1.3. WASSILI W. ANDREJEW UND DIE BALALAIKA
Die Weiterentwicklung des alten Volksinstruments Balalaika i.J. 1883
durch Wassili W. Andrejew (geb.1861, gest.1918)
Die erste Andrejew-Balalaika: 1884
Die Geschichte der Balalaika als Instrument in seiner heutigen uns bekannten breiten dreieckigen Form beginnt im Jahr 1884.
Die Balalaika, so wie wir sie heute kennen, ist auf dem nebenstehenden Foto zu sehen: ein Zupfinstrument mit breitem dreieckigen Korpus, drei Saiten und schmalem Hals.
Der, der sie in Händen hält, ist
Wassili Andrejew, ein russischer Adliger mit musikalischer Ausbildung und großem Interesse an russischen und italienischen Musikinstrumenten.
Er spielte bereits im Kindesalter viele Instrumente (jedoch nicht Balalaika) und studierte Violine am St. Petersburger Konservatorium bei Prof. Nikolai Vladimirovich Galkin.
Im Jahr 1884 ließ Wassili Andrejew, anknüpfend an eine alte Balalaikaform, eine Balalaika anfertigen, die zum "Archetyp" für alle heutigen Balalaiken werden sollte.
Andrejew war damals 22 Jahre alt. Die in seinem Auftrag und nach seinen Plänen gebaute "Andrejew-Balalaika" war keine Neu-Entwicklung, sondern eine Fort-Entwicklung: sie baut auf einer alten traditionellen Balalaikaform auf, die sich bereits Jahrhunderte vorher in Russland entwickelt hatte.
Andrejew war im Jahr 1883 bei einem Aufenthalt auf dem elterlichen Gutshof
auf das Instrument aufmerksam geworden.
Es war keine Kürbis-Balalaika, sondern ein aus Holzteilen zusammengesetztes Instrument mit dreieckigem Korpus in einfacher Bauart. Die Balalaika wurde von einem Landarbeiter gespielt, der kein ausgebildeter Musiker war. Andrejew war begeistert von dem Klang dieses Musik-Instrumentes. Die Liebe zur Balalaika ließ ihn von da an zeitlebens nicht mehr los.
Andrejew ließ sich von dem Landarbeiter auf dem elterlichen Gutshof in das Balalaikaspiel einführen und lernte selber auf dem Instrument zu spielen.
Er spürte, daß dieses einfache russische Volksinstrument noch mehr Klangfülle entfalten würde, wann man den dreieckigen Korpus verbreiterte, die Proportionen veränderte und die Bauart verbesserte. Das tat er.
1894 gab Andrejew eine selbstverfasste Balalaikaschule heraus.
Die Andrejew-Balalaika -
Dreieckiger Schalen-Korpus in zusammengesetzter Holzbauweise
Die Balalaika, die Andrejew 1883 zum ersten Mal in Händen hielt, war keine Kürbis-Balalaika, sondern eine Holz-Balalaika. Von der aber gab es zwei Ausführungen:
1. Die dolbljonaja balalaika (aus einem einziges Stück Holz geschnitzt)
2. Die aus einzelnen Holzteilen zusammengefügte Balalaika
Der Korpus dieser Balalaika bestand - im Unterschied zu frühen nordrussischen Balalaika-Formen - nicht mehr aus e i n e m Stück, sondern war - wie eine Mandoline - aus mehreren Holzteilen ("Planken", "Streifen", "Spänen", Deckbrett und evtl. Zargen ) zusammengeleimt.
Solche Balalaiken waren in jener Zeit keineswegs immer primitive "zusammengeschusterte" Bauern-Instrumente ("Dorf-Balalaiken") , sondern entstanden oft in guter handwerklicher Ausführung und sogar in wertvoller Kunsttischler-Arbeit. Diese Balalaiken besaßen einen langen schmalen Hals, ihr Korpus war klein, dreieckig und schmal. Oft hatten diese Instrumente nur 2 Saiten.
Andrejew vergrößerte zuerst den Korpus und nahm dann noch eine Anzahl anderer Veränderungen vor.
Der "Balalaika - Schmetterling"
entfaltet seine Flügel
Die Balalaika, die Andrejew kennenlernte, hatte einen relativ schmalen Dreieckskörper.
Man kann diese alte Balalaika mit einem Schmetterlingsfalter vergleichen, dessen Flügel noch eng zusammengelegt waren, ein Falter, der sich noch in einem nicht vollendeten Entwicklungsstadium befand.
In diesem Sinne stellt die tschetschenische PONDAR, die auch als "Kaukasus-Balalaika" bezeichnet wird, mit ihrer länglich-rechteckigen Scheitholt-Form, eine Vorform des Schmetterlings dar: eine längliche "Schmetterlings-Raupe".
In Russland hat sich die Scheitholt-Form nicht durchgesetzt, sondern dort bekam der Balalaikakorpus eine schmal-dreieckige Paddelform: vergleichbar mit einem schmalflügligem Falter. An diese schmal-dreieckige Form knüpfte Andrejew an.
Andrejew half diesem "Schmetterling", sich zu entfalten, und dies im doppelten Sinne des Wortes:
1. er gab der Balalaika ihre Breite.
2. er bewirkte, daß das Instrument eine "breitere" Klangfülle bekam.
Der Balalaika-Korpus wurde der dreieckigen altrussischen "Flügel-Gusli", einer flachen dreieckigen Brett-Zither, in Form und Klang ähnlicher.
Traditionelle Balalaikaformen
Balalaiken und ihre persischen Vorfahren, die Tanburen, gab es in verschiedenen Formen und Ausführungen. Der Korpus dieser Langhalslauten konnte rund, oval, schaufelförmig, paddelförmig, rechteckig und dreieckig sein.
Jede Form verlieh dem Instrument eine andere Klangfarbe. Nicht erst durch Andrejew im Jahre 1883, sondern schon bereits vorher gab es in Russland Balalaiken mit dreieckigen Korpusformen.
Man spürte, daß der dreieckige Korpus am besten geeignet war, einen Klang hervorzubringen, der dem russischen Musikempfinden, das an die Gusli gewöhnt war, am meisten entsprach.
Auch Andrejew erkannte, dass es die Dreiecksform war, die der Balalaika ihr einzigartiges "dulce melos" verlieh.
Um dieses noch mehr hervorzuheben, vergrößerte er den Winkel des vorher schmal-dreieckigen Korpus, so dass dieser die Form eines gleichseitigen Dreiecks annahm.
Durch diese Maßnahme wurde die Balalaika der alten russischen "Gusli schlemovidnye" nicht nur in der Form, sondern auch im Klang ähnlich.
Ähnlich - nicht identisch. Wenn Andrejew eine Identität von Gusli und Balalaika hätte schaffen wollen, dann hätte er einen dreieckigen Zargenkasten mit einem angesetzten Hals gebaut: ein "Hals-Psalterium".
