3.2. BALALAIKA UND BIRKE
EINE BALALAIKA, GESCHNITZT AUS DEM HOLZ
EINER BIRKE
"DIE BALALAIKA IN DER BIRKE"
Das russische Volkslied " Bо поле берёэынька .."
Zwei Musikinstrumente aus dem Holz der Birke :
Gudok und Balalaika
Gudok (Geige) und Balalaika
Im Lied "Wo polje ...", einem der bekanntesten russischen Volkslieder, wird folgendes erzählt :
Eine junge Frau geht in den Wald, um dort eine Birke zu fällen und von der Birke Äste abzuhauen.
( Ein starkes Mädchen ! )
Aus dem Holz der Birke fertigt sie mehrere Musikinstrumente:
Drei Gudok ( " tri gudotschka" ) und eine Balalaika.
( Ein talentiertes Mädchen ! )
Diese Instrumente will sie spielen, um damit ihrem Liebsten eine Freude zu machen.
( Ein liebreizendes Mädchen ! )
(Leider ist die Situation nicht ganz so harmonisch, wie es sich in dieser anfänglichen Schilderung darstellt. Vor dem weiteren Textverlauf wird gewarnt !)
NIKOLAI RIMSKI-KORSAKOW, VOLKSLIED NR. 39
Das russische Volkslied, in dem diese Geschichte erzählt wird, heißt "Wo polje berjosynka stojala" ("Auf dem Feld stand eine Birke").
Das Lied stammt aus dem Dorf Nikolsk, Kreis Tichwin.
Es ist eines der bekanntesten russischen Volkslieder. Über das Alter dieses Liedes und seines Textes gibt es keine genauen Angaben, aber es wird ein hohes Alter vermutet.
Tichwin gehörte seit 1773 zum Gouvernement Nowgorod (Weliki Nowgorod)
In der Stadt Tichwin wurde 1844 der Komponist und Volksliedsammler Nikolai Rimski-Korsakow geboren, der dieses Lied als Lied Nr. 39 in seine Sammlung russischer Volkslieder ( "100 russ.Volklieder" ) aufgenommen hat.
Im ehem. Gouvernement Nowgorod in den Waldai-Höhen entspringt übrigens die Wolga (Nach der Gebietsreform 1775 ist die Wolgaquelle heute dem Oblast Twer zugeordnet).
Das Nikolsker Lied besitzt 15 Strophen. Es hat im weiteren Verlauf einige sehr derbe Textpassagen, die hier aber nicht wiedergegeben werden sollen, um dem Ruf des Mädchens nicht allzu sehr zu schaden.
"Долблёный резонаторный корпус"
Holz-Kunstwerke mit Klang:
Gudok (Geige) und Balalaika
Das Lied "Wo polje ... " weist auf eine uralte handwerkliche Herstellungsart von Musikinstrumenten hin:
der Instrumentenkorpus wird aus einem einzigen Holzstück (Baumstamm, Ast) herausgeschält. Es entsteht ein долбленый резонаторный корпус.
Dies war eine beliebte und weit verbreitete Herstellungsmethode für viele Musikinstrumente in vielen Regionen unserer Erde.
Diese Herstellungsmethode ist bekannt aus der darstellenden Kunst: Michelangelo hat auf diese Weise seinen David aus einem Marmorblock herausgehauen.
Auch das Musikinstrument stellt ein bildhauerisches Kunstwerk dar.
Diese Fertigungsmethode ist nicht ausgestorben. In vielen europäischen und außereuropäischen Kulturen werden Instrumente immer noch nach diesem Verfahren gebaut.
Bekannt und verbreitet ist die bulgarische Gusla, eine aus einem Stück geschnitzte "Holzlöffel-Geige" mit nur 1 Saite. Der Korpus ist mit unten Schnitzereien verziert, oben mit Tierhaut bespannt. Sie ist ein beliebtes Souvenir von Bulgarien-Urlaubern und wird häufig bei Ebay angeboten. (Bild: weiter unten!)
Auch dort, wo die Holzschnitz-Methode längst zugunsten neuerer moderner Fertigungstechniken aufgegeben wurde, besinnt man sich im historischen Musikinstrumentenbau wieder auf diese Bauweise. Solche Schnitztrog-Instrumente vermitteln einen unübertroffenen authentisch-historischen Klangeindruck, weshalb diese Bauweise von Ensembles für alte Musik wieder in verstärktem Maß angewandt wird.
Das nachfolgende Bild zeigt eine Baglama, eine "türkische Balalaika", aus einem einzigen Stück Holz (Maulbeerbaum) geschnitzt: die Baglama im Vierkantholz des Maulbeerbaums.
Eine historische russische Balalaika, die aber flacher ist als eine Baglama, wurde genauso hergestellt. Sie aber befand sich "vor ihrer Geburt" im Holz einer Birke.
Die Form der Korpusdecke wird bei der holzgeschnitzten Balalaika eine ähnliche Form gehabt haben wie die gezeigte Baglama. Es ist die Form der alten persischen Tanbur.
Holzgeschnitzter Korpus oder Kürbiskorpus:
nicht der Breitengrad entscheidet, sondern der Instrumentenmacher
In dieser Website ist das "Holzkapitel" hinter das "Kürbiskapitel" gesetzt.
Damit soll nicht ausgesagt werden, das der Holzinstrumentenbau den Kürbis-Instrumentenbau abgelöst hat. Beide Fertigungsmethoden existierten (und existieren) nebeneinander.
Die Frage: "Was war zuerst da? Das Kürbisinstrument oder das Holz-Instrument?" läßt sich nicht beantworten.
Es gab Balalaiken in beiden Ausführungen: aus Kürbis und aus Holz.
Oft war das regionale Kunsthandwerk entscheidend, die regional vorherrschende Tradition und die Vorliebe des Künstlers für ein bestimmtes Material.
Es gibt auch keinen "Kürbis-Äquator" oder "Birken-Äquator", der Kürbisfelder und Birkenwälder (oder überhaupt Tonholz-Bäume jeder Art) südlich und nördlich voneinander trennt.
Man kann nicht sagen:"Im Norden Russlands wurden Balalaiken aus Holz gebaut, im Süden aus Kürbissen." Birken und Kürbisse wachsen in der gleichen Klimazone. Im Kaukasus, also im Süden, dem angeblichen "Kürbisgebiet", wird die Balalaika, die dort noch ihren alten Namen Tanbur (Pondar, Pandur) trägt, aus Holz gebaut.
Kürbisklang und Holzklang
Entscheidend ist auch, welchen Klang das Instrument haben soll. Danach wählt der Instrumentenbauer das Material aus: Kürbis oder Holz.
Vorsicht! Kürbis! Zerbrechlich!
Ein anderes Kriterium: Instrumente werden statt aus Kürbis aus Holz gebaut, weil ein Kürbis-Korpus sehr empfindlich ist. Die harte dünne Kürbisschale ist manchmal zerbrechlich wie Porzellan. Holz ist robuster.
Der Hamburger Musik-Shop FOLKFRIENDS weiß ein Lied davon zu singen: Die indische Sitar, deren Korpus traditionell immer aus einem getrockneten Kürbis besteht, übersteht den Transportweg von Indien nach Deutschland häufig nicht. Die Sitar-Kürbisse kommen sehr häufig in geschreddertem Zustand in Hamburg an.
Ein Argument für Resonanzkörper aus Holz!
Zum Lied:
Das Lied bringt in Erinnerung, dass Frauen, besonders im ländlichen-dörflichen Bereich, imstande waren, Gegenstände aus Holz zu schnitzen. Sie besaßen oft in hohem Maße handwerkliche und künstlerische Fähigkeiten.
Zu den Aufgaben der Frauen in der Hauswirtschaft gehörte nicht nur das Zubereiten von Speisen, sondern auch die Herstellung der für die Kochkunst und Küchenherrschaft benötigten "Hardware". Zu dieser Hardware gehörte auch vielerlei hölzernes Küchengerät.
Aus dem Holz der Birke: Löffel, Schale, Backtrog, Sarg, Geige, Balalaika
Aus Holz wurden von Frauen (wie von männlichen Handwerkern) gefertigt die verschiedensten Dinge, die im alltäglichen Leben auf dem Dorf benötigt wurden: Löffel, Schöpfkellen, Kinderwiegen, Backtröge, Teigmulden, Futterkrippen, verschiedenes Kinderspielzeug. Frauen wie Männer fertigten aus Holz Boote, Ruderblätter, Särge, - und eben auch Musikinstrumente.
Es ist kein Zufall, wenn manche Musikinstrumente eine große Ähnlichkeit mit hauswirtschaftlichem Gerät haben. Oft begegnen Musikinstrumente in Trog-, Paddel-, Löffel- Sarg- und Bootsform.
Das Erstaunliche: Nicht nur die Fertigungsmethode, auch die Formen dieser aus Holz geschnitzten Gegenstände sind "international": in verschiedenen Kulturen begegnen oftmals gleiche Formen.
So gibt es z.B. Musikinstrumentenformen in Russland, die eine große Ähnlichkeit haben mit Musikinstrumente in Indonesien.
Nun scheinen Russland und Indonesien nicht viel miteinander zu tun zu haben. Doch der Schein trügt, es gibt Gemeinsamkeiten.
Holzschnitzkunst ist international:
Exkurs nach Finnland und Indonesien
Kulturen mit Verbindung:
Russland - Finnland - Persien - Indien - Indonesien
Daß russische und finnische Holkzschnitzkunst sehr große Ähnlichkeit miteinander haben, erstaunt nicht. Aufgrund seiner geografischen Lage und seiner historischen warägischen Vergangenheit besitzt Russland eine natürliche Verbindung zum Norden Europas.
