5.1.   TRÖGE   -   KÄSTEN   -   BRETTER

          IM  MUSIKINSTRUMENTENBAU.

           RECHTECK,  HALBKREIS,  TRAPEZ,  DREIECK

 

TRÖGE  ALLGEMEIN:  SCHALEN  MIT  UND  OHNE  STIEL

HOLZTROG-ZITHERN      ( GUSLI,  KANTELE )    

HOLZTROG-GEIGEN        ( GUDOK  UND  JOUHIKKO )

HOLZTROG-BALALAIKA  ( DOMBRA  UND  PONDAR )

 

Stichworte:  Holztrog  -  Trogzither    -   Inanga   -   Gusli  -  Kantele  -  "Nowgorod-Balalaika"  -   Zimbalon  -   Psalterium  -  Schweinskopf  -  Trapez -  Gudok  -  Tympanon  -  Hirtentrommel (Pastuschij baraban)

 

 

DER  HOLZTROG  - 

Hauswirtschaftliches Behältnis  und  Musikinstrument

 

Der Trog - Ein archaisches  Musikinstrument

 "Archaisch" von griech. "he arche"  =  der Anfang

Der Holztrog, aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt, stand oft am  Anfang der Entwicklungsgeschichte heutiger Musikinstrumente.

Der Trog kann viele Formen haben. Z.B. ist der Löffel ist eine Sonderform des Troges, er ist ein "Stiel-Trog".

Nicht nur für den Godok und die Balalaika in ihrer Holzausführung war der Trog die Grund- und Anfangsform (beide werden im Lied "Bo polje berjosynka stajala" genennt), sondern  auch für andere bekannte in Russland gespielten Saiten-Instrumenten der Volksmusik.

Hier die 4 bekanntesten Saiteninstrumente:

 

Psalterium  aus Holz                     ( Gusli dolbljonyje,  Kantele dolbljonoje ),

russische Geige  aus Holz             ( Gudok dolbljony ),

karelische Geige  aus Holz            ( Jouhikko dolbljonoje )

russ. Tanbur-Balalaika  aus Holz  ( Balalaika dolbljonaja ).

 

Musiktröge

Auch heute noch wird diese Methode des Herausschälens (Heraushauens) aus einem einzigen Stück Holz angewandt. Es ist keine vergessene Handwerkstechnik. Traditionsorientierte Instrumentenbauer  stellen alle vier oben genannte Instrumente auch heute noch in dieser Fertigungsmethode her.

Die Instrumente werden meist aus  Birke oder Fichte  herausgeschält ("dolbljonye instrumenty"), oft nach dem Vorbild eines Backtrogs, einer Futterkrippe oder eines "Schöpftrogs" (Kowsch).  Es entstehen "Musiktröge" verschiedener Formgebung, die häufig ihre Formverwandtschaft mit den oben erwähnten und den nachfolgend genannten Gebrauchströgen erkennen lassen.

 

Der Trog allgemein:  ein Gefäß für universale Verwendung

Die ursprüngliche Verwendung des Troges ist  nicht der Gebrauch als Musik-instrument. Tröge wurden  vornehmlich verwendet als: Futtertrog, Einbaumboot, Brunnenwanne.

Insbesondere war der Trog ein Behälter, genauer: eine Wanne,  zum Zubereiten des Brotteiges oder des Wurstbreis. Letztere werden bezeichnet als  Mulde oder Molle

("Backmulde", "Teigmulde"," Fleischermolle", "Bäckermolle", "Küchenmolle".).

 

Auch ein Trog : der Löffel

Ein Trog entsteht durch Ausmuldung eines Holzbrettes. Bein Löffel ist das Holzbrett, die schmale Holzleiste,  nur an einem Ende ausgehöhlt worden: es entsteht ein Trog mit Stiel: die Urform der hölzernen Tanbur und der hölzernen, aus einem einzigen Stück gefertigten Balalaika.

 

Auch ein Trog :  der Sarg

Tröge mit der Größe von 2 Meter mal 60 cm haben die Ausmaße eines Sarges.

Als ein solcher wurden sie auch benutzt. Viele Kulturen kennen Trogsärge aus Holz, Stein und Glas, in die der Leichnam hineingelegt wurde.  Bekannt sind die Baumsärge der Bronzezeit, die eine sehr große Ähnlichkeit mit Einbaumbooten hatten .

In Ägypten wurden Mumien in Holzsäge gelegt, deren Trogform nicht rechteckig wr, sondern der Form des menschlichen Körpers angepaßt wurde.

 

Musiksarg

Die Assoziation eines Sarges mit einem Trog  hat auch Auswirkung gehabt auf die Benennung der finnischen Kantele:

Diese  wird auch als "sargförmige" ("coffin-type") Kantele bezeichnet.

 

Schalentrog  und  Kastentrog

Bei Trögen, die aus einem einzigen Stück Holz herausgeschält sind, ist es oft nicht zu bestimmen, ob es sich um eine Schale oder einen Kasten handelt. Entscheidend ist die Wölbung des Bodens und der Öffnungswinkel der Trogwände.

 

Vielfalt von Trogformen

Sowohl bei den hauswirtschaftlich genutzten Trögen als auch bei den Musiktrögen,  gibt es eine große Vielfalt der Formen:

 

Tröge in rechteckiger Form

Tröge in länglich-ovaler Form

Tröge mit gewölbtem Boden

Tröge mit geradem Boden

Flache Tröge (Flachschalen) (Nordrussische Zither)

Tiefe Tröge (Türkische Baglama oyma dut) (Einbaum-Boot, Brunnentrog)

Tröge ohne überstehenden Rand

Tröge mit einseitig überstehenden Rand (siehe Skizze weiter unten)

Tröge mit überstehendem Rand an beiden Enden ("Backtröge")

Tröge mit herausgearbeitetem langen Stiel (Löffel)

Tröge mit herausgearbeitetem kurzen Stiel (Schaufeln: Korn-, Mehlschaufel)

Tröge, die aus  e i n e m  Stück geschnitzt sind

Tröge, die aus einzelnen Holzteilen zusamengesetzt sind. Hier ist oft strittig,

          ob es sich um einen Kasten oder einen Trog handelt. Definition!