Andrejew aber respektierte die besondere russische Balalaikatradition, die Schalenkorpus mit Dreiecksform miteinander verband. Außerdem besaß Andrejew, der als "musikalisches Wunderkind" galt, ein tiefes musikalisches Empfinden, das ihm sagte, dass eben diese Verbindung von gewölbter Schale und dreieckigem Korpus den geheimnisvollen Klangcharakter der Balalaika ausmachte.
Um es anschaulicher und vereinfacht zu sagen, besonders für diejenigen, die mit den Fachbegriffen "Tanbur" und "Psalterium" nicht so sehr vertraut sind:
die so geformte Balalaika vereinigt den Klang von Mandoline und Zither miteinander (und übrigens auch deren Spielarten).
Mandolinenklang (mit Tremolo) ist uns von der italienischer Rundbauchmandoline her bekannt. Das Psalterium ist nichts anderes als unsere Zither, deren Klang von vielen als "überirdisch" empfunden wird.
Krylovidnye Gusli - Krylovidnaja Balalaika
"Flügel-Psalterium" - "Flügel-Balalaika"
Die Dreiecksflügelform der Balalaika knüpft an ein anderes traditionelles russisches Musikinstrument an: die Flügel-Gusli.
Die Gusli, eine Brettzither, ist ein uraltes russisches Instrument, das in vielen Formen gebaut wurde.
Eine sehr verbreitete Form war die "крыловидные гусли" = "Flügel-Gusli"
(krylo= der Flügel).
Die Balalaika gehört instrumententechnisch zu den Langhalslauten, die es in vielen Korpusformen gibt. In Russland begann die Entwicklung zu einer verbreiterten dreieckigen Korpusform. Vorbild war die Gusli, das russische Psalterium. Andrejew beschritt diesen Weg weiter. Das schmalflüglige Dreieck entfaltete er zu einer breitflügligen Form. So bekam die Balalaika immer mehr Ähnlichkeit mit der schlemovidnye gusli, einer Gusli in symmetrischer Dreiecksform mit ausgebogegen Seitenflanken.
Die Dreiecksform und der "Dreiecksklang" dieser Gusli war dem russischen Ohr seit jeher vertraut.
Gusli - die russische Zither
Auch das Psalterium hat in Persien seinen Ursprung, wird dort aber "gehämmert", d.h. die Saiten werden mit kleinen Holzhämmern angescchlagen.
Russland kann für beide Instrumententypen (Schalenlaute und Psalterium) auf eine eigene lange Tradition zurückschauen. Der Schalenkorpus ist nicht von Italien übernommen worden, sondern geht auf die "Kürbis-Balalaika" zurück.
Auch das Psalterium hat eine eigene lange russische Tradition. Eine besondere Form des russischen Psalteriums war die Helm-Gusli, die gusli schlemowidnyje
mit breitem Korpus und gerundeten Seitenflanken. Beide Merkmale (breite Korpusform, gebogene Seiten) besitzt die heutige Balalaika. Im 12. Jahrdundert war das Psalterium, die Gusli, in Russland Nationalinstrument.
Und auch im 18. und 19. Jahrhundert ist sie als Nationalinstrument bezeugt.
In der deutschen Edition von N. Rimski-Korsakow "100 russische Volkslieder"
(Härtel & Breitkopf, Wiesbaden 1877) schreibt der Übersetzer als Anmerkung
zu Lied Nr. 26:
"Die Gusli ist das verbreitetste russische Nationalinstrument,
das in vielen verschiedenen Formen vorkommt,
ungefähr unserer Zither oder Laute vergleichbar."
Das Ursprungs-Instrument für die Andrejew-Balalaika:
Die Balalaika des Landarbeiters Antip
Das nebenstehende Bild zeigt
den Balalaikaspieler Antip und
die Balalaika, auf die Andrejew 1883 auf dem Gutshof in Marjino ( Марьино) aufmerksam wurde.
Antip war auf dem Gutshof als слуга beschäftigt.
Wie auf dem Foto zu sehen ist, handelte es sich um ein Instrument, dessen kleiner dreieckiger Korpus aus einzelnen Holzteilen zusammengesetzt ist.
Ohne Zweifel handelt es sich hier
um ein Instrument, das in (Kunst-)Tischler-Arbeit hergestellt worden ist.
Über den Kaufpreis-Wert einer solchen - wie auf dem Foto angebildeten - Balalaika gibt es zwei verschiedene Einschätzungen.
Die einen behaupten, hier handle es sich um eine primitive Samodelka, eine
"самодельная крестьянская балалайка" "samodeljnaja krestjjanskaja balalaika" ("selbstgebaute Bauern-Balalaika"), bzw. eine
"деревенская деревянная балалайка" "derewjenskaja derevjannaja balalaika" ("dörfliche Holz-Balalaika"), also ein primitives Billiginstrument.
Andere weisen darauf hin, daß Balalaiken dieser Art kunstvolle instrumentenbauerische Werke waren, deren Herstellung große tischlerische Fähigkeiten voraussetzte; sie konnten nicht von jedermann angefertigt werden. Solche Instrumente waren wertvoll, sie waren ein kostbarer Besitz und sie waren keineswegs billig im Preis. In diesem Zusammenhang wird gerne folgende Aussage zitiert, die aber leider nicht hinlänglich belegt ist und aus der nicht hervorgeht, welche Art Balalaika gemeint ist.
"Bei den damaligen Preisen kosteten Balalaikas ziemlich viel
- von 10 - 200 Rubeln.
Zum Vergleich - eine Kuh konnte man zu dieser Zeit
für 10 Rubel kaufen".
(Zitat aus einer Sendung des Radios "Stimme Russslands" vom 24. 4. 2011
"Aus der Geschichte der Balalaika".
http://german.ruvr.ru/radio_broadcast/4002630/49466174.html
200 Rubel oder nur 35 Kopeken ?
Der Quellenwert dieses Zitats ist allerdings anzuzweifeln. Der angegebene Rubelbetrag bezieht sich höchstwahrscheinlich auf eine nach dem Entwurf Andrejews gefertigte Meisterbalalaika. Andrejew selber gibt in seiner Biografie
den Preis einer "Bauernbalalaika" mit 35 Kopeken an.
Der Name des Besitzers und Spielers der Bauernbalalaika, die das ganze Leben
von Andrejew verändert hat, ist bekannt: Antip, ein Landarbeiter auf dem Andrejewschen Gutshof.
Sein Spiel auf der Balalaika traf auf fruchtbaren Boden: Wassili Andrejew war nicht nur ein begeisterter und neugieriger Zuhörer, sondern er war musikalisch ausgebildet und selber ein passionierter Musiker. Er spielte Klavier, Violine und Harmonika, komponierte selber und war Musikwissenschaftler, der sich für Musikinstrumentenkunde und Instrumentenbau interessierte.
Als er das Balalaikaspiel hörte, war von dem Klang fasziniert. Sein Leben sollte
von nun an von der Balalaika beherrscht werden.