Aber eine Verbindung zu südlichen Regionen wie Persien oder Indonesien?
Beide, Russland und Indonesien, besaßen in ihrer Vergangenheit einen ähnlichen "Kulturteppich": ein kulturelles Grundmuster, in dem ländlich-bäuerliches Milieu und Wassermilieu (Schifffahrt und Bootsbauhandwerk) miteinander verwoben waren.
Indonesien als ein Inselreich war naturgemäß auf Bootsverkehr und Bootsbau angewiesen. In Russland war es ähnlich. Die größten bewohnten Flächen Russlands waren landwirtschaftliches Gebiet, umschlossen von dichten Wäldern und Sümpfen, Straßen waren kaum vorhanden.
Dann gab es die Städte, oft entstanden aus Kaufmannsniederlassungen. ("Gardarike", Reich der Städte, wurde Russland genannt.) Die Städte lagen an Flüssen. Die Flüsse waren die wichtigsten (und oft einzigen) Verkehrsstraßen Russlands.
Aus Holz wurden die russischen Hütten gebaut, ebenso landwirtschaftliches Gerät - und Musikinstrumente; aus Holz wurden kleine Boote und größere Schiffe gebaut. In Indonesien war es ähnlich.
Nicht nur ein Vergleich des Kulturmilieus läßt sich zwischen Russland und Indonesien herstellen, sondern sogar auch eine geografische Verbindung:
Russland ist durch die Wolga, die in das Kaspische Meer mündet, mit Persien verbunden. Auf diesem Wasserweg fand (neben dem Dnjepr, der Russland mit den Warägern und den Griechen verband) der Handelsaustausch mit Persien statt.
Persien wiederum hatte enge Beziehungen zu Indien (zur Zeit der Achämeniden, unter Alexander dem Großen, zur Zeit der Sassaniden und unter der Herrschaft der Araber zur Zeit der islamischen Expansion).
Das persisch beeinflußte Indien hat wiederum auf die indonesische Kultur stark eingewirkt. Auch der Name "Indonesien", eine griechische Wortprägung, weist auf Indien hin: "Indo"= Indien, "nesos" = Insel.
Russland - Holland - Indonesien
Zu erwähnen ist auch eine andere Verbindung von Russland und Indonesien, die über Holland stattfand: Im Jahr 1697, als Zar Peter der Große auf holländischen Werften (in Zaandam, Amsterdam und Krummendijk) als Zimmermann und Schiffbauer arbeitete und Schiffbau studierte, stand Indonesien unter holländischer Herrschaft und hieß "Niederländisch-Indien".
350 Jahre lang, seit 1600, war Indonesien holländische Kolonie. (Unabhängigkeit von Holland: 1949) Der Verkehr zwischen Holland und Indonesien fand durch Schiffe statt. Die Werft in Krummendijk, auf der der Zar arbeitete, gehörte zur Niederländischen Ostindien-Kompanie
( Vereenigde Geoctroyeerde Oostindische Compagnie, abgekürzt: VOC ). Dort in Krummendijk wurden Schiffe gebaut, die als Handelsschiffe nach Niederländisch-Indien (Indonesien) fuhren.
Batavia (heute: Jakarta) auf Java wurde während der niederländischen Kolonialzeit zum größten südostasiatischen Handelsplatz. Persische, chinesische und indische Handelsgüter wurden zuerst nach Indonesien gebracht, bevor sie über Java nach Europa verschifft wurden.
Durch die Holländer erhielt Indonesien 350 Jahre lang auf vielen gebieten eine europäische Prägung.
Gewiß geschah die Beeinflussung beider Kulturen auch in umgekehrter Richtung. In welchem Maße, wäre ein interessantes Thema einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit.
Bemerkenswert sind im Musikinstrumentenbau Russlands und Indonesiens die starken Ähnlichkeiten von Musikinstrumentenkorpora mit Schiffsformen.
Eine Birke, drei Geigen und eine Balalaika
Aber bleiben wir in Russland. Und begeben wir uns zu der Birke, aus der das Mädchen keine Schiffsmodelle, keine Suppenlöffel oder anderes Haushaltsgeschirr geschnitzt hat, sondern Musikinstrumente.
Im Lied werden zwei unterschiedliche Saiteninstrumente genannt.
Gudok und Balalaika
Die ersten drei Instrumente, die die junge Frau aus der Birke geschnitzt hat, waren Geigen ( gudki ). Diese wurden, wie es in dem Lied heißt, jeweils aus einem prut (wörtlich der Diminutiv "prutotschek") der Birke geschnitzt. "Prut" heißt Zweig oder dünner Ast.
Der Ast allgemein heißt auf russisch "suk" (сук). Im Lied wurde aber die Bezeichnung "prut" gewählt, gewiß nicht um auf die besondere Dünnheit des Astes hinzuweisen, sondern wegen des Reimes: prutotschka - gudotschka.
Sukotschka würde sich zwar auch auf gudotschka reimen, aber das verbot sich, denn "sukotschka" ist die Koseform von "Hündchen" (suka = Hündin).
Der Prut in dem Lied steht also für Suk, aber ein Suk ist kein Baumstamm, sondern ein Ast. Er ist also nicht allzu breit,
was bedeutet, daß die Geige (Gudotschek) sehr schal gewesen sein muß.
Gleiches gilt auch für die holzgeschnitzte Balalaika. Die Bildleiste links zeigt eine solche schmale Balalaika, wie sie heute noch im Kaukasus hergestellt wird.
EXKURS IN DIE NEUZEIT:
VOM PRUTOTSCHEK ZUM STRUMSTICK
VON DER LOPATA-BALALAIKA ZUM GITARRENPADDEL
Renaissance historischer Formen
Saiteninstrumente, die so aussehen, als ob sie aus einem schmalen Ast gefertigt sind, sind keineswegs nur in Museen in der Abteilung "Primitive historische Instrumente" zu besichtigen, sondern es gibt diese Instrumente auch heute. Sie werden in vielen Formen gebaut und sind im Handel in großer Auswahl erhältlich.
Ihre Form knüpft an alte asiatischen Formen an. Solche Instrumente sind wieder sehr modern. Sie werden viel gespielt und haben eine größere Anhängerschaft als man glaubt.
Strumstick
Diese schmalen Instrumente heißen strumsticks: sie werden als Lauten, Gitarren, Mandolinen und Banjos gebaut. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit, besonders diejenigen mit diatonischer Bundierung, die auch für den Anfänger sehr einfach zu spielen sind. Häufig werden die diatonisch bundierten Strumsticks mit dem nicht sehr aussagekräftigen Namen "Dulcimer" bezeichnet.
Auch teilchromatische und voll-chromatische Bundierungen sind anzutreffen.
Eine voll-chromatische Bundierung besitzt die Martin Backpacker Gitarre, eine Neuentwicklung aus dem Jahr 1992. Diese Gitarre gilt keineswegs als primitiv, sie wird auch nicht als exotisches Kuriosum belächelt. Im Gegenteil: sie ist sehr begehrt, hat einen legendären Ruf und besitzt Kult-Statius. Liebevoll wird sie wegen ihrer Korpusform als "Gitarren-Paddel" bezeichnet. Sie zählt zu den lauten "Travel-Gitarren".
Die "Martin Backpacker" - Travel-Gitarre in Paddelform
Sie wird nicht nur als schmale platzsparende Reisegitarre benutzt, sondern von vielen namhaften Gitarristen auch auf der Bühne als vollwertige Gitarre gespielt, die nicht nur wegen ihres kompakten Aussehens, sondern auch wegen ihres kompakten Klanges und ihrer direkten Ansprache besondere Akzente setzt.
Balalaika-Gitarre
Die Form dieses "Gitarrenpaddels" erinnert an die schmale Form der historischen schaufelförmigen Tanbur-Instrumente Dombra und Balalaika:
лопатообразная домра
лопатообразная балалайка.
(Lopata = Schaufel, Spaten, Paddel) Die paddelförmige Martin Backpacker als "Balalaika-Gitarre" zu bezeichnen, wäre also gar nicht so abwegig, zumal die "Martin" außer der Korpusform noch ein weiteres Ur-Balalaika-Merkmal besitzt: das schmale "Wirbelbrett", das gar nicht als solches bezeichnet werden kann, weil es keine Breite besitzt, die über die Breite des Halses bzw Griffbretts hinausgeht. (siehe Foto)
Wie bei der alten Spießlauten-Balalaika sind die Wirbel direkt im wirbelbrettlosen Instrumentenhals eingelassen. Dies geschieht auch heute noch bei der "türkischen Balalaika", der Baglama.
Zwei weitere Ähnlichkeiten mit historischen Instrumenten sind beider Martin Backpacker zu entdecken: die schmale Dreiecksform der finnischen Kantele und die lange schmale Trompeten-Schalltrichterform des Trumscheit (Tromba marina).
Im Deutschen ist die Bezeichnung "Gitarrenpaddel" gebräuchlich, im Englischen wird die Marin Backpacker oft "Boatpaddle sound box" genannt.
Weitere Infos:
Abbildung einer Martin Backpacker in "wilder Aktion": siehe Bildleiste links, und
stick and strum
Das engliche Wort stick bedeutet fast dasselbe wie das russische prut, nämlich:
Stock, Stab, Stecken, Stiel, Stange, Knüppel, trockener Zweig, Stück Holz, Gerte, Rute.