 

Gusli = Holztrog ohne Stiel

Tröge, die als Backmulden dienen, besitzen einen Rand, der waagerecht an beiden Enden des Troges übersteht.

Die Dolbljonyje Gusli kann ein randloser Holztrog  sein, auf den dann ein Überstehendes Brett aufgeleimt wird, oder ein Holztrog mit einem auf 1 Seite überstehenden Rand. Dieser Rand dient dann als Wirbelbrett.

 

Balalaika = Holztrog mit Stiel

Eine Balalaika, die in ihrer Frühzeit ebenfalls aus einem Stück Holz herausgeschnitzt wurde, kann verstanden werden als als   Trog  mit  Stiel . Sie hatte die Form einer Stielschaufel (lopata) bzw. eines Löffels ("Holzlöffel-Balalaika").

 

Das Gusli-Psalterium  -  ein flacher Holztrog:

          

Inanga  und  Kantele

 

Neben  dem  Musik b o g e n  ist  der  Musiktrog  aus  Holz eine  Urform  vieler  Saiteninstrumente.

( Weitere Urformen: Schikldkrötenpanzer, Kürbisse, Naturschalen )

 

Holztröge  gehören zum landwirtschaftlichen Inventar aller Kulturen. Schon früh wurde erkannt, daß ein Trog auch als  Resonanzkasten  dienen kann. Auf ihm konnte getrommelt werden, er konnte den Klang einer schwingenden Saite verstärken. So wurden Tröge als Saiteninstrumente benutzt.

In Afrika (Ostafrika: Uganda, Ruanda, Burundi) wird auch in heutiger Zeit eine Trogzither  hergestellt und gespielt: die  Inanga ( Enanga, Nanga ) : ein flacher, aus einem Baumstamm herausgeschälter Holztrog in rechteckiger Form, ca. 1m lang und 25  cm breit.

Trogzither "Innanga", lange Form ("Backtrog"), aus einem Stück Holz herausgearbeitet

Die Inanga wird auch Enanga genannt, fälschlicherweise auch "Ennanga". Die Ennanga jedoch ist eine Bogenharfe, bestehend aus einem fellbespannten Kalebasenkorpus mit angesetztem nach oben gebogenen Hals. (Siehe das Foto in "Balalaika und Kürbis", das ein ähnliches indonesisches Instrument zeigt.

Bei der Trogzither Inanga sind beiden Enden ( die kurzen Seiten) leicht gerundet. Sie besitzen Einkerbungen bzw. Löcher für die Saitenführung. 

Die Inanga besitzt - anders als die unten skizzierte Trogzither - keinen  überstehenden Rand (" Wirbelbrett"), sondern weist über den gesamten Umfang einen umlaufenden stumpfen Rand auf. Die Anzahl der Saiten beträgt 7 -12 . Die Saiten sind der Länge nach über den oben offenen Trog gespannt, d.h. die Mensur sämtlicher Saiten entspricht der Länge des Instruments. Die verschiedenen Stimmungen der Saiten entstehen durch je verschiedene Saitenspannung. Die Holzwirbel befinden sich an der Unterseite des Brettes.

 

Entdeckt  in  Susdal:

Offene  Trogzither,  gespielt  in  Russland  heute


Zum Ursprung zurück

Eine mit der Inanga fast identische Trogzither wird heute  von einem russischen Guslispieler in Susdal gespielt. Sie ist ein flacher Trog, aus einem Stück gearbeitet, oben offen, die Saiten laufen der Länge nach über der Öffnung. Auf dem Foto nicht genau zu sehen ist die Art der Wirbel: entweder Wirbel, von unten durch den Rand des Troges durchgesteckt, oder Zitherstifte (Zithernägel).

"Непередаваемо красиво звучит старинный инструмент"

 

http://bogorodsk-noginsk.ru/p-posad/suzdal.html



Der Tschadchan (Чатхан)  -  südsibirische Trogzither

Tschadchan-Spielerinnen. Beginn 20.Jhd.

Bild: Die Tschadchan (Чатхан)

Süd-sibirische Trogzither

(Quelle: wikimedia commons)

 

In  Chakassien ( In Südsibirien gelegene Republik der rüssischen Föderation) (Респу́блика Хака́сия) wird eine Trogzither gespielt, die der Innanga ähnelt.

Ihr Name lautet Чатхан, ihre Form ist lang-rechteckig. Der Trog ist hier jedoch umgekehrt: Die Saiten der Tschadchan laufen über der geschlossenen Decke, der Instrumentenboden ist offen. (Bei der karelischen Kantele oder der ungarischen Hirtenzither ist eine solche Bauart ebenso üblich). Der Trog wird aus aus einem Stück Zedern- oder Fichtenholz  herausgeschält.

Der Чатхан hat 3 bis 14 Saiten.