Er erlernte selber das Balalaikaspiel, erforschte das Instrument und vervoll-kommnete es. Er vermehrte die 5 Bünde, die das Instrument besaß, und schuf eine chromatische Bundierung (mit 12 Bünden), außerdem vergrößerte er den Korpus.
Dies alles geschah in Zusammenarbeit mit dem Tischler Antonow im Nachbarort Bezetsk und später mit dem Geigenbauer Wladimir Iwanow (St.Petersburg),
dem Geigen- und Gitarrenbaumeister Passierbski (St.Petersburg) und dem Kunsttischler Semjon Nalimow, den Andrejew gewinnen konnte, in seiner Balalaikawerkstatt in Marjino zu arbeiten.
Andrejew zahlte ihm einen Monatslohn von 60 Rubeln. (Mehr Informationen
zu Nalimow: http://www.balalaika-master.ru/paper/007/) Dort auch folgende Information über den Preis einer Balalaika:
Средняя цена балалайки примы колебалась от 50 до 75 рублей. Отдельные, наиболее удачные инструменты оценивались до 300 рублей. Для сравнения следует сказать, что средняя цена обычных концертных инструментов работы других мастеров колебалась в то время между 15-20 рублями. Каждому инструменту Налимов уделял много внимания, его работа отличалась высокой точностью и красотой.
Wer mehr über Andrejew erfahren will, bekommt die ausführlichsten Informationen in den zahlreichen russischsprachigen Biografien und Nachschlagewerken.
Siehe auch www.gendocs.ru
http://do.gendocs.ru/docs/index-131764.html
In deutscher Sprache gibt es eine gute und knappe Einführung in das Lebenswerk Andrejews in dem Buch von Michael Goldstein "Michael Ignatieff und die Balalaika".
Außerdem ist zu empfehlen das Buch von Inna Okhten, Drei Saiten in meinem Herzen. Dieses ist ein sehr poetisches Buch, aber mit vielen sachlichen Informationen über Andrejew und das Instrument Balalaika, ein Instrument, das - wie Okhten schreibt, -
"die Seele rührt, bewegt, beunruhigt, bezaubert. (...)" - und weiter-
"Dieses Instrument kann jemanden in Aufregung versetzen und zum
Nachdenken anregen, es kann beruhigen und versöhnen, bezaubern
und faszinieren, (...)." Bitte, weiterlesen!
Die obige Skizze zeigt anschaulich, wie sich die Proportionen der Balalaika seit Andrejew verändert haben:
Verkürzung des Halses zugunsten einer Vergrößerung des Korpus.
Bildnachweis:
Der oben abgebildete Auszug aus работы Н. Штибера "В.В. Андреев.
Очерк его деятельности. С-П., 1898 г. ist entnommen der Website des russischen Volksinstrumenten-Quartetts "Skaz", das ein frei verfügbares Nalimow-Archiv bereitgestellt hat.
Die Bildunterschrift lautet:
Балалайка усовершенствованная В.В.Андреевым
и народная простая
www.skaz-site.narod.ru/archive_D.BELINSKOGO">Музыкальный мастер НАЛИМОВ С.И. - Интернет-Архив Дмитрия Белинского на Официальный сайте Квартета "СКАЗ". Балалайка, домра...- *Эпоха Возрождения*</a>.
http://skaz-site.narod.ru/Page2a.html
Die Veränderung der Balalaika durch Andrejew
Perestroika:
Andrejew vergrößert den Balalaika-Korpus
Andrejew betrieb eine Perestroika der Balalaika. Mit Perestroika wird im Musikinstrumentenbau eigentlich nur ein Umstimmen der Saiten des Instruments bezeichnet. Das ist hier nicht gemeint. Gemeint ist eine grundlegende Veränderung der gesamten Form des Instruments. Der erste Schritt war eine Vergrößerung des Instrumentenkorpus.
In welchem Maß Andrejew den Korpus der Balalaika vergrößerte, ist aus dem Vergleich der beiden Schwarz/Weiß-Fotos oben ersichtlich.
Dreiecks-Balalaiken vor 1883 hatten eine Korpusbreite von ca. 26 cm. Andrejew vergrößerte die Breite auf ca. 43 cm.
Das untere Schwarz/weiß-Foto zeigt die Balalaika des Spielers Antip: die erste Balalaika, die Andrejew zu Gesicht bekam, und die zum Ausgangspunkt seiner Balalaikaentwicklung werden sollte.
Das Foto oben am Anfang des Kapitels zeigt Andrejew mit der von ihm veränderten und von Passerbski gebauten Balalaika.
Eine Korpusbreite von ca. 43 cm kann seit Andrejew als die Richtnorm für eine Prim-Balalaika angesehen werden. 43-45 cm beträgt auch die freischwingende Länge (Mensur) der Primbalalaika.
V o r Andrejew variierten die Korpusformen und -größen der Balalaika. Eine einheitliche Norm gab es nicht. In russischen Nachschlagewerken aus sowjetischer Zeit sind verschiedenen Korpusgrößen und -formen dokumentiert.
Leider aber fehlt bei diesen Abbildungen eine Datierung. Auch sind die Dokumentation sehr mangelhaft, es sind meist nur Abbildungen mit Sicht auf die Korpus-Decke, Die Sicht von unten und von der Seite fehlt: ein großes Manko.
Andrejew entdeckte die d r e i e c k i g e Balalaika als die Balalaika, die ein erstaunliches und unübertroffenes Klangpotential besaß - anders als andersgeformte Balalaiken. Als Geigenspieler maß Andrejew die Ausstrahlungskraft des Balalaikaklanges am Klang der Violine, als russischer Volksmusikliebhaber und -kenner maß er den Balalaikaklang am Klang des zu seiner Zeit verbreitetsten russischen Nationalinstrumentes: der Gusli, deren Studium er sich ausgiebig widmete.
Um den Klang der Gusli zu erreichen, war es nötig, den kleinen dreieckigen Korpus der Balalaika zu vergrößern.
Michael Goldstein gibt in seinem Buch "Michael Ignatieff und die Balalaika" als Erklärung für die Korpusvergrößerung die Lautstärkeerhöhung an: Andrejew wollte das Instrument für den Konzertgebrauch geeignet machen. Die "Antip-Balalaika" mit dem kleinen Korpus war dafür aber zu leise. Um einen lauteren Klang zu erzielen, mußte der Korpus vergrößert werden.
So weit die Argumentation von Goldstein, den ich persönlich kennengelernt habe und den ich sehr schätze. Hier aber muß ich ihm widersprechen.
Korpusvergrößerung:
Nicht Lautstärkeerhöhung, sondern Klangoptimierung
Andrejew, so meine ich, wollte durch die Korpusvergrößerung nicht die Lautstärke erhöhen, sondern die Klangfarbe der Balalaika verändern.