Bitte, nicht verwechseln mit "to stick" = kleben. (sticker = der Aufkleber).
strum bedeutet: klimpern. ( to strum a guitar = auf der Gitarre herumklimpern ).
Es entspricht dem russischen Wort brjazatj ( бряцать ) = klimpern ,
ein terminus technicus für Balalaikaspielen allgemein.
Das Mädchen im alten russischen Volkslied hat also etwas sehr modernes gefertigt:
sie hat vier Strumsticks geschaffen.
Die ersten drei Strumsticks waren Gudkis, deren Saiten mit dem Bogen gestrichen wurden. Wegen ihrer schmalen Form würden wir sie heute als "Taschengeigen" bezeichnen. Das vierte Instrument ar eine "Strumstick-Balalaika".
Exkurs "Neuzeit" ist zu Ende.
Nun zurück in die Vergangenheit:
BIRKEN-INSTRUMENTE DAMALS
Wie könnten die beiden im Lied genannten Instrumente - Gudok und Balalaika - ausgesehen haben?
Das Lied stammt aus dem Norden Russlands, aus der Gegend um Nowgorod. In Nowgorod wurden in den vergangenen Jahren sehr viele erstaunliche archäologische Funde zutage gebracht - darunter auch ein Gudok.
(siehe Bilder und Skizzen weiter unten)
Die Balalaika wird eine ganz ähnliche Form besessen haben, also eine ovale Löffelform. Einziger Unterschied: Der Gudok war extrem kurzhalsig, die Balalaika besaß einen sehr langen Hals.
Ähnlichkeit der Form: Gudok und Altai-Balalaika
Vergleiche die Ähnlichkeit der Formen einer Gudok mit der Form der Topschur, der Balalaika aus dem Altai-Gebiet. (siehe Bildleiste links)
Wie erhielten holzgeschnitzte Lauten ihre Form?
Wie gelangten Lauteninstrumente (Tanbur, Balalaika, Gudok) zu ihrer Formgebung? Drei Hauptkriterien lassen sich anführen:
Drei Form-Vorgaben
1. Das Holzinstrument ist eine Kopie einer traditionellen Kürbis-Instrumentenform.
Beispiel: Persische Tanbur, ukrainische Domra (beides Halbkugelformen),
vielleicht auch die türkische oyma dut baglama.
2. Das Holzinstrument übernimmt die Form des vorgegebenen Holzstücks.
Das Instrument wird nicht aus dem Holz herausgeschnitzt, sondern das
Holzstück wird zum Instrument zurechtgeschnitzt.
Beispiel: Die kaukasische Balalaika (langes Holzscheit in Rechteckform).
3. Das Holzinstrument orientiert sich an Schnitzformen des täglichen Bedarfs und
übernimmt diese intuitiv. Musikinstrumente wurden von Schnitzern angefertigt,
die in der Hauptsache Haushaltsgefäße herstellten (Tröge, Schöpfgefäße,
Löffel, Schalen, Boote u.a.m) Die vertrauten Formen dieser Gegenstände haben
eingewirkt auf die Formgebung der Musikinstrumente.
Im Lied "wo polje" kommen nur zwei holzgeschnitzte Saiteninstrumente vor.
Es gibt noch 2 weitere traditionell aus Birkenholz geschnitzte Saiteninstrumente.
Alle 4 sollen hier vorgestellt werden.
4 TRADITIONELLE RUSSISCHE SAITENINSTRUMENTE,
HERAUSGESCHÄLT AUS DEM HOLZ DER BIRKE
1. Gudok
2. Balalaika
3. Gusli-Kantele
4. Jouhikko-Kantele
BIRKEN-INSTRUMENT NR. 1
DER GUDOK:
Das Wort "gudok" ist vom russische Verbum "gudetj" abgeleitet und bedeutet ganz allgemein "summen, brummen", also einen Bordun-Ton. "Gudok" weist demnach auf die alte Spielart dieser russischen Geige hin: nämlich nur 1 Saite zu greifen , die andere(n) aber als Dauerton stesmitklingen zu lassen. Das Wort "Gudok" sagt nichts über die Form des Instruments aus. Die Form scheint an die alte Form des persischen Barbat (eines kurzhalsigen Zupfinstrumentes) anzuknüpfen. Der Barbat wird gerne mit anderen bekannten Formen verglichen:
Die Formen des Gudok :
Fisch - Boot - Kowsch - Löffel - Flaschenkürbis - Hammelkeule
Gudok - ein Fisch
Wie der Gudok, also das erste Instrument, das das Mädchen anfertigte, aussah, ist durch einen Fund aus (Weliki) Nowgorod bezeugt. Das zitierte Lied "Wo polje" stammt ebenfalls aus dem Nowgoroder Gebiet.
Wenn die Geige, die das Mädchen aus dem "prut" schnitzte, dem Fund aus Nowgorod entspricht, hatte sie höchstwahrscheinlich die Form eines Fisches (siehe Bild), denn eine solche Form ist in vielen Gudki erkennbar.
Stockfisch
Eine interessante Wortzusammensetzung:
Im Russischen bedeutet "prutovaya ryba" "Stockfisch": ein an der Luft getrockneter Fisch. Ein "Stockfisch" ist ein an Stöcken zum Trocknen aufgehängter Fisch.
Aber vielleicht ist " prutovaya " auch auf das A u s s e h e n des Fisches bezogen: "hart und schmal wie ein Stock, ein Ast, ein Prut".
Wenn dem so ist, dann könnte die längliche, schmale "astige" Form des Fisches auf das Aussehen der Gudok in unserem Lied hinweisen: eine "Stockfischgeige". Ein Gudok hat eine erkennbare Fischform, die besonders zum Ausdruck kommt durch das dreieckige fischflossen-förmige Wirbelbrett.
Gudok - ein Boot
Ebenso hat der Gudok auch die Form eines Bootes. Besonders wenn der Gudok eine mehr längliche Form hat als die auf dem Foto abgebildete bulgarische Gadulka, dann ist der Bootseindruck täuschend echt (siehe s/w-Skizze).
Die russische Ethno-Musikgruppe "Ensemble für altrussische Musik - Rusichi" stellt in ihrem 2013 aufgenommenen Video zu ihrer CD "Dwa sokola" bewußt diese Assoziation her.
Die 3 Mitglieder der genannten Gruppe bauen auch selber ihre Instrumente.
Für die letzte CD wurde eine gezupfte "Spielfenster-Kantele" zur gestrichenen
Geige (Gudok) umgebaut und diese als "Zeitenschiff" im Video gezeigt.
Ein Zeitenschiff voller Seele, das einsam und verloren auf dem Ozean unserer seelenlosen heutigen Zeit herumtreibt. Anhören!
Birken-Instrument Gudok
Gudok und Kürbis
Auch die Form eines der Länge nach halbierten Flaschenkürbis ist im Gudok erkennbar. Viele Instrumente waren, bevor sie in Holz gearbeitet wurden, Kürbis-Instrumente.
Vielfach wurde der Kürbis als Formvorlage für Holzbau-Instrumente verwendet.
So bei der halbkugligen Domra. Hier ist die runde Kürbisform täuschend echt nachgebildet und erkennbar - bis heute.
Als sehr langlebig hat sich der Kürbis bei der Kürbisgeige erwiesen. Hier wurde der Kürbis nicht durch Holz ersetzt. Bis heute wird für ihre Herstellung in der Türkei, in Indonesien und zahlreichen anderen Ländern Afrikas und Asiens immer noch ein Kürbis, und zwar in r u n d e r Form, verwendet.
Siehe die türkische Kabak-Kemane. (Bild auf der Leiste links und in
Der aus Holz geschnitzte Gudok scheint sich auf eine alte persisch-zentralasiatische Kürbis-Instrumentenform zu beziehen: den kurzhalsigen Flaschenkürbis: siehe Bild.
Ein Musikinstrument mit der Form des nebenstehend abgebildeten Flaschenkürbis
gab es im alten Persien: den Barbat.
Dieser war aber keine Geige, sondern eine Kurzhals-Laute, deren Saiten mit den Fingern gezupft wurden.
Birken-Instrument Gudok
Gudok und Hammelkeule
Die Form der Gudok wird gerne mit einem Schinken verglichen, genauer:dem Hinterschinken eines Hammels:
= Schinken
= Schenkel
= Schlegel
= Keule
(Hinterkeule) vom Schlachtvieh,
besonders vom Lamm (Lammkeule),
= "gigot" (französisch für
"Schinkenkeule")
Zu Grunde liegt wohl altfranzösisch
giguer = springen, tanzen
Mit Hilfe der Hinterkeule konnten Tiere springen und "tanzen".
Vom frz. Wort "gigot" bzw. "giguer" leitet sich höchstwahrscheinlich das Wort
Giga = Gyge = Geige ab.
Der Geigenspieler spielt auf einem gigot, einem "Schinken",
einem "schinkenförmigen", d.h.
hammelkeulenförmigen Streich- instrument.
Das Geigenspiel ( zum Tanz )
heißt Gig oder Jig.
Ein Gudok - archäologischer Fund in Nowgorod
Die älteste in Russland gefundene Gudok-Geige stammt aus Nowgorod.
Nowgorod war die bedeutendste europäische Handelsstadt des Ostens. Man nannte sie Gospodin Nowgorod weliki. Im Jahr 859 wurde sie zum erstenmal urkundlich erwähnt. Nowgorod, das seit dem 12. Jhd. eine Stadt der Hanse war, unterhielt enge Handelsverbindungen mit wichtigen europäischen Handelsstädten wie Lübeck und Brügge.
