus der Kobsa-Vergangenheit.

 

 

Die Bandura - Saitenfeld und Saiten

 

Saitenaufhängung

Während die Kobsa sehr häufig eine Querriegel-Saitenaufhängung  a u f  der Instrumentendecke besaß, werden bei der Bandura generell die Saiten am Korpusrand befestigt. Die Saiten, die zwei Saitenfelder bilden, laufen über einen Steg auf der Decke.

 

Zwei Saitenfelder - zwei Stege

Die Bandura besitzt zwei Saitenfelder nebeneinander. Das erste Feld ist das lange Bass-Saitenfeld, dessen Saiten über  Korpus und Hals  laufen. Es besitzt also eine Korpus- und Halsmensur.  Das Bass-Saitenfeld wird über einen eigenen Bass-Steg geführt.

 

Das zweite Saitenfeld befindet sich unmittelbar neben dem Bass-Saitenfeld. Es besitzt nur eine Korpus-Mensur. Seine Saiten werden über einen  langen geschwungenen Steg geführt.

Der Steg teilt die Saitenlänge in zwei Bereiche: die Vor-Mensur und die Mensur.

Die Vor-Mensur ist bei der Balalaika und bei den Instrumenten der Geigenfamilie eine "Tot-Mensur". Dieser Saitenabschnitt wird nicht gespielt. Anders bei der Bandura.

Das Anschlagen der Saiten der Vor-Mensur für bestimmte Spieleffekte gerne angewandt.

 

Die Saitenführung

Der Saitenverlauf  a l l e r  Saiten ist entweder parallel, oder es gehen beim zweiten Saitenfeld die Saiten strahlenförmig auseinander - wie bei der Kantele.

 

Die Spielhaltung

Die Bandura ist zwar zur Zither geworden, aber dennoch wird sie nicht waagerecht wie eine Gusli gehalten, sondern senkrecht, und wird - wie eine Harfe sitzend gespielt.

Der Hals der Bandura wird oft  an die linke Wange gehalten. Es entsteht das Bild einer zärtlichen liebevollen Umarmung.

Ein bekannter zeitgenössischer Banduraspieler ist Jaroslaw Dzhus.

 

Wenn man die Entstehungsgeschichte nicht kennt, entsteht der Eindruck, daß die Bandura von Anfang an eine Brettzither war, an die seitlich eine halsartige Verlängerung angesetzt wurde, um zusätzliche  längere Saiten für die tiefen Töne  unterbringen zu können.   Wenn diese Entwicklungsgeschichte stimmen würde, wäre die Bandura ein theorbierter Zitherkasten.

Aber die Instrumentenkundler halten die Entstehung der Bandura aus der Laute "Kobsa" für sicher.

 

 

Balalaika und Bandura - ein Vergleich

 

Die Geschichte der Balalaika ist eine ganz andere:

Ihre Ausgangsform war ebenfalls - wie bei der Bandura - die Laute (Tanbur/Dombra). Diese Lautenform blieb bei der Balalaika  aber immer erhalten: die Symmetrie der Form, der mittig gesetzte Hals  und auch die Geringzahl der Saiten (2 oder 3 Saiten).

Verändert aber wurde der  K o r p u s . Der ursprüngliche kleine Lautenkorpus, der viele Formen haben konnte (rund, oval, bootspaddelförmig, schaufelförmig-schmal-dreieckig), wurde vergrößert und umgeformt in Richtung auf den dreieckigen Korpus des Psalteriums in seiner breiten Form.

Während die Bandura zur Zither wurde und ihre Lauten-Identität erlosch, behielt die Balalaika ihre  zwei  Identitäten, sie blieb  Laute  und  Zither  zugleich.


"Zwei Seelen, wohnen nun, ach! in meiner Brust..."

Lassen wir den deutschen Dichter Goethe zu Wort kommen:

"Zwei Seelen, wohnen nun, ach! in meiner Brust..."

Doch anders als im Goethe-Zitat, will bei der Balalaika die eine sich nicht von der andern trennen, sondern beide bleiben vereint und ziehen den Zuhörer - um weiter mit Goethe zu sprechen - "himmelwärts".

Die Balalaika verbindet die Form und Klangwelt der Laute mit der Form und der Klangwelt des dreieckigen Psalteriums.

 

Es entsteht der berühmte  2-Welten-Klang Klang des Instruments, ein violett-silbriger Klang, von dem gesagt wird, daß er das Ohr verzaubert.

 

In der pflanzlichen Hybridzucht ist der sogenannte Heterosis-Effekt bekannt.

Hybriden zeigen im Vergleich zu reinerbigen Lebewesen eine größere Vitalität und Leistungsfähigkeit. Es scheint, daß dieser Effekt auch für die Balalaika gilt.



Die ukrainische Bandura

Von der Kobsa zur Bandura

 

Aus der Kobsa, einer in der Ukraine verbreiteten Laute, hat sich die Bandura entwickelt.

Der Korpus der Kobsa und der Korpus der Bandura sind gleich:

ein flacher Pfannen-Trog.

Kobsa = das 3. Instrument von oben

(siehe Skizze links)

Die hölzerne Pfanne wurde früher meist aus einem einzigen Stück Holz herausgearbeitet. Heute gibt es auch zusammengesetzte Formen.

Die Kobsa, die heute immer noch in alter Form existiert,  ist eine Laute, d.h.: sie besitzt einen mittig an den Korpus angesetzten  Hals mit Bünden. Die Saiten laufen über dem Hals und werden durch Niederdrücken gegen die Bundschwellen  verkürzt, wie es bei der Gitarre, der Balalaika und anderen Lauteninstrumenten ebenso geschieht.

Durch Anbringen weiterer Saiten auf dem Instrumentenkorpus wurde die Kobsa zur Bandura, die ein reines Psalkterium darstellt. Die Saiten werden nicht mehr durch Niederdrücken verkürzt, sondern leer angeschlagen.

Die heutige am meisten gespielte Bandura hat 57 Saiten in chromatischer Abfolge.

Da ein Psalterium als funktionale Form das Dreieck hat und die Bandura ein Psalterium ist, ist auch in ihr die Dreiecksform zu erkennen.

 

Links: Schematische Darstellung der Bandura.

 

Bild unten: links die Bandura, rechts ein "Tischharfe" genanntes Psalterium.

Um bei der Tischharfe wegen der langen Bass-Saiten nicht den gesamten Korpus vergrößern zu müssen, wurde eine Saite der "Harfe" halsartig verlängert. Es handelt sich hier also um ein  theorbiertes Psalterium.

 

Die Bandura folgt dem gleichen Prinzip.

Hier aber war der Hals bereits vorhanden: er musste nur aus seiner mittigen Position an den linken Rand gerückt werden. Das Saitenfeld verlief nun am linken Rand des Korpus. Der gesamte restliche Teil des Korpus bot nun genügend Platz für eine große Zahl von Saiten, die alle korrekt nach Tonhöhe geordnet über den Korpus gespannt werden konnten. Die Saitenzahl wurde immer größer. Hweute hat eine Bandura bis zu 65 Saiten insgesamt.

Bandura, 57 Saiten (links). - Rechts: "Tisch-Harfe": ein theorbiertes Psalterium