Ein vergrößerter Korpus erzeugt nicht nur eine höhere Lautstärke ( so wie wenn man den Volume-Regler eines Amp hochdreht ), sondern vielmehr auch eine Klangveränderung: diese Tatsache ist jedem Musiker und Musikinstrumenten- bauer bekannt. Die Balalaika hatte schon vor Andrejew ihren vorher ovalen oder schaufelförmigen Körper immer mehr zu einer Dreiecksform hin verändert. Diese Dreiecksform bewirkte einen Klang ähnlich dem der karelischen Kantele und der Nowgoroder Gusli, die beide ebenfalls dreieckige Körper besaßen. Diese Gusli-Klangfarbe wollte Andrejew noch stärker zum Ausdruck bringen. Er tat es, indem
er den schmalen Balalaikakorpus dem breiteren Guslikorpus anglich, damit die Klangfarbe der von den Russen geliebten Gusli auch in der Balalaika aufleuchtete.
Andrejew also wollte keine Lautstärkeerhöhung, sondern eine Klangoptimierung.
Die der schmalen dreieckigen Balalaika bereits innewohnende Gusli-Klangfarbe wollte er stärker hervorleuchten lassen.
Kurzbeschreibung der Andrejew-Balalaika
(Baugröße: Prim-Balalaika. Mensur 43,89 cm)
1. Korpusform: Dreieckige Decke: Symmetrisches, fast gleichseitiges Dreieck
mit schwach konvex (nach außen) gebogenen Seiten.
2. Korpusbauart: aus Holzteilen zusammengesetzer Resonanzkörper
( Schale, Kasten oder Zwischenformen )
3. Gesamtlänge: ca. 67 cm (+/- 2cm)
4. Korpusbreite: Breite im Verhältnis zur Mensur = 1 : 1
5. Hals: Langer schmaler Hals mit aufgeleimtem Griffbrett
6. Griffbrett mit Bünden. Anfangs 5 verschiebbare Bünde, diatonisch.
Andrejew verwendete fest eingelassene Bünde aus Metall.
Tonumfang der H a l s mensur: 1 Oktave + 4 Halbtöne. Bei chromatischer Bundierungsind dies = 16 Bünde.
7. Saitenzahl 3 Saiten ( auch doppelchörig: 6 Saiten )
Vor Andrejew gab es auch Balalaiken mit 2 Saiten
8. Stimmung: Am häufigsten: e´- e´- a´ (Prim-Balalaika)
9. Mensur: Zwischen 42 u. 46 cm, je nach Bauart u. Kundenwunsch.
Die Andrejew-Mensur betrug 9 7/8 Werschok 0= 43,89 cm
(Eine 9 6/8 Werscok-Mensur entspricht 17 Zoll = 43,2 cm )
10. Saitenstrecke: Wirbel
Wirbelbrett
Obersattel
Null-Bund (oft mit dem Obersattel identisch)
Halsmensur (Strecke zw. Nullbund und Hals-Ende)
Korpusmensur (Strecke zw. Hals-Ende und Steg)
Steg (=Brücke)
Saitenstrecke zwischen Steg und Untersattel
Untersattel
Saitenaufhängung (Saitenhalter) am Heckbrett (Sadinka)
(engl.: transom)(back-board).
3 Arten der Saitenaufhängung sind üblich:
1. Gemeinsamer Saitenknopf für alle 3 Saiten.
(so bei frühen Balalaikenformen: Spießlauten)
2. 3 separate Saitenknöpfe für jede einzelne Saite.
(häufig heute bei in Russland hergestellten Balalaiken)
3. Metallplatte mit ausgestanzten Haken für jede Saite.
Die Metallplatte ist oben abgewinkelt: der Kantenwinkel
dient als als Untersattel. Der Saitenhalter ist
angeschraubt am Heck-Brett (Sadinka), Oberkante.
Balalaika und Wolga
Wassili Andrejew gilt als der "Vater der modernen Balalaika". Seine erste Begegnung mit der Balalaika fand statt im Jahr 1883 in Marjino ( Марьино) auf dem elterlichen Gutshof, der nach dem Tod seines Vaters von seiner Mutter verwaltet wurde. Andrejew war damals 23 Jahre alt.
Das Dorf Marjino liegt nahe der Stadt Бежецк (transkribiert: Bezetsk, Beschezk, Beshezk), dem Geburtsort Andrejews im ehem. russischen Gouvernement Twer.
Das Twerer Gebiet ist für Russland sehr bedeutsam: hier entspringt in den Waldai-Höhen Russlands berühmtester Fluss: "Mütterchen" Wolga.
Die Balalaika in ihrer heutigen Form, die Andrejew-Balalaika, ist im Gebiet von Twer (Тверь) entstanden.
Das Gouvernement Twer, 1775 gegründet (heute Oblastj Twer), ist aber nicht nur bedeutsam als Entstehungsort der modernen russischen Balalaika, sondern auch als Ursprungsort einer anderen russischen Berühmtheit: der Wolga.
Die Wolga mündet in das Kaspische Meer und stellte so für Russland die Verbindung mit Persien her. Die Wolga war ein wichtiger Handelsweg, bereits in vor-russischer Zeit: zur Zeit der Waräger. Die ersten Balalaiken - damals noch "Tanbur" genannt - werden auf diesem Wege , auf der Wolga, in das Gebiet des ersten russischen Staates gelangt sein. Der erste russische Staat wurde 862 in Nowgorod gegründet und später durch den russischen Historiker Karamsin "Kiewer Rus" genannt.
Die Wolga, der bekannteste und legendärste aller russischen Flüsse, "Mütterchen Wolga" genannt, entspringt in den Waldaihöhen ( Валдайская возвышенность) nahe dem Dorf Wolgowerchowje bei der Stadt Ostaschkow im Oblastj Twer.
Die Stadt Waldai gehört zum Oblast Nowgorod.
Die Waldaihöhen erstrecken sich hauptsächlich über die heutigen Oblasti Twer, Nowgorod und Smolensk.
Auch der Dnepr hat sein Quell-Areal in den Waldaihöhen. Der Dnepr ( die Römer nannten ihn "danupris") ist der "Tauf-Fluß" Russlands. In seinen Wassern empfing der Kiewer Fürst Wladimir 988 die Taufe (übrigens völlig freiwillig!) und legte damit den Grundstein zur russisch-orthodoxen Kirche und damit verbunden - zu einem unglaublichen kulturellen Aufblühen Russlands.
Zu den ersten großen kulturellen Leistungen der Kirche gehörte - noch vor 988 - die Einführung einer russischen (kirchenslawischen) Schriftsprache:
das glagolithische Alphabet, geschaffen von Kyrill, der aus Thessaloniki stammte.
Später wurde dieses Alphabet in Bulgarien reformiert und zu Ehren von Kyrill das "kyrillische Alphabet" genannt.
Die Stadt Waldai ist bekannt durch ihre Glockengießereien. Nicht nur Kirchenglocken, sondern auch die Glöckchen, die unter der Duga, dem Jochbogen der russischen Pferdegespanne (Troika) gehängt sind, wurden in Waldai gegossen.