Nowgorod hatte 8 Marktplätze, die berühmt waren. Alles gab es da zu kaufen. Zu den Handelsgütern gehörten gewiß auch die zu dieser Zeit bekannten und verbreiteten Musikinstrumente wie:
Psalterium (russ. Bezeichnung "Gusli"),
Geige (russ. Bezeichnung "Gudok") und
Laute (russ. Bezeichnung "Tanbur", spätere Bezeichnung: "Balalaika").
Die Geige, also der Gudok wird - wie alle Musikinstrumente - nicht nur in einer einzigen einheitlichen, sondern in vielen verschiedenen Formen im Handel erhältlich gewesen sein:
nicht nur in der Ausführung kurz und rundlich (nordrussisch) , sondern auch in der Bauart lang und schmal (Schwarzmeer-Gebiet).
Obwohl das Lied "Wo polje" aus dem Nowgoroder Gebiet eine mehr längliche schmale Form nahelegt, so wie ein Baumast sie vorgibt, belegt ein archäologisches Fundstück aus Nowgorod eine kleine rundliche Form:
siehe Skizze "Gudok (Smyk)"
Eine Balalaika wurde in Nowgorod (noch) nicht gefunden. Die Skizze im nachfolgenden Abschnitt zeigt, wie eine solche holzgeschnitzte Balalaika ausgesehen haben könnte.
Balalaika und Gudok (Geige):
gleicher Korpus, verschieden langer Hals
Die holzgeschnitzte Balalaika und die holzgeschnitzte Geige (Gudok) werden höchstwahrscheinlich oft eine sehr ähnliche Korpusform gehabt haben. Nur mit dem Unterschied, dass die Balalaika einen längeren Hals besaß.
Die Altai-Balalaika "ТОПШУР"
Den Beweis für die Annahme der Ähnlichkeit zwischen Gudok und Balalaika liefert die heutige Altai-Balalaika "Topschur", das Nationalinstrument der Republik Altai.
Diese zweisaitige in Quarten gestimmte Holz-Balalaika hat nicht nur die Korpusform des Gudok, sondern auch den typischen Stachel am unteren Korpusende, der zur Saitenbefestigung der beiden Saiten dient. Das Instrument ist 75 - 80 cm lang. Es wird oft mit der kasachischen Dombra verglichen und hat - wie die Dombra - den ovalen Korpus der alten persischen Tanbur.
Die Langhalslaute Balalaika (Zupfinstrument) und die Kurzhalslaute Gudok (Streichinstrument) haben also eine sehr enge Verwandschaft miteinander.
Beide sind von "gleichem Holz geschnitzt" und von der Bauart her gedeckte Tröge.
Ein ungedeckter Trog des täglichen Gebrauchs ist der Kowsch. Seine Form gleicht der Tanbur, der Holzschnitz-Balalaika, des Gudok und der Rebec.
Zwei nahe Verwandte der Gudok:
Löffel und Kowsch
Musikinstrumentarium und Kücheninstrumentarium
Formverwandschaft des Gudok mit 2 Schöpfinstrumenten.
Der Gudok im Lied "Wo polje berjosynjka stojala":
Geige - oder doch Flöte?
Ein letzter Zweifel bleibt
Bei der Übersetzung des Liedtextes gibt es eine Unsicherheit. Ist mit Gudok eine G e i g e gemeint oder eine F l ö t e ? Wollte die Dewuschka ihrem Liebsten auf einer Flöte vorspielen oder auf einer Geige? Man muß sich entscheiden, denn Gudok bezeichnet beides.
Im h e u t i g e n Sprachgebrauch überwiegt die Bedeutung eines "durch Blasen hervorbegrachten Brummtons".Gemeint sein kann ein Sirenenton oder auch ein gewisses Brummgeräusch, das der menschliche Körper selber im Unterleib hervorbringt.
Im Fall des Gudok im Volkslied "Die Birke" schließe ich mich ( obwohl ich mir nicht sicher bin ) der Übersetzung "Geige" im "Russischen Liederbuch" 1963 ( Hrsg. von Prof Dr. Wolfgang Steinitz, Volk und Wissen Verlag Berlin) an. Dieses Buch gehörte zu den Lehrbücherm im Russisch-Unterricht an den Schulen der DDR.
Übersetzung im Jahr 1953: Gudok = Flöte
In der 1. Auflage dieses Liederbuches von 1951 hat Steinitz noch "Gudok" als "Flöte" erklärt. ( Fußnote zum Lied "Wo polje", Seite 63 )
Übersetzung im Jahr 1963: Gudok = Geige
In der Auflage von 1963 hat Steinitz seine Meinung revidiert und "Gudok" erklärt als "dreisaitige Geige" ( Fußnote auf S.85 ).
Wohl deshalb, weil für die Herstellung von einfachen Flöten gerne Hölzer mit natürlichem hohlen Inneren verwendet werden ("Naturrohre"). Dennoch werden für Flöten alle zur Verfügung
stehenden Hölzer verwendet: z.B. Kirsche, Birnbaum, Buchbaum, Walnuß, Weißdorn, Ahorn, Ulme und auch Birke. Wo kein natürlicher röhrenförmiger Hohlraum vorhanden ist, wird einer
hineingebohrt.
Steinitz hat "Gudok" als ""Geige" erklärt. Wer wagt es , der Autorität des berühmten Steinitz (+1967) und seiner Letztentscheidung zu widersprechen !?
Mehr Infos: Balalaika und Gudok
Die Hummel
Das gleiche Problem wie oben geschildert, gibt es bei dem mit dem deutschen Wort "Hummel" bezeichneten Musikinstrument.
Eine Hummel kann sowohl ein Saiteninstrument sein (ein Scheitholt) als auch ein Blasinstrument (eine Sackpfeife, oft "Hümmelchen" genannt).
Hummel = Gudok
Das deutsche Wort "Hummel" entspricht dem russischen Wort "Gudok"; die französische Bezeichnung lautet "bordun".
Wenn in einer schriftlichen Quelle eine "Hummel" genannt wird, auf der gespielt wird: welches Instrument ist gemeint?
Dazu verweise ich auf die sehr interessante Website von Wilfried Ulrich:
Die Hummel. (www.ulrich-instrumente.de)
Wilfried Ulrich wurde mit der Hummel vor das gleiche Deutungsproblem gestellt wie Wolfgang Steinitz mit dem Gudok.
Der Gudok - eine Urform der Geige
Rebec
Der Gudok (oder: Smyk) war spätestens seit dem Jahr 1000 in ganz Europa und im asiatischen Kulturraum in fast identischer Form überall verbreitet. Michael Praetorius führt dieses Instrument unter dem arabischen Namen Rebec auf. Es sind auch noch viele andere Bezeichnungen gebräuchlich. Eine Liste dieser Namen ist aufgeführt unter:
Die Rebec ist die Frühform der Geige.
Unten abgebildet:
Gudok (Гудок ) oder auch: (Smyk) (смык). Das Instrument ist aus Holz herausgeschält (also ein Долблёный гудок ). Es handelt sich hier um die nordrussische Form wie sie (ähnlich wie die abgebildete) bei Ausgrabungen in Nowgorod gefunden wurde. Der Schwarzmeer-Gudok hat eine schmalere Form.
Bild: Ein Kowsch, geschnitzt aus Birkenholz
Eine Trogform besaß auch ein beliebtens und in Russland weit verbreitetes Holzgefäß, der Kowsch. Er diente (und dient) als Schale und Schöpfgefäß für Speisen und Getränke. Wegen dieses Verwendungszwecks war er auch offen, ohne Decke, hatte aber eine ähnliche Form wie der Gudok.
Der Kowsch besaß entweder ein waagerechte Griffbrett (wie das Wirbelbrett des Gudok), oder einen flachen, hakenförmig nach unten gebogen Griff, oder einen um 90 Grad gedrehten hochgestellten Griff. (siehe Abbildung)
Ein solcher hochgestellter Griff ist oft dekorativ geformt. (siehe Bild).
Der Korpus des Kowsch erinnert an die Form eines flachen Holzbootes: ein ovaler Schiffsrumpf (ein Handelsschiff, mit Waren beladen) mit spitz zulaufenden Enden.
Vergleiche die in Westeuropa verbreiteten Salzschälchen, die oft die Form eines kleinen Bootes hatten ("Salzschiffchen"), meist aus Porzellan.
Der Korpus von aus Holz geschnitzten Musikinstrumenten, die diese Kowschform haben, wird auch als ковшеобразный bezeichnet.
Boots-Tröge:
Russische Gusli und indonesische Sapeh
Ein besonderer Typus der russischen Gusli hat ebenfalls Bootsform: ein aus einem einzigen Stück Holz herausgeschälter flacher Boots-Trog mit spitzem Bug und stumpfen Heck.
Am "Heck" befindet sich häufig im überstehenden Heckbrett eine Spielfenster-Öffnung. Eine Gusli mit dieser langen spitz zulaufenden Form erinnert sehr an ein Bügelbrett.
In Finnland ist ein Saiteninstrument der gleichen Form (Bootsform, "Bügelbrettform"), nur mit geringerer Länge, als Streichinstrument in Gebrauch: die Jouhikko.
Sie wird in diesem Kapitel als "Birkeninstrument Nr. 4" vorgestellt.
Auf der nachfolgende Skizze ist links dargestellt eine ca. 1,2 m lange Bass-Gusli.
Diese gibt es auch ohne Spielfenster. Rechts eine Sapeh.