Andere Bezeichnungen: Жетыген, Чаттыган.  Mehr Info: wikipedia  Чатхан

Inanga, 8-saitig. Afrikanische Trogzither mit kreuzförmigen Kerb-Verzierungen. (Skizze) Eine ähnliche offene Trogzither wird auch in Russland gespielt (in Susdal).
Die Grundform der Gusli: die Trogzither ("Musiktrog"), aus 1 Stück Massivholz geschält
Bild oben: Kantele (Krylovidnye gusli) (Flügelförmige Gusli). Stimmung D - E - Fis - G - A . Die Kantele ist eine gedeckte TROGZITHER. Gut erkennbar: die Dreiecksform
Kantele . Auf diesem Bild gut erkennbar: der TROG
Ungarische Hirtenzither, Unterseite. Unten offener (Doppelkammer-)Holztrog, gezimmert. Auch hier ist eine Dreiecksform erkennbar (stufiges Dreieck)
Balalaika-Rohling aus 1 Stück Massivholz. ("Nowgorod-Balalaika"), noch ungedeckt.
Der Korpus einer holzgeschnitzten Balalaika (Typ "Nowgorod-Balalaika"), mit schmaler Flügelform der Kantele (krylovidnye gusli). (Paddel,Schaufel) - Moderner Nachbau -
Der gedeckte "Trog" (Löffel, Schaufel, Paddel) einer holzgeschnitzten Balalaika. Erkennbar die Dreiecksform der Kantele. - Moderner Nachbau nach historischem Vorbild-
Balalaika aus 1 Stück Massivholz geschnitzt. Decke und Griffbrett aufgelegt. Moderner Nachbau. Typ: "Nowgorod Balalaika", "Holzlöffel-Balalaika" ("Holzlöffel-Tanbur"), "Lopata-Balalaika". Der Korpus ähnelt dem schmalen Dreieckstrog der Kantele.
Eine heute sehr verbreitete Detskije gusli (Kinder-Gusli) in Trapezform. Fälschlicherweise als Harfe oder Zimbalon bezeichnet. (Ein Zimbalon wird mit Hämmern geschlagen)
Gusli-Psalterium (Skizze). Die Grundform des Psalteriums ist das Dreieck.
Schweinskopf-Psalterium, auch "Russische Cither" genannt, eine schlemovidnye gusli mit konkaven Flanken. (Spitz-)Helm-Gusli. Auch hier ist die Grundform das Dreieck.
Гусли шлемовидные (псалтирь). Schlemovidnye gusli. ( Schlem = der Helm, die Kappe)
Гусли шлемовидные. Gusli schlemovidnye. Helmförmiges Psalterium. Funktionsskizze
Schlemovidnye gusli ( Ukraine ). Saitenfeld fächerförmig (wie bei der finnischen Kantele)
Ukrainische Schlemovidnye gusli in der praktischen Ausführung (mit 2 Stegen)

Sehr beliebt und weit verbreitet  war in Russland  bis Ende des 19.Jhds. die schlemovidnye gusli ( Helm-Gusli ). (Siehe Bildbeispiele oben)

Die Form der Schlemovidnye gusli ist - wie jede Helmform - variabel:

 

Halbkreis

Trapez mit geraden Seiten

Trapez mit konvex ausgewölbten Seiten

Trapez mit konkav eigezogenen Seiten

            ( = "Schweinskopf", auch "Russische Cither" genannt )  

 

Egal, welche Brettform die Gusli aufweist: es ist immer das dreieckige Saitenfeld erkennbar. Die Gusli wird auch heute noch ( bzw. wieder) in Russland gespielt, in vielen Formen. 

Auf  der  Gusli  werden  - damals wie heute  - nicht  nur  Akkorde (zur Gesangs-begleitung) gezupft und angeschlagen, sondern es werden Melodieläufe gespielt und wunderbare  Tremolos erzeugt.

Ein Tremolo, auf den oberen hohen Saiten einer Gusli gespielt, und ein Tremolo auf der A-Saite einer Balalaika  sind kaum voneinander zu unterscheiden.

(Hörbeispiele auf youtube: "Gusli").  Die Balalaika imitiert den Klang der Gusli, bzw. tendiert zum Gusliklang.



Psalterium, 5-saitig. Beatus Navarra Codex, 10.Jhd. (Arabisch-spanisch). Länge: 80 cm Korpus ähnlich der Trogzither "Inanga". Über den "Hals" laufen keine Saiten.
Beatus Codex. Buchmalerei. Das Lamm auf dem Berg Zion. Quelle: wikipedia "Beatus" Pierpont 174v“. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:B_Pierpont_174v.jpg#mediaviewer/File:B_Pierpont_174v.jpg

INSTRUMENTE 

"ZWISCHEN"  PSALTERIUM  UND HALSLAUTE

         

Halslaute und Brett-Psalterium gehören zwei verschiedenen Instrumentenkategorien an, dennoch gibt es Übergänge zwischen beiden, als Instrumente, die Merkmale beider Gruppen aufweisen.

Der Hinweis darauf, dass die Balalaika ein solches Instrument ist, wurde bereits mehrmals gegeben.

Es sollen hier noch zwei weitere Instrumente als Beispiel genannt werden:

 

Russische Balalaika

Ukrainische Bandura

Maurisch-Spanisches Hals-Psalterium

 

Balalaika

Sie ist eine Hals-Laute mit der Korpusform eines Psalteriums.

 

Bandura

Sie ist ein Psalterium mit der Korpusform einer Hals-Laute.

 

Entstanden ist sie aus der Kobsa, einer großen flachen Halslaute, über deren Korpus immer mehr zusätzliche Saiten gespannt wurde, so dass sie zu einer Zither wurde. Der Hals der Kobsa ist wie bei einer Laute mittig am Korpus angebracht.

 

Der mittige Hals wurde aus praktischen Gründen  an die Seite des Instruments gesetzt, so dass alle zusätzlich angebrachten Saiten auf einer Seite (der rechten Seite) des Halses verlaufen. So ergibt sich ein funktionales Saitenfeld: Über Hals laufen die langen , tiefgestimmten Saiten, neben dem Hals, zum rechten Korpusrand hin, verlaufen die kürzeren  Saiten.