Das russische Ohr liebte den Klang der Glocken. Hat der Klang dieser Glocken vielleicht Maßstäbe gesetzt für die Gusli und die Balalaika?
Gesang zur Balalaika und kirchlicher Psalmengesang -
Die russisch-orthodoxe Kirche allerdings hat das Balalaikaspiel - um es in gelinder Form auszudrücken - nicht sehr gefördert. Zu wenig fromm waren ihr die Lieder, die auf der Balalaika gespielt wurden.
Hätten die Kirchenvertreter doch genauer hingehört: sie hätten festgestellt, daß russische Volkspoesie, zur Balalaika gesungen, und die in den Kirchen gesungenen
Psalmen vom Text her sehr verwandt miteinander sind. Die Bildersprache der Psalmen und die Bildersprache der russischen Lieder sind einander sehr ähnlich.
Balalaika: Ein Name - viele Instrumentenformen
Die Balalaika, die Andrejew zu Gesicht bekam, hatte eine etwas andere Form als die Balalaiken, die wir heute kennen. Ihr Korpus war zwar dreieckig, aber sehr klein und schmal.
Als Andrejew das Balalaikaspiel zum ersten Mal hörte, war er fasziniert vom Klang dieses Instrumentes. Zeitlebens kam er nicht mehr von diesem Instrument los. Er erforschte das Instrument und erlernte selber das Balalaikaspiel. Andrejew entwickelte die Balalaika weiter, gab ihr ihre bis heute gültige Form, rief ein Volksinstrumenten-Orchester ins Leben und machte das Instrument Balalaika weltweit bekannt.
Die Balalaika in Deutschland und in Westeuropa
Schon bevor Andrejew die Balalaika in ihrer perfektionierten Form weltweit
bekannt machte, hatte sie schon in ihrer alten schmalen Dreiecksform am Beginn des 19.Jhds. eine Reise nach Polen, Deutschland und Westeuropa gemacht und
war beachtet worden. Dies geschah im Zuge der Befreiungskriege gegen
Napoleon. 1812 wurde das napoleonische Heer aus Russland vertrieben, 1813 besiegten in der Völkerschlacht bei Leipzig die Truppen der Verbündeten
Österreich, Preußen, Schweden und Russland die Truppen Napoleons. Russische Heereseinheiten und Kosakenverbände zogen durch Europa und kamen bis nach Paris. Auf ihrem Weg brachten sie auch die Balalaika mit. Viele Wörter der russischen Sprache fanden Eingang in den Sprachschatz der deutschen und französischen Sprache. So auch "Bistro"
(von russ. "bystro" = schnell) und "Balalaika".
Sowohl Bistro als auch Balalaika haben sich seither verändert, beide sind
moderner geworden. Bei der Balalaika geschah die grundlegende und die das Instrument bis heute prägende "Perestroika" im Jahr 1884 durch W. Andrejew.
1884: Die erste "Andrejew-Balalaika".
Die erste Balalaika, die nach Anweisung von W. Andrejew gefertigt wurde, stellte der Tischler Antonov in Bezetsk im Jahr 1884 her. (Eine andere Quelle gibt als Namen И. Муравьев an: http://muzmaster.jimdo.com/ ).
Antonow (bzw. Murawjow ?) gebührt der Ruhm, die erste "Andrejew-Balalaika" hergestellt zu haben.
Diese war sehr einfach gebaut und hatte - wie fast alle Lauteninstrumente der damaligen Zeit - verschiebbare Darmbünde, die um den Instrumenten- hals geschlungen wurden. Die Bünde waren diatonisch gesetzt. Anfangs waren es
nur 4 oder fünf Bünde.
Andrejew nahm an diesem Instrument viele Verbesserungen vor:
Er verwendete Matallbünde, die fest in das Griffbrett eingelassen wurden und vermehrte ihre Zahl.
Er setzte die Bünde in Halbtonschritten (chromatisch). Die Halsmensur erhielt
16 Bünde, weitere kamen hinzu, nachdem das Griffbrett in den Korpusbereich hinein verlängert wurde. Außerdem vergrößerte Andrejew den Instrumentenkorpus und nahm noch weitere Veränderungen vor. Er richtete in Marjino eine Balalaikawerkstatt ein und ließ dort nach seinen eigenen Entwürfen viele verschiedene Balalaiken herstellen.
Es sind besonders vier Instrumentenmacher, deren Name fest mit der Geschichte der neuen Balalaika verknüpft sind. Hier ihre Namen:
Wladimir W. Iwanow
Владимир Владимирович Иванов,
Geigenbaumeister , St. Peterburg, 1885
Franz Stanislawowitsch Paserbskij
Франц Станиславович Пасербский
Geigen- und Gitarrenbaumeister, St. Peterburg. Er baute 1886 im Auftrag von Andrejew die erste chromatische Balalaika mit 12 Bünden.
Semjon I. Nalimow
Семён Иванович Налимов (1857 -1916)
Kunsttischler aus Ostrowski im Gouwernement Twer.
Nalimow gilt wegen seines Talents als "Stradivari der Balalalaika"
( "балалаечный Страдивари" ).
Er leitete in Marjino die Andrejewsche Balalaika-Werkstatt und baute dort Balalaiken in 6 verschiedenen Größen:
дискант, пикколо, прима, альт, бас, контрабас.
Jede Balalaika erhielt innen folgendes Klebe-Etikett:
№ год
Работа С.И. Налимова
под руководством В.В. Андреева
сельцо Марьино-Андреевское
Iwan Abramowitsch Sjusin
(St. Peterburg)
Iosif Ignatjewitsch Galinis (1882 - 1942)
(St. Peterburg. Dort Schüler in der Werkstatt von Sjusin) Im Jahr 1816, nach Nalimows Tod, trat Galinis dessen Nachfolge als Leiter der Balalaikawerkstatt in
Marjino an. Markenzeichen seiner Balalaiken:
die aus 7 "Dauben" bestehende Korpusschale ( семиклепочный корпус ).
Galinis starb während der Petersburger Blockade durch die deutsche Wehrmacht 1942 an Hunger und Kälte. Er weigerte sich, seine Instrumente zu verbrennen.
Der bekannte Balalaika-Solist Michail Dziudze (Михаил Дзюдзе) spielt auf
einer Subkontrabass-Balalaika ("Zar-Balalaika") von Galinis.
N. Fomin (Marjino)
N. Priwalow (Marjino)
P. Oglobin (Marjino)
Semjon Iwanowitsch Sotzki
Семён Иванович Сотский
(Moskau)
Werkstatt Julius Heinrich Zimmermann
Werkstätten bzw. Vertrieb in:
1. St.Petersburg, 2. Moskau, 3. London, 4. Riga, 5. Markneukirchen,
6. Leipzig, 7. Berlin.
Zimmermann warb mit dem Bau von "Balalaiken und Domren"
(Man beachte die Pluralform v. Balalaika!)