Die indonesische Sapeh
Eine sehr ähnliche Form, mit geschlossener Decke ohne Spielfenster und Schallöffnung, hat die Sapeh, eine bundlose Laute ohne Hals, die auf Borneo in Indonesien gebaut und gespielt wird.
Auch sie stellt einen Holztrog in Bootsform dar: mit spitzem Bug und stumpfen Heck. Die Baumstammform (wohl keine Birke) ist noch gut zu erkennen.
Die größten Ausführungen der Sapeh sind 1,20 Meter lang und 20 cm breit.
Einen Unterschied gibt es bei der Saitenaufhängung. Bei der Gusli befinden sich die Saitenwirbel am Heck, bei der Sapeh ist das Wirbelbrett am spitzen Bug des Troges angebracht (siehe Bild).
Гусли с игровым окном
Im Unterschied zur Sapeh besitzt die dargestellte Gusli ein Spielfenster (Гусли с игровым окном). Die Saiten werden von unten durch die Fensteröffnung hindurch mit den Fingern tangiert und dadurch verkürzt.
Haushaltsgegenstände und Musikinstrument:
Fließende Grenzen
Dass haus- und landwirtschaftliches Inventar und Musikinstrumente sehr eng miteinander verwandt sind, dafür ist der Holztrog das beste Beispiel. Der Trog ist Futterkrippe, Backmulde, Fleischermolle, Brunnen und - wenn Saiten darüber gespannt werden - eine Zither.
Oft sind Musikinstrumente umgebaute Gebrauchsgegenstände. Manchmal braucht man gar nichts umbauen. Ein Kochtopf läßt sich sofort als Trommel verwenden. Beispiele dafür sind in allen Kulturen finden.
Kürbisse sind gute Gefäße für Festes und Flüssiges in der Küche; sie sind ebenso gute Musikinstrumente. Holztrog und Kürbis stehen hier beispielhaft für vieles andere Gerät.
Die folgenden Bilder zeigen zwei verschiedene "Holzkellen". Die erste ist ein russischer Holzlöffel, eine "Loschka", aus einem Stück geschnitzt. Dieser Löffel/ Kelle wird nicht nur als Schöpfgerät benutzt, sondern in der russischen Volksmusik traditionell als Rhythmusinstrument eingesetzt. Der Löffel ist ein "Xylophon". Auf dem runden äußeren Boden des Löffels wird "getrommelt": mit einem anderen Löffel wird gegen den Löffelboden geschlagen.
Der Holzlöffel ist nicht nur Schlaginstrument, sondern er ist die Vor-Form einer holzgeschnitzten Halslaute, er ist eine Urform der Tanbur. (Die andere Urform der Tanbur ist der Kürbis).
Man kann mit dem Schöpflöffel Suppe schöpfen, man kann aber auch mit dem Löffel musikschöpferisch tätig sein.
Eine solche Löffelform-Tanbur , eine Rebab aus Usbekistan zeigt das zweite Bild.
Hals und Griffbrett ("slotted headstock") sind aus einem Stück, der Hals ist an den Korpus angesetzt. Der Korpus ist in neuerer Bauart gefertigt: er ist aus Spänen (Holzplanken) zusammengesetzt, so wie die heutige ukrainische Domra.
Unterschied zwischen Schöpflöffel und Tanbur-Korpus: der Löffel ist gekröpft. Der Kröpfwinkel beträgt ca. 30 Grad: so ist er am besten ergometrisch verwendbar.
Wird der Löffel als "Musiklöffel" verwendet, als Zupflaute (Tanbur), so muß er wegen der Saitenführung gerade sein oder besser sogar eine negative Kröpfung besitzen, d.h. einen nach unten abgeknickten Hals.
Das Gesagte gilt für Zupfinstrumente. Saiteninstrumente die mit dem Bogen gestrichen werden, haben häufig ,wie der Schöpflöffel, eine positive Kröpfung. Beispiel: die kasachische Kobys, die einen gering nach oben gebogenen Hals besitzt. (Abbildung in 2.6. Balalaika und Gudok.)
Noch größer ( nämlich 90 Grad) ist der Biegewinkel bei den Winkelharfen. Diese ähneln dem oben abgebildeten Kowsch mit hochgestelltem 90 Grad-Griff.
Bilderserie: Löffel und Tröge, Kreis, Oval und Dreieck
Kowsch und Gudok: oval-bootsförmig
Russischer Gudok
"Geigenboot"
Die Bootsform des Kowsch wurde beibehalten, wenn statt des Kowsch eine Geige aus dem Birkenholz herausgeschnitzt wurde.
Die alte russische Nowgoroder Geige, der Gudok, wurde in gleicher Art hergestellt wie der Kowsch. Nur wurde hier der Griff nicht hochgestellt wie bei dem Kowsch auf dem Bild, sondern der Korpus des Gudok bekam an einem Ende einen flachen dreieckigen waagerechten Abschluss
(siehe Skizze in diesem Textblock). In dieses Dreiecksbrett wurden drei Löcher für die Saitenwirbel gebohrt;
die Höhlung des Korpus wurde oben mit einem dünnen Brett verschlossen, das die Resonanzdecke des Instruments bildete.
Ein solcher Gudok hatte Bootsform (Schiffchenform).
Das russische Instrumental- und Gesangsensemble "Rusichi" stellt auf seinem 2013 produziertem Musik-Video "Dwa sokola" bewußt die Asssoziation des Gudok zu einem Boot her: ein russischer Gudok (bzw. ein finnischer Jouhikko) als ein Schiff aus alter Zeit, das sich in die tote, seelenlose graue Neuzeit hineinverirrt, in sie hineinfährt und dort als ein Fremdkörper aus alter Zeit erscheint.
(Die drei Mitglieder von "Rusichi" bauen übrigens ihre historischen Instrumente, wie Gudok, Gusli und Jouhikko, selber.)
Mehr über den Gudok: Balalaika und Gudok
Sonderform des Gudok: Der Schwarzmeer-Gudok
( Понтийская Лира ) ( Ребек )
Schmale Form eines Baum-Astes
Der auf dem Bild links neben dem Birkenast gezeigte Gudok hat eine sehr rundlich-taillierte Form. Heute wird dieser Instrumententyp als d i e historisch-russische Form angesehen und auch so rekonstruiert.
Es gab aber in Russland auch den langen schmalen Gudok mit fast geraden Seiten, besonders in der Gegend um das Schwarze Meer. Die Form des Instrumentes gleicht einem Scheitholt und läßt viel deutlicher den Birkenast erkennen als der Nowgoroder Gudok. Dieses schlanke Instrument wird heute noch in der Türkei gespielt und heißt dort "Karadeniz Kemencesi" (Schwarzmeer-Kemence), in Russland: Понтийская Лира oder Ребек.
Merkwürdigerweise wird diese schmale, lange Bauform des Gudok nicht als ur-russischer Gudok angesehen.
Der Grund dafür dürfte sein, daß es nur für die rundliche Form einen archäologischen Fund (aus der Stadt Nowgorod) gibt. Das schließt aber nicht aus, daß es noch andere Bauformen gab.
Bei den heutigen historischen Gudok-Nachbauten, die in russischen Volksinstrumenten-Ensembles gespielt werden, trifft man aber auf Instrumente, die eine Kombination zwischen der rundlichen Nowgorod- Form und der länglich-schlanken Schwarzmeeer-Form des Gudok darstellen (z.B. beim Ensemble Rusitschi) (Rusitschi= andere Bezeichnung für die Bewohner der Rus = Russlands).
Im 16. Jhd. wird es eine ebensolche Formenvielfalt gegeben haben.
Das Interesse für den Schwarzmeer-Gudok scheint in Russland zuzunehmen. Vergleicht man die beiden russischen Wikipedia-Einträge "Gudok" und Понтийская Лира ( in: "Кеманча" ) , kommt Erstaunliches zu Tage:
Die Понтийская Лира (Schwarzmeer-Gudok) , also die schmale Form des Gudok wird in großer Ausführlichkeit beschrieben.
Dagegen wird der rundliche Nowgoroder Gudok, der von den Musikhistorikern als die "ur-russische" Geige angesehen wird, nur mit wenigen Sätzen abgehandelt. Eigentlich müßte es umgekehrt sein.
BIRKEN-INSTRUMENT NR. 2: DIE BALALAIKA
Holzgeschnitzte Balalaika: Долблёная балалайка
"Nowgorod-Balalaika"
Man muss genau auf den Text des Nowgoroder Liedes achten. Es heißt dort, daß die junge Frau nicht nur Äste von der Birke abbrach, sondern dass sie die Birke fällte.
In dem Lied werden 4 Instrumente, aber nur nur d r e i Äste genannt. Dies deutet darauf hin, daß die Balalaika nicht aus einem A s t , sondern aus dem breiteren S t a m m der Birke gefertigt wurde;
Zuerst verrichtete die Dewuschka die leichte Arbeit: Sie brach von der Birke 3 Äste ab, um daraus 3 Gudok (tri gudotschka) herzustellen. Dann als viertes ("tschetwertuyu") machte sie sich an die schwierigere Arbeit: sie sägte ein Stück vom Stamm ab, um daraus eine Balalaika zu bauen, d.h. sie aus dem Stamm herauszuschälen.
Das hört sich schwierig an, aber russische Frauen in den Dörfern und auf dem Lande waren es gewohnt, aus dem Holz Löffel, Kellen und Schalen zu schnitzen, also das Küchengerät, das sie für die Hauswirtschaft brauchten. Eine Massivholz-Balalaika ist nichts anderes als eine Holzschale (=flacher Trog) mit langem Stiel.