 

Arabisches (Maurisches)  Psalterium  aus dem Beatus-Codex

Eine "Kithara" mit dem Hals einer Laute

 

Sie ist nur in Abbildungen bezeugt. Zu finden ist sie im "Navarra Beatus-Codex", einer spanischen Handschrift aus dem 10. Jahd. , die zahlreiche Bild-Illustrationen zur Apokalypse des Johannes enthält.

Info: wikipedia "Beatus (Buchmalerei)"

Die Bildmotive im Beatus-Codex  tragen starke arabische Züge.

Die Buchmalei bezieht sich auf den griechischen Text der Johannes-Apokalypse, in dem das Instrument "kithara" genannt wird.

Der Beatus Codex jedoch stellt die "kithara" nicht - wie in der westlichen Buchmalerei üblich - als Dreiecks-Harfe dar, sondern als ein Psalterium in länglicher schmaler Form. Diese Form hat starke Ähnlichkeit mit der Form der Trogzither "Inanga" (siehe Bild oben). Da die Inanga hauptsächlich im Osten Afrikas beheimatet ist (Uganda),  ist eine  arabische Beeinflussung  (evtl. vom islamisch-arabisch beherrschten Ägypten und Äthiopien ausgehend) wahrscheinlich.

 

Das arabische  Psalterium aus dem Beatus-Codex  hat 5 Saiten.  Dies  ist  auf den Bilddarstellungen, die alle sehr präzise gezeichnet sind, eindeutig erkennbar.

5 Saiten besitzt auch das traditionelle karelische Psalterium: die  Kantele.

Das arabische Instrument besitzt jedoch einen Hals und sieht auch auf den ersten Blick aus wie eine Halslaute. Sie erinnert an die lang-ovale Form der indonesischen Spießlaute Ngoni, einem pentatonisch gestimmten Holztroginstrument.

Das Psalterium aus dem Beatus-Codex besitzt einen "Hals", der an den länglichen Korpus angesetzt ist. Über ihn laufen aber keine Saiten. Der "Hals" hat die  Form eines "Spaten- T-Stiels" bzw. einer Krücke.

Das Instrument (siehe Skizze unten) erscheint im Codex sehr häufig, und in fast gleicher Form mit sehr geringen Abweichungen voneinander.

Es ist jedesmal sehr detailreich gezeichnet. Es ist eindeutig sichtbar, dass die Saiten nur über den Korpus gespannt sind. Über den Hals laufen keine Saiten.

Der Hals wird stets vom Spieler mit der ganzen (geschlossenen) Hand umfasst, es werden keine Saiten gegriffen. Der Hals dient nur als "Haltestiel" für das Instrument, dessen Saiten mit der rechten Hand gezupft werden.

Es scheint sich um das gleiche Instrument zu handeln, das bereits im alten Ägypten im 15. Jhd. v. Chr. bekannt war. Siehe Abbildung  weiter unten. Dort allerdings deutet die Haltung der rechten Hand der Spielerin darauf hin, dass es sich bei diesem Instrument um eine Halslaute handelt.

Ungeklärt ist beim Beatus-Instrument die Bedeutung der drei "Wirbel" bzw. des "Kammes" am oberen Ende des Halses. 

Die Länge des Instruments beträgt ca. 80 cm (ohne die 3 "Wirbel").

Ein Psalterium mit dem Aussehen einer Laute. Höchstwahrscheinlich handelt es sich hier um eine Trogzither (mit Haltestab in T-Krückenform), vielleicht ein Monochord in  fünfchöriger Ausführung.

Ägyptische Musikanten mit Langhals-Psalterium ( li.) u. 2 Langhalslauten. Bildnachweis: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:C%2BB-Music-Fig22-EgyptianStringedInstruments.PNG

 

Die  Physik  bestimmt  das   Saitenfeld

 

Das Dreieck

 

Die Grundform der Gusli ( des  Psalteriums, der Zither ), ist das   D r e i e c k .

Diese Form ergibt sich als  Folge des physikalischen Prinzips der Tonerzeugung durch schwingende Saiten. Das Prinzip lautet:

 

kurze Seite - hoher Ton,

lange Saite - tiefer Ton

 

Das gilt auch für schwingende Stäbe und Röhren

 

z.B. Holzstäbe      (Xylophon)

       Metallstäbe   (Metallophon)

       Metallröhren (Tubular bells)

       Glasstäbe      (Cristal Baschet)

 

und  Röhrenpfeifen

 

z.B.  Panflöte  oder  Orgelpfeifen:

     

Kurzer Stab:    hoher Ton    -    langer Holzstab: tiefer Ton.

Kurze Pfeife:    hoher Ton    -    lange Pfeife:      tiefer Ton.

Durch Aneinanderreihung vieler Schwingelemente, in der Reihenfolge der Tonhöhe, entsteht ein Dreieck.

 

Die Gusli benötigt - wie jede Zither  -  v i e l e   Saiten: von 5 bis zu 36 und mehr.

Die Saiten werden kontinuierlich der Länge nach nebeneinander angeordnet:

es entsteht ein   D r e i e c k s f e l d .

Angewendet auf panflötenartig angeordnete Pfeifen ist diese Dreicksform sogar sprichwörtlich geworden: "wie die Orgelpfeifen"

 



Das Saitenfeld der Gusli:  ein Dreieck

 

Ordnet man die Saiten nach der Tonfolge (von hoch zu tief) an, so bildet die Fläche der Saiten ein   Saitenfeld  in Form eines Dreiecks oder eines Trapezes.
Die Form des Resonanzkastens folgt der Form des Saitenfeldes. Man erhält
einen  dreieckförmigen  bzw. trapez-förmigen Korpus.