Die von Zimmermann gebauten Balalaiken besaßen - im Gegensatz zu den traditionellen russischen Balalaiken - ein vergrößertes Schallloch.
Paul Fischer (In Riga bei Fa. Zimmermann) (Markneukirchen)
Walter J. Vogt (Mühlen am Neckar)
Gitarrenbauer, Bau von 31-bündigen Nalimow-Balalaiken
Mark Aleksandrovich Kupfer
Seine Balalaiken gelten als Richtmaß für heutige Balalaiken. Wegen ihres unvergleichlichen Klangs sind sie für viele Balalaikaspieler das "Maß aller Dinge".
Für viele Balalaika-Bauer sind sie heute die Norm. Die Klangreinheit der "Kupfer-Balalaiken" reicht über das gesamte Diapason.
Marc Kupfer (geb. 1920) baute in den Jahren von 1979 bis 1993 insgesamt
16 Balalaiken. Sie gehören zu den teuersten Balalaiken der Welt.
Mark Aleksandrovich Kupfer war eigentlich Helikopter-Konstrukteur.
Seine Erfahrungen aus dem Helikopterbau übertrug er auf die Konstruktion seiner Balalaiken. Besondere Merkmale:
1. Für die Bünde verwendete er Flugzeug-Metall.
2. Die unter der Decke verleimten Holzleisten brachte er in einem besonderen geometrischen Schema an.
3. Das Schlagbrett gestaltete er rein funktional und nicht - wie viele andere Balalaikabauer - nach ästhetischen Gesichtspunkten. Die Schlagbretter der
Coupfer-Balalaiken sind wirklich Deckenschutz. Sie nehmen eine sehr große
Fläche in Anspruch und reichen bis weit unter die Schalloch-Höhe hinunter.
Weitere bekannte Balalaikabauer sind:
Andreas Gerth (Berlin)
Dieter Hauptmann (Adelaide, Australien)
und viele, viele andere.
(Die Reihe wird fortgesetzt bzw. ergänzt. Hilfe erwünscht!)
Das Balalaika-Denkmal in Bezetsk
In Bezetsk wurde Wassili Wassiljewitsch Andrejew am 26. Januar
(julianischer Kalender: 14. Januar) 1861 geboren.
Hier wurde auch 1884 in einer Tischlerwerkstatt die erste Balalaika gebaut, hergestellt nach den Entwürfen Andrejews: Der Urtyp der "Andrejew-Balalaika".
In Erinnerung an den Bau dieser ersten "Andrejew-Balalaika" wurde im September 2011 in Bezetsk ein Balalaika-Denkmal erbaut: ein ca. 2 Meter hohes
massives hölzernes Modell einer Balalaika, umrahmt von einem freistehenden steinernen Torbogen. Das Denkmal trägt folgende Inschrift:
«В 1884 году по заказу Василия Васильевича Андреева
столяр бежечанин Антонов смастерил балалайку.
Андреев подарил простенькому русскому инструменту вторую жизнь, и уже усовершенствованная, зазвучавшая по новому в руках мастера, встала бежецкая балалайка во главе Великорусского оркестра.
Отсюда, из Бежецка, началось ее триумфальное славное шествие
по всему миру».
Quelle:
http://tver.bezformata.ru/listnews/bezhetcke-otkrit-pamyatnik-balalajke/1584467/
Unsere heutigen Balalaika bauen auf das von Andrejew neu konzipierte Balalaika-Modell auf.
Die von Andrejew neu konstruierte Balalaika besitzt einen Korpus in dreieckiger breiter Form, hat 3 Saiten und einen langen schmalen Hals mit einem Griffbrett in chromatischer Bundierung. Die Anzahl der Bünde beträgt 16, bei Konzert-Balalaiken sind es 19, 24, 27 und mehr Bünde.
Der Korpus der Andrejew-Balalaika ist aus mehreren separaten Holzteilen
"g e z i m m e r t ". "Gezimmert" ist in seiner wörtlichen Bedeutung zu verstehen: Die zusammengefügten Holzelemente bilden ein "Klangzimmer", einen Resonanzkörper, der nicht mehr - wie früher - aus einem einzigen Stück
(Holz oder Kürbis) besteht, sondern aufgebaut wird aus separaten Elementen.
Diese sind dünne Bretter aus Holz, die in Kunsttischler-Arbeit zugeschnitten und miteinander verleimt werden: Die Korpusschale besteht aus Spänen (bzw.Zargen) und Sadinka (das schräge Hinterbrett), die Decke aus Fichte. Fichte gilt als bestes Tonholz.
Andrejew unterrichtete in den Kasernen von St.Petersburg russische Soldaten im Balalaikaspiel, die das Instrument nach beendetem Militärdienst in ihre Heimatstädte und -dörfer im weiten Russland mitnahmen und auf diese Weise das Instrument dort bekannt machten bzw. das dort in Vergessenheit geratene Instrument und Balalaikaspiel wieder neu belebten.
Um es deutlich klar zu stellen: Andrejew ist nicht der Erfinder der Balalaika und auch nicht der Erfinder der Dreiecksform der Balalaika. Die Dreiecksform ist schon vorher entwickelt worden, es gab sie in verschiedenen Winkelmaßen und Proportionen, jedoch immer in schmaler Form.
Erst Andrejew verbreiterte den Korpus und entwickelte die (fast) gleichseitige Dreiecksform.
Trotz aller Verschiedenheit der Formen:
die Balalaika vor und nach Andrejew war immer s y m m e t r i s c h aufgebaut, im Gegensatz zur ukrainischen Bandura, deren Aufbau unsymmetrisch ist.
Andrejew und die drei russischen Saiteninstrumente
Balalaika, Domra und Gusli
Andrejews Interesse galt nicht nur der Balalaika, sondern auch der Domra ("russische Mandoline", "runde Balalaika") und dem russischen Psalterium,
der Gusli.
Genauso wie die Balalaika studierte und erforschte Andrejew auch die beiden anderen Volksinstrumente Domra und Gusli. Seine Liebe aber galt der Balalaika.
Diese veränderte er so, daß sie die Vorzüge von Domra und Gusli in sich vereinte. Dies gilt für die Formgebung und für den Klang (die Spielart).
Die Andrejew-Balalaika = Synthese von Domra + Gusli
Die Domra ist von der Form her ein reines Schalenkorpus-Instrument mit
runder Form. Die Kürbis-Domra wird bei Gogol "Balalaika" genannt.
Die Domra ist eine Weiterentwicklung der persischen Tanbur.
Die Gusli ist ein reines Kastenkorpus-Instrument von dreieckiger Form.
Die Balalaika fasst beide Korpustypen in sich zusammen.
Die Spielarten:
Traditionelle Balalaika: Die traditionelle Spielart der Balalaika ist die Tanbur/Dombra-Spielart: die Saiten werden mit Daumen und Zeigefinger gezupft oder mit dem Zeigefinger wechselseitig von oben und unten gestrichen.