Eine Balalaika, deren Korpus aus e i n e m Stück Holz herausgeschält worden ist (= долблёная балалайка) soll im Folgenden "Nowgorod-Balalaika" genannt werden, denn das Lied "Wo polje berjosynka stojala" , in welchem eine solche Herstellung der Balalaika geschildert wird, besitzt eine Zuordnung zum Nowgoroder Gebiet, dem alten russischen Kernland. Das Lied "Wo polje" stammt aus Nikolsk, Krs. Tichwin, ehemals zugehörig zum ehem. Gouvernement Nowgorod.
Eine Balalaika dieses Typs ( herausgeschält aus einem Holzstück) verweist nicht zwingend auf einen mongolischen oder tatarischen Ursprung (genauer: auf die Zeit der Mongoleninvasion im 12./13. Jhd.). Die wird oft unbewiesenermaßen angenommen.
Die tatarische Balalaika wird höchstwahrscheinlich ein von den Persern übernommenes Kürbisinstrument, eine Tanbur, gewesen sein, ähnlich wie das bei Tolstoi genannte Instrument "balalaika iz trawjanki" in der Erzählung "Die Kosaken".
Die holzgeschnitzte Balalaika
verweist in die Zeit weit v o r der mongolisch/tatarischen Invasion: in die Entstehungszeit der ersten russischen Staates (Древнерусское государство) (Altrussischer Staat), der im Jahr 862 in Nowgorod durch Fürst Rjurik gegründet wurde. Später wurde dieser Staat "Kiewer Rus" genannt: Im Jahr 882 wurde Kiew durch Rjuriks Feldherrn Oleg erobert und anschließend anstelle von Nowgorod zur Hauptstadt erwählt.
Aus Birke: Das Zupfinstrument Balalaika
Dreieckig oder oval ?
Trog - Schaufe - Löffel - Paddel
Im Lied "Wo polje berjosynka stojala" wird nicht erwähnt, welche Form die Balalaika hatte, die das Mädchen aus dem Holz der Birke schnitzte. Oft nimmt das Instrument die Form der Gegenstände an, die der Schnitzer/die Schnitzerin normalerweise aus dem Holz herausarbeitet: Rechtecktrog (diese Form hat die kaukasische Balalaika), Löffel, Schaufel. Bei der Schaufel lassen sich 2 Typen unterscheiden: die sich nach vorne hin verschmälernde und die sich nach vorne hin verbreiternde Schaufel.
Nach welchem Vorbild schnitzte das Mädchen ihre Balalaika? Nach dem Vorbild des Löffels, eines Troges, einer Schaufel oder eines Bootspaddels ?
Balalaika mit der Form eines Bootspaddels
Das Foto Nr.2 oben zeigt eine holzgeschnitzte Balalaika in Paddelform.
Wie das Bootspaddel besitzt eine solche Balalaika einen sehr langen Hals.
Historische Schilderungen betonen genau dies: "die Balalaika - ein Instrument mit sehr kleinem Korpus und sehr langem Hals."
Die alte Balalaika, deren Paddel-Form noch in einen Birkenast hinein passte, hat sich heute zu einem breiten Dreieck hin verändert. Sie erhielt den Korpus des Dreieck-Psalteriums, der Gusli. Asiatische Dombren jedoch haben bis heute die Paddelform (russ. lopata) beibehalten (siehe Bild).
Lopata
Die Bezeichnung "lopata" diente am Anfang der Balalaika-Entwicklungsgeschichte zur Bezeichnung des Balalaika-K o r p u s ("lopatoobrasnaja balalaika").
Heute bezeichnet das Wort "lopata" bzw. "lopatka" das W i r b e l b r e t t
der Balalaika. Die Schaufelform des Wirbelbretts erinnert somit an alte
Balalaika-Korpusformen der Vor-Andrejew-Epoche.
Im Birkenholz enthalten:
Bootspaddel (Balalaika) und Hammelkeule (Gudok)
Verkürzt man den langen Hals der paddelförmigen Balalaika ("lopatoobrasnaja balalaika"), so erhält man die russische Geige, den Gudok.
Drei davon hat das Mädchen, so berichtet das Birkenlied, aus dem Birkenholz geschnitzt.
Umgekehrt betrachtet, ist also eine Balalaika nichts anderes als ein Gudok mit verlängertem Hals.
Der russische Gudok war eine Rebec-Instrument. Wegen seines kurzen Halses erinnerte ihre Form an eine Hammelkeule. Das Wirbelbrett des Gudok entsprach dem Gelenk-Kopf des Knochens einer Hammelkeule. Der Musiker strich also mit seinem Bogen auf einer "Hammelkeule". Vom französischen "gigot" (Hammelkeule) soll, so wird vermutet, das deutsche Wort "Geige" abgeleitet sein:
ein kurzhalsiges Streichinstrument mit der Form einer Keule.
Paddel - Schaufel - Löffel
Jede Korpusform bringt einen anderen Klang des Instruments hervor.
Vielleicht war das Mädchen ein musikalisches Talent, das genau wußte, das verschiedene Holzformen dem Instrument einen jeweils andern Klang verleihen.
Dann war diese Überlegung maßgebend für die Balalaikaform.
Balalaika mit Lautenklang: ovaler Korpus
Wollte sie eine Balalaika mit dem Klang der Laute?
Dann wird sie eine Balalaika nach dem Vorbild der persischen Tanbur gebaut haben, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gudok und der Kowsch-Form aufweist.
Balalaika mit Gusliklang: dreieckiger Korpus
Wollte sie eine Balalaika, die wie eine Kantele klingt? Dann wird sie die Balalaika in länglich dreieckiger Form geschnitzt haben, also in Schaufel- oder Bootspaddelform.
Das Birkenlied stammt aus dem Nikolsker Gebiet, also dem Norden Russlands. Dort war die Kantele verbreitet.
Wenn sich die im Lied aus dem besungene holzgeschnitzte Balalaika an der dreieckigen Form der Kantele orientiert hat, dann war dies bereits schon eine "Psalteriums-Balalaika". Sie hatte die Form der im Bild der Birkenfamilie (s.o.) gezeigten Balalaika: eine Kantele mit angeschnitztem Hals. Eine Kantele ist ein Psalterium (= Gusli).
Mehr über den Dreieckstrog der Kantele: Balalaika und Kantele
Das Wort "Balalaika" assoziiert heute sofort die Dreiecksform. Diese Assoziation ist entstanden, seit die Balalaika durch Andrejew ihre auffällige breite dreieckige Korpusform erhalten hat.
Nikolaij Gogol bezeichnet noch eine runde Kürbis-Laute (= Domra) als "Balalaika".
Ein Holzschnitzer kann dem Instrument jede Form, die ihm vorschwebt, geben, vorausgesetzt, das Holzstück ist dafür geeignet. Er kann auch eine Halbkugel-Schale aus Holz schnitzen, obwohl das Holzstück diese Form nicht nahe legt.
Normalerweise aber wird er sich nach der vorgegebenen Form des Materials richten:
ein runder Kürbis gibt als Form die Halbschale vor, ein Stück Baumstamm gibt als Form einen langen schmalen rechteckigen Trog vor, vergleichbar einem Einbaum-Boot oder einem Brunnentrog.
Rechteckige Balalaika
So hat die alte ovale persische Tanbur, die gewiß in vor-sassanidischer Zeit aus einem Kürbis gefertigt war, im persischen Nachbargebiet, dem Kaukakus, eine Rechteckform bekommen: die Rechteckform des Holzstücks.
Detschig pondar wurde sie bei den Tschetschenen genannt (hölzerne Tanbur).
Trogzithern haben eine rechteckige Form. Die kaukasische Detschig Pondar könnte man also betrachten als eine rechteckige Trogzither mit Hals.
Anders in Persien, dem Mutterland der Tanbur (und der späteren Balalaika). Dort wurde auch in der geschnitzten Holzbauweise die alte runde bis ovale Kürbisform beibehalten. Diese traditionellen Tanburen ähnelten großen Holzlöffeln. Der alte Kürbis ist erkennbar. Auch bei Tanburen, die später in zusammengesetzter Holzbauweise hergestellt wurden, blieb diese Löffelform (Kürbisform) erhalten.
Nach alter Tradition im Jahr 1901 in Persien gebaut:
Die Holzlöffel-Tanbur des Ostad Elahi
Von der alten persischen Tanbur ist hier schon viel berichtet worden. Ursprünglich war der Korpus dieser Langhalslaute wohl aus einem halbrunden Kürbis gefertigt, später wurde er aus einem Stück Holz herausgeschnitzt, noch später aus Holzspänen (Planken, Segmenten) zusammengefügt: in runder bis ovaler Form.
Einer der bekanntesten Spieler der persischen Tanbur in jüngerer Zeit war der persische (kurdische) Philosoph, Theologe, Musiker, Jurist (Präsident des Schwurgerichtes) und Mystiker Ostad Elahi (1895 - 1974).
Er, der bereits seit früher Kindheit sehr musikinteressiert war, wolllte im Alter von
6 Jahren das Tanburspiel erlernen. Weil seine Hände aber zu klein für eine große Tanbur waren, baute ihm sein Vater aus einem Kochlöffel eine Kinder-Tanbur. Drei Jahre später war der neunjährige Ostad ein Tanbur-Virtuose.