 

Nun aber ist der Mensch nicht ein Wesen, das blind der technischen Funktionalität folgt, sondern er ist zugleich auch phantasiebegabter Künstler. Er kann die von der Funktion her vorgegebene Form künstlerisch ausgestalten, in anderer Form

umrahmen,  oder auch vollkommen verfremden.  Das geschieht in vielen Bereichen, auch bei Musikinstrumenten.  Das physikalische Prinzip aber bleibt und ist immer erkennbar.

 

Die Saiten der Gusli werden über den Holzkorpus geführt, von Rand zu Rand, und an den Korpusrändern an Wirbeln befestigt. Es ergeben sich - ja nach Bauart - drei Dreiecks- bzw. Trapezformen, die das Saitenfeld umschreiben:

 

Das rechtwinklige Dreieck (asymmetrisches Feld)

Liegen die Saiten- A n f ä n ge  senkrecht untereinander auf einer Linie, so ergibt sich ein unsymmetrisches rechtwinkliges Dreieck.

In der Instrumentenbau-Praxis wird oft eine der beiden nicht-rechtwinkligen Ecken dieses Dreiecks  ( je nach Anordnung der Saiten ) gekappt.

 

Das gleichseitige Dreieck (symmetrisches Feld)

liegen die Saiten- M i t t e n  auf einer senkrechten Linie, so ergibt sich ein symmetrisches gleichseitiges Dreieck, bzw. (da es keine Gusli-Seite mit der Länge 1 mm gibt) ein gleichseitiges Dreieck mit fehlender "abgeschnittener" Spitze: ein Trapez. Die Trapezform ist auch noch bei der Halbrundform der Gusli, der Helm-Gusli (schlemovidnye gusli) vorhanden.

 

Das ungleichseitige nicht-rechtwinklige Dreieck (asymmetrisches Feld)

Das oben Gesagte gilt nur für eine Gusli, deren Saiten parallel verlaufen.

Es gibt auch Gusli-Instrumente, deren Saiten strahlenförmig auseinander laufen: z.B. die nordrussische/finnische Kantele. Bei diesen Instrumenten stellt das Saitenfeld oft ein konvexes Viereck dar. Die vier Seiten dieses Vierecks sind alle verschieden lang. Es gibt keinen rechten Winkel.

Aber auch dieses Instrumentenform kann durch ein Dreieck umschrieben werden. Dieses Dreieck ist ein meistens ein sehr spitzes Dreieck.

Eine ähnliche spitze Dreiecksform besitzt der Streichpsalter. Dieser jedoch ist symmetrisch aufgebaut und zeigt ein gleichseitiges Dreieck (den Buchstaben "V").

 

Zwei Grundformen des Gusli-Korpus

 

A. DER  SYMMETRISCHE  GUSLI-KORPUS:

 

2 Varianten

Die symmetrische Gusliform ist auch in der Balalaika verwirklicht. Es gibt zwei verschiedene Grundformen der symmetrisch aufgebauten Gusli, die sich in ihrer Länge-Breite-Proportion unterscheiden.

 

Die nachfolgende Skizze zeigt die zwei Haupt-Varianten der symmetrischen Gusli

links: Gusli als langes, spitzes Dreieck ( nordruss. und finnische Kantele) ( krylovidnye gusli) - rechts: Gusli mit breiter Trapezform ( auch Halbkreis: Schlemovidnye gusli )

 

Гусли

Die beiden Grundformen der Trapez-Gusli sind nicht nur in den geometrischen Proportionen verschieden, sondern haben auch eine jeweils verschiedene Saitenführung:

 

Gusli Form 1:   Langes spitzes Dreieck.

Die Saiten verlaufen der Länge nach. in Richtung der Spitze des Dreiecks.

( = Die Form der krylovidnye gusli) Z.B. Kantele, Streichpsalter.

 

Gusli Form 2:   Breites symmetrisches Trapez. 

Die Saiten verlaufen quer, parallel zur Grundlinie des Trapezes.

(= Die Form der schlemovidnye gusli) Z.B. detskijе gusli, Hackbrett

 

Die umlaufende Zarge des Psalteriums heißt   обечайка  oder  рама.

Sie verbindet die Decke (верхняя дека) mit dem Boden (нижняя дека ).

 

Vom Rechteck  zum  symmetrischen  Trapez

 

Die Entwicklung der Gusli-Form2 (breites symmetrisches Trapez)

aus einem Rechteck-Psalterium

 

Gelb-markiert:  das  Saitenfeld  der  Spiel-Mensur

Psalterium. Rechteck-Psalterium mit rechteckigem Saitenfeld. Erzeugung hoher Töne nur durch hohe Saitenspannung, dünne Saiten oder Saiten-Tangenten möglich.
Schritt 1: Erzeugung verschieden hoher Töne durch 2 Unterleg-Stege. Es entszeht ein dreieckiges (trapezförmiges) Saitenfeld. Gelb: Spielmensur. Weiß: Tot-Mensur
Schritt 2: Die Korpusform wird der Form des Spielmensur-Saitenfeldes angeglichen: Trapez-Gusli

 

B. DER  UNSYMMETRISCHE  GUSLI-KORPUS

Vom  (symm.) Rechteck  zum  Halbtrapez

 

Das Endergebnis ist eine Psalteriumsform, die in Russland sehr selten ist: das Halbtrapez.

Westeuropäische Halbtrapez-Zither

In Westeuropa ist diese Halbtrapez-Kastenzither heute sehr häufig anzutreffen., ebenso in der Türkei, Arabien und in vielen orientalischen und asiatischen Ländern.