Domra: Die Hauptspielart der Domra ist das Tremolo (wie bei der italienischen Mandoline)
Gusli: Die Gusli verwendet die gleichen Zupf- und Fingeranschlagtechniken wie jede Zither. Saiten, die nicht mitklingen sollen, werden durch "Fingerauflegen" abgedämpft.
Die Andrejew-Balalaika: Die heutige Balalaika verbindet alle Gusli-, Dombra- und Domra- Spielarten miteinander. Das "dulce melos" wird durch die drei-
eckige Gusliform hervorgebracht und bekommt besonders durch das Tremolospiel seinen Glanz.
Die Geschichte der Balalaika beginnt - wie bereits oben erwähnt - lange vor 1883, dem Jahr, in dem Wassili Andrejew auf das Instrument aufmerksam wurde, sich seiner annahm, seine Form vervollkommnete und es weltweit publizierte
( Weltausstellung Paris 1889 und 1900 ).
Mit dem Wort "Balalaika" wurden nicht nur dreieckige Lauteninstrumente benannt, sondern auch runde, ovale, rechtreckige und schaufel- bzw. bootspaddelförmige.
(Siehe dazu : Frühe Formen der Balalaika bei Michael Goldstein, Seite 10 mit Abbildungen)
Nicht nur die Form der Balalaiken war unterschiedlich, sondern auch das Material, aus denen sie hergestellt wurden, ebenso die Größe, die Saitenanzahl und die Bauarten.
Im Laufe ihrer Geschichte erlebte die Balalaika 4 verschiedene Arten der Herstellung ihres Instrumentenkorpus:
Vier verschiedene Bau- und Herstellungsarten
des Balalaika-Korpus
1. Balalaiken aus Kürbis ( in verschiedenen Formen ).
2. Balalaiken aus Massivholz, aus einem einzigen Stück herausgeschnitzt
3. Balalaiken aus zusammengeleimten Holzteilen.
4. Balalaiken aus Kunststoff ( nur Korpus. Decke aus Holz ). Seit dem 20. Jhd.
1.1.1. Wozu dient die Balalaika?
Die Balalaika gilt als ein geheimnisvolles und ungewöhnliches Instrument. Geheimnisvoll ist ihr Klang, ungewöhnlich ist ihre dreieckige Form, im Dunkeln liegt ihre Geschichte, jedenfalls die Epoche vor dem Jahr 1883, als der russische Musiker Wassili Andrejew die Balalaika zu ihrer heutigen endgültigen Form brachte und das Instrument ins Licht der Weltöffentlichkeit rückte (u.a. auf den Pariser Weltausstellungen 1898 und 1900).
Immer wieder versuchen Menschen, Licht in dieses Dunkel v o r 1883 zu bringen. Jeder aber verwendet dafür einen anderen Scheinwerfer und - jeder leuchtet in eine andere Richtung.
Auch diese Website wird keine hundertprozentige Erleuchtung bringen - und will (und kann) es auch nicht. Aber sie möchte einige Streiflichter aussenden in Richtungen, die bisher vernachlässigt wurden, und Zusammenhänge aufzeigen, die vorher nicht so gesehen wurden.
Nicht nur die Geschichte der Balalaika gibt Rätsel auf, sondern auch die Frage, was für eine Art Instrument sie ist, wozu die Balalaika dient, d.h. für welche Art Musik die Balalaika verwendet wird. Man hört verschiedene Antworten.
Hier die wichtigsten:
Balalaika-Definitionen
Die Balalaika - ein Folklore-Instrument für russische Musik.
Die Balalaika - ein Konzertinstrument (am besten im Zusammenspiel mit Piano)
Die Balalaika - ein Instrument für virtuoses künstlerisches Solo-Spiel
Die Balalaika - ein Begleitinstrument für Gesang (nicht nur für russische Lieder)
Die Balalaika - ein Instrument für eigenständiges Melodie-Spiel.
Welches ist die richtige Antwort? Ganz einfach: alle Antworten sind richtig.
Die Balalaika verwandelt sich zu dem Instrument, das der Balalaikaspieler aus ihr macht. Hier hilft ein Blick auf die Kleidung des Spielers.
Was sagt die Kleidung des Balalaikaspielers aus?
Man achte immer genau auf die Kleidung des Spielers.
Tritt er in Anzug und Krawatte - oder wie es früher üblich war - im Frack auf, dann präsentiert er eindeutig die Balalaika als Kammermusik- bzw. als Konzertinstrument, oft im Zusammenspiel mit einem Klavier.
Präsentiert er sich mit offenem Hemd oder mit Rollkragenpullover auf der Bühne, dann kann man sich auf ein akrobatisches virtuoses Spiel, bei dem alle Register von gefühlvoll bis wild gezogen werden, gefaßt machen.
Der Balalaikavirtuose Alexej Archipowski ist dafür ein Beispiel ("Man kann auf der Balalaika alles spielen")
Tritt er in russischem Stehkragenhemd auf oder in Kosakenkleidung mit Papacha (Pelzmütze) und Stiefeln, so zeigt er unübersehbar, daß er die Balalaika als Folkloreinstrument einsetzt, mit dem er die die Farbigkeit, Tiefe und Weite russischer Volksmusik offenbaren will.
Ist sie in der Hand eines Pfadfinders mit kurzen Hosen, Halstuch und am Lagerfeuer sitzend, so wird die Balalaika gewiß als Schrammel-Instrument zur Begleitung von Fahrtenliedern in Erscheinung treten.
Das Erstaunliche: Die Balalaika entfaltet in jeder Szenerie ihren Zauber.
Balalaika - Ein Instrument mit Vorfahren
Die Balalaika entstammt zwei Instrumentenfamilien
Die Balalaika ist nicht dem spontanen Einfall einer Einzelperson entsprungen (wie z.B. das Saxophon), sondern das Ergebnis einer langen Entwicklungsgeschichte. Diese Geschichte hat sich in Russland "abgespielt", einem Land, in dem europäische und asiatische Traditionen auf vielen Ebenen aufeinander einwirkten, auch auf der Ebene des Musikinstrumentenbaus.
Der genaue Verlauf der Balalaika-Geschichte läßt sich nicht eindeutig darlegen. Die Instrumentenkundlerc sind sich uneins. Immer wieder neue Thesen werden aufgestellt. Unumstritten ist, daß die heutige Balalaika Vorfahren hat.
Nach meiner Überzeugung sind es 2 Vorfahrenlinien, die zusammengeführt wurden und das Entstehen der heutigen Balalaika bewirkt haben.