Wie Andrejew die russische Balalaika verbesserte, so schuf auch Ostad Elahi für
die Tanbur zahlreiche Veränderungen, z.B. die Verdopplung der hohen Saite. (Quelle: wikipedia)
Ostad Elahi ist ein international anerkannter Philosoph. Sein Leben verlief sehr ungewöhnlich, auch nach seinem Tod. Als 1982 die Anhänger des Terrorregimes des Ayatollah Chomeini sein Grab in Teheran schänden wollten, fanden sie in seinem Holzsarg nur das Totenhemd.
Infos über Ostad Elahi: www.ostadelahi.com und wikipedia.
Auf der englischen wikipedia-Seite "Nur Ali Elahi" sind 2 Klangbeispiele der Tanbur zu hören, gespielt von Ostad Elahi.
Die Baglama
Türkische Tanbur ("Türkische Balalaika") :
ein aus Holz geschnitzter tiefbauchiger Holzlöffel
Das Wort "Balalaika" soll hier synonym für "Tanbur" verwendet werden, also ganz allgemein ein Langhals-Lauteninstrument bezeichnen.
In Russland erhielt die Tanbur die Bezeichnung "Balalaika". Dabei ist es egal, ob die Balalaika eine runde, ovale, schaufelförmige oder dreieckige Form hat.
Heute meint der Name "Balalaika" allein die dreieckige Tanbur .
Nicht-russische Tanburen haben eine große Formenvielfalt:
1. runde Tanbur
2. ovale Tanbur
3. tropfenförmige Tanbur
4. spitz-ovale Tanbur
5. schaufelförmige Tanbur
Viele indigene Volksgruppen der russischen Föderation haben eigene Tanburen
(Langhalslauten) verschiedener Formen und Bezeichnungen.
Die türkische Baglama
Immer bekannter in West- und Mitteleuropa wird die türkische Baglama. Im Unterschied zur russischen Balalaika hat sie die Urform der alten persischen Tanbur sehr stark bewahrt: Sie besitzt einen langen Hals, verschiebbare Bünde, Steckwirbel, kein Wirbelbrett.
Die Baglama das am meisten verbreitetste Nationalinstrument der Türkei.
Sie besitzt heute noch den gleichen langen Hals, wie ihn die russische Balalaika früher hatte.
Wie die historische "Nowgorod-Balalaika" (aus dem Lied "Wo polje") wird auch heute noch der Korpus der Baglama aus einem einzigen Stück Holz herausgeschält. Eine solche Baglama wird als :
"Oyma Dut Baglama" oder "Oyma Dut Saz" bezeichnet.
Meist wird Maulbeerbaum-Holz verwendet.
Das russische Mädchen in dem Nowgoroder (Nikolsker) Lied hieb ihre Balalaika genau nach dieser alten Tradition aus dem Stamm der Birke heraus.
BIRKEN-INSTRUMENT NR. 3 :
Die Kantele (eine Gusli) (= Psalterium)
2.2.9. Das Lied "Bо поле берёэынька стояла" berichtet nur von z w e i Instrumenten, die das Mädchen aus dem Holz der Birke herausgeschnitzt hat: Gudok ( Geige ) und Balalaika.
Es gibt noch ein drittes, sehr bekanntes Instrument, das ebenfalls traditionell aus einem ausgehöhlten Holzstück des Stammes einer Birke gefertigt wurde: die schmale spitzwinklig-dreieckige Kantele (Betonung auf der 1. Silbe!).
Die Kantele ist eine besondere Form der Gusli, des Psalteriums. Sie ist sehr alt und geht auf die Grundform eines geschnitzten Holztroges (Backtrog)zurück.
Solche Holztröge gab es in zwei verschiedenen Ausführungen:
1. in Rechteckform mit angeschrägten Rändern ("Sargform")
2. in Bootsform mit einem oder zwei zugespitzten Enden.
Im Kante- und Guslilebau werden oft alle Varianten miteinander kombiniert.
Meist haben Kantele und Gusli Boden und Decke, besitzen also einen geschlossenen Korpus. Eine oder mehrere Schallöffnungen sind in der Decke angebracht.
Viele Kantelen besitzen einen offenen Boden: d.h. die Öffnung des Troges befindet sich unten, die oben liegende Bodenwanne des Troges ist die Instrumentendecke. Hier ist die ursprüngliche Trogform von Gusli und Kantele auf den ersten Blick erkennbar. Das Instrument präsentiert sich als "besaiteter Trog".
Die Korpusform der finnischen Kantele:
Das dreieckige Saitenfeld formt den Rechteck-Trog zum Sarg
Für die Herstellung der alten finnischen Kantele, eines Psalteriums, wurde (normalerweise) nicht die bootsförmige spitzbugige Kowsch-Form gewählt, sondern eine zum Dreieck hin tendierende Rechteckorm.
Verantwortlich für diese Form war hier wohl das Saitenfeld der Kantele. Die 5 Saiten der traditionellen finnischen Kantele laufen nicht parallel, sondern laufen - vom Saitenhalter ausgehend - strahlenförmig auseinander. Dadurch entsteht die Form eines länglichen spitzen Dreiecks mit gekappter Spitze.
Die hölzerne Korpusform wurde diesem so geformten Saitenfeld angeglichen. Das Ergebnis: der Resonanzkasten der Kantele hat die Form eines Sarges.
Der auf den Resonanzkasten aufgelegte plane Instrumentendecke ("Sargdeckel") kaschiert wegen ihres überstehenden schräg angesägten Endes (dem Wirbelbrett) diese Sargform und verändert die Optik. Die "sargförmige Gusli"präsentiert sich nun als "flügelförmige Gusli" ("krylovidnyje gusli").
Sargform - traurige Lieder
Manche behaupten, die Sargform der Kantele habe Einfluss auf die Musik. Sie bewirke, dass die meisten der auf diesem Instrument gespielten Lieder einen traurigen Charakter haben. Aber das ist wohl nur ein Gerücht. Oder?
Zur Kantele: siehe auch 3.4 Balalaika und Kantele
Die Kantele ist eine Gusli (Psalterium), eine Zither. Sie ist vergleichbar mit dem in Deutschland verbreiteten Scheitholt und hat Verandtschaft mit dem (vielsaitigen) Monochord. Es kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, welches der ältere der drei nachfolgend genannten Instrumententypen ist:
Die Laute (persisch:Tanbur, kasachisch:Dombra; Balalaika: russisch)
Die Zither (Psalterium,persisch: Santur, Monochord, Scheitholt, Kantele, Gusli)
Die Geige (Gudok)(Smyk)
Wer ist älter: Balalaika oder Gusli ?
Es scheint so, als ob die Balalaika älter ist als die Gusli, also: die Langhalslaute älter ist als die Kastenzither. Jedenfalls ist die Langhalslaute schon 2000 Jahre v.Chr. auf Zeichnungen bezeugt.
Für die Gusli (das Psalterium, die Zither) fehlen solche alten Zeugnisse, aber sie sind vorhanden, wenn man die Dreiecks-Harfe als Psalterium definiert. Von der Harfe zur Zither ist es nur ein kleiner Schritt: eine Harfe, auf ein Holzbrett gelegt und mit diesem verleimt, wird zu einer Brett-Zither.
Also: die ganze Instrumentenkunde ist unklar und bleibt spannend. Es ist alles eine Frage der Deutung und Zuordnung und der Spekulation.
Eines ist sicher:
Die europäische Bauform der Kastenzither (Scheitholt, Psalterium) war im Mittelalter in allen europäischen Ländern verbreitet.
( Vergleiche dazu das Buch von Hans Kennedy "Die Zither in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft")
In Russland war die Zither im 12. Jahrhundert sehr beliebt und populär (unter dem Namen Gusli), so sehr, daß die Gusli die Langhalslaute (die damals in Russland noch nicht Balalaika hieß) in den Hintergrund drängte.
Eine alte nordeuropäische Form der Zither ist die Kantele, ein sehr schmales, spitzwinklig-dreieckiges Instrument (Flügelform).
Die Kantele läßt die alte Holztrogform der Trogzither noch gut erkennen.
Die Herstellung einer Kantele (wie die oben abgebildete) beginnt immer mit dem Herausschälen eines flachen Holztroges aus einem massiven Stück Holz.
Meist wird für den Bau einer Kantele Birke verwendet.
Andere Hölzer:
Erle (engl. Alder; russ. oljcha),
Lärche (engl. larch; russ. listwennitza.
Für die Decke wird meist Fichten- oder Kiefernholz verwendet.
BIRKEN-INSTRUMENT NR. 4 :
die Jouhikko-Kantele, eine Geige
Die Jouhikko ist ein traditionelles finnisches Saiteninstrument, das aus Birkenholz geschnitzt wurde (und wird), und ist ebenso bekannt wie die Kantele.
Die Form der Jouhikko ist sehr verwandt mit der Form der russischen "Liraförmigen gusli krylovidnyje mit Spielfenster".
"Spielfenster" bedeutet: Der Instrumentenkorpus besitzt eine jochartige Verlängerung, die über den holzgedeckten Resonanzraum hinaus geht.
Die Öffnung zwischen den Jochseiten ermöglicht es, dass die Spielfinger der linken Hand von unten gegen die Saiten drücken können.
Die Finger wirken als Tangenten (wie die Tangentenfähnchen der Drehleier), die
die Spielsaite(n) der Jouhikko berühren und damit verkürzen.
Die Jouhikko ähnelt dieser Gusli sehr, nur der Saitensteg ist erhöht und gerundet, damit der Streichbogen besser zugreifen kann.
Die "Liraförmige gusli krylovidnyje mit Spielfenster" ist ein Zupfinstrument, ein Psalterium.
Daß ein Zupfinstrument zu einem Streichinstrument wird, ist eine Erscheinung, die häufiger vorkommt.