 

Die arabische Kanun (Qanun, Kanoon, Kanon)

Das Halbtrapez ist die typische Form der arabischen Kastenzither Kanun. Besonderheit dieses Instruments: der Unterlegsteg ruht auf einem rechteckigem Fenster aus Tierhaut (Pergament) auf.

 

 

Gelb-markiert:  das  Saitenfeld  der  Spiel-Mensur

 

Spiel-Mensur  =   vibrating length of string  ( gelbes Feld )

Tot-Mensur     =   mute lenght of string         (  weißes Feld )

 

Warum die "Tot-Mensur" manchmal gar nicht tot ist:

1. Das Anschlagen des toten Saitenfeldes wird bisweilen als Klangverzierung eingesetzt, so beim Bandura-Spiel.

2. Durch Druck auf eine Saite der Tot-Mensur wird die betreffende Saite der Spiel-Mensur um einen halben Ton erhöht.

3. Durch vibrierenden Druck auf die Saiten der Tot-Mensur erhalten die Saiten der Spiel-Mensur einen Vibrato-Effekt.

4. Die Tot-Mensur erzeugt beim Anschlagen der Saiten der Spielmensur unerwünschte Töne: "Wolftöne", "Geistertöne". Anhilfe: Doe Tot-Mensur muß gedämpft werden oder gänzlich beseitigt werden.

 

Psalterium. Rechteck-Psalterium mit rechteckigem Saitenfeld. Erzeugung hoher Töne nur durch hohe Saitenspannung, dünne Saiten und Saiten-Tangenten möglich.
Psalterium. Psalterium mit untergelegtem Steg. Es entsteht ein dreieckiges "Spielfeld" Erzeugung hoher Töne durch Verkürzung der Saiten mittels Unterleg-Steg
Psalterium. Psalterium mit Spiel-Mensur und Tot-Mensur. Der Unterleg-Steg teilt das Saitenfeld in 2 Bereiche: Spielmensur und stumme Tot-Mensur (= mute lenght of string)
Psalterium. Entsorgung der Tot-Mensur. Die Korpusform wurde dem veränderten Saitenfeld angeglichen. Das gesamte Saitenfeld ist die Spielmensur. Wird die gleiche Maßnahme auch auf der linken Seite durchgeführt, erhält man ein Trapez bzw. ein Dreieck
Psalterium. Kleine Zither, Halbtrapezform. Die Saitenbefestigungsstifte und Wirbel sind seitlich an der Zarge angebracht wie beim persischen und indischen Psalterium (= Santur) Diese Kastenzither besitzt keinen Unterleg-Steg.
Armenische Kanun. Канон - армянский народный музыкальный инструмент. Psalterium mit Unterleg-Steg. Der Unterleg-Steg ruht auf 4 Pergament-Membranen auf. Bildnachweis: Канун (музыкальный инструмент) Wikipedia.ru
 

 

Psalterium  mit  rechteckiger  Deckenform

und Öffnung (Spielfenster) im Korpus

 

Die Rechteckform des Psalteriums bleibt erhalten.  Der Resonanzkasten ist im rechten Bereich durchbrochen, so dass ein Fenster entsteht  ("Spielfenster").

Jede Saite kann durch das Spielfenster hindurch  von unten  mit den Fingern tangiert und dadurch verkürzt werden.

 

Saitenfeld der Spielmensur:  blau / gelb

 

Gelber  Korpusbereich  = 

Saitenfeld  über  der geschlossenen Instrumentendecke

 

Blauer  Korpusbereich  = 

Saitenfeld  über  der offenen Instrumentendecke  ( Spielfenster ).

Psalterium mit Spielfenster. ( гусли с игровым окном ). Die Saiten im blauen Bereich werden von unten mit den Fingern tangiert: die Mensur wird verkürzt.

 

Balalaika  mit  rechteckiger  Deckenform: 

Kaukasische  Pondar

 

Psalteriumformen haben Einfluss auf Balalaika-Formen ausgeübt.

Die   r u s s i s c h e   Balalaika  hat  sich  in  ihrer  Deckenform  orientiert  an  der symmetrischen  Form des  Dreiecks bzw. des Trapezes. Siehe Schwarz/weiß-Zeichnung oben. Links die schmale Balalaika-Form, rechts die breite Korpusform der russischen Balalaika.

Die  k a u k a s i s c h e  Balalaika "Pondar" hat sich nicht zum Dreieck und nicht zum Trapez gewandelt. Sie weist die oben skizzierte Ausgangsform des Rechtecks auf, verbunden mit einem langen Hals. (siehe nachfolgendes Bild)

Kaukasische Balalaika "Pondar". Rechteckiger Korpus-Umriß (Rechteck mit Hals)

 

C. Der  unsymmetrische  Gusli-Korpus


Das unregelmäßige Fünfeck  ("Flügel")

( Гусли звончатые )


Die nachfolgende Abbildung zeigt eine weit verbreitete und beliebte russische Gusli, die oft Gusli zwontschatye  ( Гусли  звончатые ) genannt wird. Der Glockenklang (zwon) entsteht durch Verwendung von Metallsaiten (nicht Darm oder Nylon).

Die Form dieser Gusli stellt ein  unregelmäßiges  Fünfeck  dar, die Ausgangsform ist aber ein rechtwinkliges Dreieck, von dem die beiden nicht-rechtwinkligen Ecken abgeschnitten sind, so daß eine fünfeckige Fläche entsteht.  Beläßt man die kleine spitze Ecke, so hat die Gusli die Form eines unregelmäßigen Vierecks.

Spielhaltung: Die oberste Ecke mit dem stumpfen Winkel und der kurzen Seite ist dem Spieler zugekehrt.

Гусли-псалтирь. Gusli-Psalterium. "Гусли звончатые" Grundform: rechtwinkliges Dreieck. Schematische Zeichnung der Kantele.