Zwei Instrumentenfamilien bzw. Instrumententypen wurden vereinigt und haben den heutiigen Balalaika-Typ hervorgebracht. Es sind folgende beide Instrumentenfamilien:
1. Die Familie der runden/ovalen/schaufelförmigen
Schalen-Langhalslauten ( Rundbauch )
(Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)
PERSISCHE TANBUR .................................... ( LAUTE )
(Tanburen aus Kürbis und aus Holz)
Dutar: 2-saitige Tanbur
Setar: 3-saitige Tanbur
Ägytische Nablas
(Als Langhalslaute gedeutet. Deutung jedoch umstritten)
Kaukasische Tanburen
Kasachische Dombra
Russische/ukrainische rundbauchige Domra,
Türkische Baglama-Saz.
Griechische Bouzuki (Rundbauch)
(entstanden aus der türkischen Baglama)
Irische Bouzouki ( Flachbauch !)
(entstanden aus der griechischen Bouzouki)
2. Die Familie der flachen
Kastenzithern ( Dreiecksform ):
(Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)
PERSISCHE SANTUR .............................. ( PSALTERIUM )
Orientalische/asiatische Zithern
Europäische Psalterien (Dreieck, Trapez)
Russische Gusli schlemovidnyje
Nordrussische/finnische/karelische Kantele
Europäische Scheitholte in Dreiecksform
Div. Zithern mit Dreiecks/Trapezform
Aus der Verbindung von LAUTE und PSALTERIUM ist die Balalaika entstanden.
Die Laute hat die dreieckige Form des Psalteriums angenommen.
Die Balalaika kann also als ein H y b r i d - I n s t r u m e n t angesehen werden.
Was bedeutet "hybrid"?
Der Ausdruck Hybrid bedeutet
„etwas Gebündeltes, Gekreuztes oder Gemischtes“.
Es stammt ab von dem lateinischen Fremdwort griechischen Ursprunges
hybrida. (Quelle: wikipedia)
1.1.5. Die Balalaika = zwei Instrumente
Die Geschichte der Balalaika ist eine ganz andere:
Ihre Ausgangsform war ebenfalls - wie bei der Bandura - die Laute (Tanbur/Dombra). Diese Lautenform blieb bei der Balalaika aber immer erhalten: die Symmetrie der Form, der mittig gesetzte Hals und auch die Geringzahl der Saiten (2 oder 3 Saiten).
Verändert aber wurde der K o r p u s . Der ursprüngliche kleine Lautenkorpus, der viele Formen haben konnte (rund, oval, bootspaddelförmig, schaufelförmig-schmal-dreieckig), wurde vergrößert und umgeformt in Richtung auf den dreieckigen Korpus des Psalteriums in seiner breiten Form.
Während die Bandura zur Zither wurde und ihre Lauten-Identität erlosch, behielt die Balalaika ihre zwei Identitäten, sie blieb Laute und Zither zugleich.
"Zwei Seelen, wohnen nun, ach! in meiner Brust..."
Lassen wir den deutschen Dichter Goethe zu Wort kommen:
"Zwei Seelen, wohnen nun, ach! in meiner Brust..."
Doch anders als im Goethe-Zitat, will bei der Balalaika die eine sich nicht von der andern trennen, sondern beide bleiben vereint und ziehen den Zuhörer - um weiter mit Goethe zu sprechen - "himmelwärts".
Die Balalaika verbindet die Form und Klangwelt der Laute mit der Form und der Klangwelt des dreieckigen Psalteriums.
Es entsteht der berühmte 2-Welten-Klang Klang des Instruments, ein violett-silbriger Klang, von dem gesagt wird, daß er das Ohr verzaubert.
In der pflanzlichen Hybridzucht ist der sogenannte Heterosis-Effekt bekannt.
Hybriden zeigen im Vergleich zu reinerbigen Lebewesen eine größere Vitalität und Leistungsfähigkeit. Es scheint, daß dieser Effekt auch für die Balalaika gilt.
Zusammenfassung:
Die BALALAIKA
läßt sich erklären als eine Synthese von
LANGHALS-LAUTE ( Persische Tanbur, asiatische Tanburformen )
UND
DREIECKS-ZITHER ( Persische Santur, In Byzanz und in
Westeuropa verbreitetes Psalterium )
Anmerkungen:
1. Das Psalterium wurde nicht in Europa erfunden, sondern stammt ursprünglich aus Asien. Eine alte Psalteriumsform ist der persische Santur. In Europa wurde das Psalterium vervollkommnet und in vielen Variationen gebaut.
2. Das persische Psalterium hatte die Form eines breiten symmetrischen Trapezes. Seine Saiten wurden aber nicht gezupft, sondern mit Hämmern angeschlagen.
3. Die Synthese der F o r m e n von Laute und Psalterium ist leicht nachzuvoll-ziehen, der g e o m e t r i s c h e Beweis also leicht zu erbringen, die historische Beweisbarkeit ist jedoch zweifelsfrei kaum möglich, da Instrumentenbauer über ihre Absicht keine schriftlichen Quellen hinterlassen haben. Übrigens: ein großer Teil der Erkenntnisse der Instrumentenkunde - das gestehen sogar die Musikwissenschaftler ein - beruht auf Spekulation, auf Wahrscheinlichkeiten, auf Schlussfolgerungen. Diese gelten so lange, bis eindeutige historische Quellen ein neues Bild liefern.
Der Formwandel der Balalaika
Am Anfang ihrer Entwicklung hatte die Balalaika eine andere Form als heute. Im 10. Jhd. hatte sie den persischen Namen "Tanbur". Sie war ein Lauteninstrument mit langem Hals und kleinem ovalen Korpus.
Die Tanbur bzw. Dombra (wie sie später in Zentralasien genannt wurde) wurde aus einem Kürbis hergestellt oder aus Holz geschnitzt. Bei der Kürbisbalalaika war die Korpusform durch den gewählten Kürbis festgelegt. Die holzgeschnitzte Ausführung der Balalaika war in der Form dagegen flexibel.
Sehr häufig begegnete die "Lopata", d.h. die Schaufelform, bei der sich bereits die spätere Dreiecksform andeutete. Jedoch hatte diese "Lopata-Balalaika" einen noch sehr kleinen Korpus und einen sehr langen Hals.
Zu ihrer heutigen Form gelangte die Balalaika durch vier grundlegende Veränderungen der Tanbur/Dombra:
1. Verkürzung des langen Halses
2. Vermehrung der Bünde
3. Vergrößerung des Korpus
4. Schaffung einer Dreiecksform nach dem Vorbild von Kantele/Gusli
5. Verbreiterung der schmalen Dreiecksform
Das Psalterium war ein beliebtes Instrument in Persien. Dort hieß das Psalterium Santur. Das Psalterium war auch in Byzanz und in Westeuropa verbreitet und auch in Russland bekannt. In Nordrussland gab es die Kantele, eine schmale Form des Psalteriums. Es gab auch breitere Ausführungen.
Eine beliebte Form des Psalteriums in Russland war die "Schlemowidnye Gusli"
( helmförmige Gusli ). In der Form der heutigen Balalaika (Dreiecksform mit gerundeten Seiten) ist das Vorbild der Schlemowidnye Gusli noch erkennbar.
(siehe nachfolgende Abbildung: Schlemovidnye gusli)