Die Kantele

Die Kantele ist die bekannteste Ausführung der oben gezeigten asymmetrischen Gusli mit strahlenförmig auseinander laufenden Saiten.

Eine alte nordeuropäische Form der Zither ist die Kantele, ein sehr schmales, spitzwinklig-dreieckiges  Instrument. Ihr Saitenfeld ist asymmetrisch, bedingt durch die verschiedenen Saitenlängen. Der Korpus folgt der Form des Saitenfeldes und erhält deshalb Flügelform. Die Spitzpyramide entsteht, wenn man das Instrument "hochkant" hält. Dies ist aber nicht die Spielhaltung. Der Kantelespieler hält das Instrument quer vor sich (auf den Knien oder auf dem Tisch), und zwar so, daß die kurze Saite zu seinem Körper weist.

Kantele. Grundform:unregelmäßiges Fünfeck ( Flügel-Form: gusli krylovidnye)

Die Spielhaltung der Gusli

 

Für die Spielhaltung der Gusli gilt generell: stets ist  die kurze Seite der Gusli

(die Saite mit den hohen Tönen) dem Körper des Spielers zugekehrt.

Die lange Seite weist vom Spieler weg.

Die Gusli ist eine Zither. Wie bei der Zither allgemein gibt es auch bei der Gusli

hauptsächlich  vier  verschiedene Spielhaltungen:

 

1. Sie steht fast senkrecht auf den Knien des Spielers, gegen seine Brust gelehnt.

2. Sie liegt waagerecht auf den Knien des sitzenden Spielers ("Laptop")

3. Sie hängt am Gurt waagerecht vor der Brust des stehenden Spielers:

    diese Spielart ist besonders in Mari verbreitet: bei den Wolga-Finnen in der 

    russ. Republik Mari-El. ("Tscheremissen").

    Siehe: http://www.samoffar.ru/mari_goose.shtml

4. Sie liegt waagerecht auf dem Tisch vor dem Spieler

 

Am häufigsten wird die Gusli auf die erstgenannte Art gespielt, und zwar so, daß die lange Breite des Instruments auf den Knien des Spielers aufruht, und die kurze Breite ( mit den hohen Tönen ) gegen die Brust des Spielers gelehnt ist. Seltener ist die Spielhaltung 2 anzutreffen.

Die Gusli mit ihrem Glockenklang war im 12. Jhd. und wieder im 19.Jhd. das Lieblingsinstrument der Russen.

Die Gusli war nicht einfach zu spielen, sie besaß eine Vielzahl von Saiten: bis zu 11, 12 und noch mehr, je nach Region und nach Eigenart des Spielers.



Exkurs 1

Gusli-Psalterium. Гусли-псалтырь

Eine Rätselaufgabe

 

Nehmen Sie das nebenstehend abgebildete Psalterium

und setzen Sie oben am Trapez einen Instrumentenhals an.

Entfernen Sie die quergespannten Saiten und ersetzten Sie sie durch 2 oder 3 längsgespannte Saiten.

Welches bekannte russische Musikinstrument erhalten Sie?

 

 

Exkurs 2

Balalaika, Gusli,  Gudok


Gudok zur Tanzbegleitung

Ein anderes sehr verbreitetes russisches Instrument, der Gudok, ein Streichinstrument (eine Geige), wurde hauptsächlich zur Tanzbegleitung eingesetzt

( vgl. engl. "Jig", im Irish Folk verbreitet,  von frz. "gigue" = gyge, geige !).

Gusli zum Vortrag der Bylinen und Lieder

Die Gusli wurde gespielt meist zur Begleitung von besinnlichen und erzählenden Liedern.

Balalaika zum Vortrag der Lieder und zur Tanzbegleitung

 

Die Balalaika wird nicht nur als Melodie-Instrument, sondern - wie das Streichinstrument Gudok- auch als Begleitinstrument für Gesang und Tanz eingesetzt.

Michael Goldstein schreibt in seinem Balalaika-Buch (siehe Literaturverzeichnis), daß  Michael Ignatieff mit dieser Verwendung der Balalaika nicht einverstanden war. Für ihn hatte die Balalaika die Würde eines Konzertinstrumentes, die unbedingt bewahrt werden mußte. -  Aber das wahre Leben ist hier nicht so streng.

Die  Gusli:  Kastenform  und  "Kastenklang"

 

Непередаваемо красиво звучат старинные гусли.

 

Die Gusli ist ein auf einer geometrischen Dreiecks-Grundform aufgebauter Kasten in sehr flacher Bauform.

Das Klangbild eines solchen Instrumentes ist eine ganz spezifisches. Beschreiben kann man es mit Worten nicht. Es ist eben der unbeschreibbare, aber dennoch faszinierende "Kastenklang"  eines Dreieckskörpers, der ein "dulce melos" erzeugt. Eine physikalische Untersuchung der Schwingungsverhältnisse in einem dreieckigen Resonanzkörper steht noch aus. Der Violinenkörper ist da besser erforscht.

 

Aber jeder Akustiker weiß: physikalische Werte sagen nichts, es entscheidet letztlich das Gehör. Es gilt die alte Weisheit "Wer mißt, mißt Mist!"

"Brillianz" (eine wichtige Eigenschaft von Musikinstrumenten)  kann man nicht messen, so hört man es immer wieder von Musikern. Entweder klingt ein Instrument brilliant, oder nicht.

 

Exkurs: 

Ein  Kastenklang, der fasziniert:  die  Geige

 

"Kastig"  klingt abwertend  ( z.B. "Klimperkasten " ) ist es aber nicht.

Der "kastige" Klang eines Psalteriums ist überaus faszinierend, die Zuhörer werden durch seine Sphärenklänge regelmäßig in seinen Bann gezogen und geraten in Entzücken.

Übrigens: auch die Violine ist ein Kasteninstrument, nicht, weil sie in einem Geigenkasten untergebracht wird, sondern weil sie selber ein   Klang-Kasten

( und nicht eine "Klangschale" wie die italienische Mandoline)  ist.

Viele, besonders Frauenherzen, schwören darauf, daß es nichts schöneres gibt als den mit dem Streichbogen erzeugten herzschmelzenden Musikklang der Saiten einer Geige, also eines "Holzkastens".

Beim Gusli-Psalterium ist es ähnlich: Besonders das Tremolospiel (das "Tremendum") der Gusli bewirkt das "Fascinosum" des Zuhörers.

 

Der Kastenklang eines gezupften Psalteriums und der Kastenklang einer Geige sind natürlich sehr verschieden und kaum miteinander zu vergleichen.

Der Dreieckskasten einer Zither entfaltet eine andere Klangwelt  als der Kasten einer Stradivari-Violine mit ihrem geschwungenen Umriß.

aber beide Instrumente beweisen, wozu Kästen in der Lage sind.

 

Exkurs 3:

Gusli - Tympanon - Hirtentrommel (pastuschij baraban)

Tympanon an der Kathedrale zu Chartres, Skizze. Animaux sculptés dans le portail royal de la cathédrale de Chartres. Issu du Dictionnaire raisonné de l'architecture française du XIe au XVIe siècle, par Eugène Viollet-Le-Duc, 1856. wikimedia commons

Gusli und Tympanon


Die Form der symmetrischen dreieckigen oder halbrunden Gusli ähnelt häufig dem Kokoschnik, der traditionellen schmückenden Kopfhaube der russischen Frauen.

Man trifft diese Form aber auch in der Architektur an: als  Tympanon.

Mit Tympanon bezeichnet man in der Architektur ein dreieckiges bis halbrundes Giebelfeld. Ein solches wurde im Mittelalter gerne über die Portale der gotischen Kathedralen gesetzt. Der Ausdruck Tympanon stammt aus der Welt der Musikinstrumente und bezeichnet ursprünglich eine  kreisrunde Trommel.


Das getrommelte Psalterium

Als man begann, die Saiten der dreieckigen und trapezförmigen Psalterien mit Trommelhölzern zu schlagen (hämmern), wurde das Zupfinstrument Psalterium

( = Gusli) zur Trommel (Tympanon), genauer:

zum Saitenschlaginstrument.

 

Getrommelt wurde nicht auf dem Korpus, sondern auf dem Saitenfeld.

Die vormals  runde Trommel (=Tympanon)  wandelte sich zur dreieckigen  und  trapezförmigen "Trommel".

Das obige Bild zeigt ein architektonisches Tympanon, das die Form einer Schlemovidnye Gusli hat. 

Die bekannteste Ausführung des "getrommelten" Psalteriums ist das Hackbrett.

(siehe nachfolgende Skizze)

Das russische Wort für  "Trommel"  lautet  "Baraban", griechisch  "Tympanon".



Das bemalte Tympanon

Genauso wie in der Architektur die Tympanon-Felder , egal ob dreieckig oder halbkreisförmig, mit figürlichen Motiven oder der Ornamenten gefüllt werden, so geschieht es auch bei den Musikinstrumenten.

 

Exkurs 4:

Gusli  und Hirtentrommel (pastuschij baraban)

Гусли  и  пастуший барабан

 

Das folgende Bild zeigt ein sog. "Hackbrett" in seiner typischen Form des symmetrischen Trapezes. Die Saiten des Hackbretts werden mit Hämmern angeschlagen: die beiden Hämmer "Trommeln" auf das Saitenfeld.

Entfernt man von diesem Instrument die Saiten, so erhält man eine echte Trommel.

Hackbrett = gehämmertes ("getrommeltes") Psalterium. ( Symmetrische Trapezform ). Ursprung ist der ebenfalls getrommelte persische Santur.

 

Ein psalterium-ähnliches Instrument  o h n e   S a i t e n  wurde (und wird noch heute) in der russischen Volksmusik verwendet  -  als  Brett-Trommel, also als  Tympanon ( = Trommel, russisch "baraban" ) in seiner eigentlichen Bedeutung. Dieses Instrument hat sehr häufig die Trapez-Form einer Gusli, kann aber auch ein einfaches rechteckiges Brett sein.

 

Der Name dieses Instruments lautet  пастуший  барабан (Hirtentrommel).

Der Trommelkörper ist aber kein Kasten, sondern ein massives Brett aus Ahorn oder Birke. Andere Bezeichnungen (Quelle: ethnocolocol.ru)  :

пастушня

пастухалка

брякалка

стукоталка.

Auch heute noch wird der Pastuschij baraban  in der Volksmusik als Rhythmus-instrument verwendet.

Seine Form ist meist ein Rechteck oder ein Trapez. Es sieht bisweilen der Gusli zum Verwechseln ähnlich, nur die Saiten fehlen. Sehr häufig ist im Brett auch eine dekorative  Schallöffnung  angebracht - wie bei der Gusli. Auch wird das Brett gern mit einer  Bemalung  versehen - wie bei der Balalaika.

Die Hirtentrommel wird (wie der persische Santur oder das deutsche Hackbrett ) mit 2 Klöppeln geschlagen  ( siehe Abbildung unten ).

 

Der Pastuschij Baraban wird mittels einer Schnur um den Hals gehängt. Das Brett befindet sich beim Spielen vor dem Bauch. Die beiden Klöppel werden von oben geführt.

Russische Hirtentrommel, polychromiert. Eine "Brett-Zther" ("Hackbrett") ohne Saiten