Bei der finnischen Jouhikko scheint dies geschehen zu sein.
Die Saitenzahl der Jouhikko beträgt 2, 3, oder 4. Sehr selten ist die 5-saitige Jouhikko. Diese erhält man, wenn eine 5-saitige gezupfte Gusli liroobrasnye zu einer Streich-Gusli (=Jouhikko) umgebaut wird.
Das Musikensemble für alte russische Musik, "RUSICHI", benutzt eine solche.
Siehe Skizze:
Die Besaitung der Kantele
Über den Korpus werden Saiten gespannt: zuerst waren es Pferdehaare, später wurden auch Drähte aus Eisen oder Kupfer verwendet.
Ursprünglich hatte die Kantele 5 Saiten. Diese waren pentatonisch oder diatonisch gestimmt. Später wurde die Saitenanzahl erweitert.
Sehr verbreitet ist die 10 saitige Kantele. Es gibt auch Kantelen mit noch größerer Saitenzahl, z.B. mit 27 Saiten. Diese werden für den Konzerteinsatz gebaut.
Die Besaitung der Balalaika
Als die ersten Balalaiken gebaut wurden, erhielten sie den gleichen Tonvorrat wie die "krylovidnye gusli", nämlich 5 Töne.
Bei der Gusli wurden die 5 Töne durch 5 separate Saiten erzeugt. Die Balalaika besaß nur 2 Saiten, wovon nur 1 Saite die Melodiesaite war. Auf dieser einen Saite wurden die 5 Töne durch 5 Bünde erzeugt, die auf dem Hals angebracht wurden. Die Bünde, die um den Hals geschlungen wurden, bestanden aus Lederriemen, Darm oder Naturfaser-Bindfäden.
In Russland wurde die Kantele "Gusli" genannt. Wegen ihrer asymmetrischen Dreicksform gilt sie als "flügelförmige Gusli".
Eine Gusli/Kantele hat das Mädchen in dem Birken-Lied nicht gebaut.
DIE REBEC
Wenden wir uns also den beiden Instrumenten zu, die im Lied genannt werden. Beginnen wir mit dem Gudok. Mit "Gudok" wird in Russland ein Geigeninstrument bezeichnet, das seit dem Mittelalter unter dem arabischen Namen Rebec bekannt
war.
Die russische Rebec : Der Gudok
Die Form des bootsförmigen Nowgoroder Gudok, bei dem das Wirbelbrett direkt (ohne Hals) an den Instrumentenkörper angesetzt ist, ist ca. seit dem Jahr 1000 n. Chr. in ganz Europa und im asiatischen Kulturraum in fast identischer Form verbreitet gewesen. Michael Prätorius verwendet für dieses Geigen-Instrument den arabischen Namen Rebec . In der Schweiz wurde "Rebec" zu "Rabögli".
Noch viele andere Namen hat dieses uralte Instrument. (siehe Liste unten).
Noch heute (im Jahr 2012) ist dieses Instrument in vielen Ländern lebendig, es wird vielfach in seiner alten Form neu gebaut, in der Volksmusik gespielt, und kann in Musikalienhandlungen und Touristenshops an den betreffenden Orten käuflich erworben werden.
Viele Namen für den gleichen Instrumententyp:
Rebec, Gudok, Lira, Kemence, Gadulka, . . .
Nachfolgend eine Liste der wichtigsten Bezeichnungen der Rebec in anderen Ländern
Gudok (Russland)
Gadulka (Bulgarien)
Lyra (Kreta) (griechisch λύρα)
Lira (Kalabrien) (lira calabrese)
Rebec (Michael Prätorius)
Rabögli (Schweiz)
Rabeca (Brasilien)
Hegedu (Ungarn)
Kamanga (Arabien) (von altpersisch: kamanca = mit einem Bogen (gespielt)
Kementzes (Griechenland)
Kemence (Türkei)
Gigot (Frankreich) (vgl. irish " Jig", Tanz zur Geige, "Gig" Aufführung)
Gyge (Deutschland)
clein geigen (Deutschland) im Unterschied zur "Gross geigen" = Fidel
Gudok und Balalaika - Ein Vergleich
Die Balalaika, aus Holz geschnitzt, hatte damals eine ähnliche schmale Form wie der Gudok, denn der Durchmesser des Prut (des Birkenastes) bzw. des Birkenstammes (stwol) bestimmte die Breite des Instrumentes.
Einen wichtigen Unterschied gab es aber zwischen beiden Instrumenten:
Balalaika -Langer Hals ( Zupfinstrument )
Gudok - kurzer Hals ( Streichinstrument )
Die Balalaika hatte einen sehr langen und dünnen Hals, der deutlich vom breiteren Korpus unterschieden war, der Gudok hatte einen sehr kurzen Hals, der vom Korpus kaum unterschieden war.
Der lange Hals der Balalaika war notwendig, weil die Balalaika ein Zupfinstrument mit nur einer Melodiesaite war. Die zweite Saite war ein Bordun. Der gesamte Tonraum wurde auf der einen hohen Saite gegriffen. Um einen möglichst großen Tonraum zu erreichen, mußte die Saite sehr lang sein und ebenso der Hals sehr lang sein. Die asiatische kasachische Dombra und die türkische Baglama besitzen heute immer noch diesen langen Hals.
(Beispiele bei Youtube)
Kochlöffel, Suppenkelle, Bootspaddel, Schaufel, "Strumstick"
Instrumente von einer schmalen, in einen Ast oder einen Baumstamm hineinpassenden Größe (,weil aus dem Ast herausgeschält) sind in Russland und bei seinen asiatischen Nachbarn vielfach nachgewiesen und im "sowjetischen Lexikon der Musikinstrumente" bezeugt und dokumentiert.
Ihre Grundform gleicht der eines großen Kochlöffels. Der Korpus hat eine länglich-ovale Form mit löffelartiger Vertiefung, die mit einem aufgeleimten dünnen Brett abgedeckt wird.
Es gibt auch "Holzlöffelinstrumente", deren Korpus das Aussehen eines Schiffspaddels bzw. einer Schaufel haben, eine ovale Form mit gebogener oder mit abgeschnittener begradigter Unterkante. In letzterer zeichnet sich bereits die Form eines Dreiecks ab.
Fluke- und Flea-Ukulele
In neuerer Zeit werden diese alten Formen nachgebaut im Ukulenenbau. Die Fluke-Ukulele besitzt Schaufelform (Paddelform) wie die historische Dombra, die Flea-Ukelele hat die gleiche Form wie die historische Dutar, nämlich die eines abgeschnittenen Ovals , d.h. eines Eies, dessen unteres Ende gekappt wurde.
Musik als Nahrung
Ein Koch- bzw. Suppenlöffel, als Musikinstrument verwendet, enthält sogar eine tiefe psychologische Dimension und Aussage: Der Mensch braucht nicht nur Lebensmittel, die er durch Mund und Magen in sich "hineinlöffelt", sondern er lebt auch durch das Lebensmittel "Musik", das er durch einen ebensolchen Holzlöffel in sich aufnimmt.
Ebenso die Trog-Balalaika.
Quellwassertröge lassen das hin sie hineingeleitete Wasser - wenn sie damit gefüllt sind - überfließen. Der Inhalt von Trögen allgemein dient der Weitergabe.
Auch die Musik der Balalaika fließt über: aus dem Instrument heraus in die Herzen der Zuhörer. Die Balalaika bewirkt dasselbe wie in dem bekannten russischen Lied
Однозвучно гремит колокольчик des Fuhrmanns Gesang:
(разлиться -überlaufen, sich ergießen, (vom Fluss): über die Ufer treten)
Однозвучно гремит колокольчик,
И дорога пылится слегка,
И уныло по ровному полю
Разливается песнь ямщика,
Заливается песнь ямщика.
Столько чувства в той песне унылой.
Столько грусти в напеве родном,
Что в груди моей, хладной, остылой,
Разгорелося сердце огнём.
Разгорелося сердце огнем!
И припомнил я ночи другие,
И родные поля и леса,
И на очи, давно уж сухие,
Набежала, как искра, слеза.
Набежала, как искра, слеза.
Однозвучно гремит колокольчик,
Издали отдаваясь слегка…
И замолк мой ямщик, а дорога
Предо мной далека, далека.
Предо мной далека, далека!
Музыка А. Гурилева
Слова И. Макарова
Nicht nur Holztrogbalalaiken, sondern auch Balalaiken aus Kürbis haben vom Bild her die gleiche Aussagekraft, enthalten die gleiche Botschaft:
Der Kürbis als "Musikgefäß" bewirkt dasselbe wie als Speiseschale und als Getränkeausschankgefäß (Kalebasse): das Geschenk der Musik, das Ausschenken von Musik. Die Musik als Nahrung für die Seele und Stillung des Durstes des Menschen nach Poesie - nicht nur des russischen Menschen.
Historische Balalaika und moderner Strumstick
Es gibt heute ein modernes Musikinstrument, das an die Paddel- Form anknüpft, das "Strumstick". Dieses "Musikpaddel" wurde von dem Amerikaner Mc Nally entwickelt, besitzt eine diatonische Bundierung ("Dulcimer") und erfreut sich wegen seiner leichten Spielbarkeit großer Beliebtheit. Bei Ebay werden immer wieder Strumsticks angeboten.
Aber kehren wir wieder zur alten kleinen russischen Balalaika, der tatarischen Dombra, dem "asiatischen Strumstick" zurück. Der länglich-dreieckige, bootspaddelförmige Korpus besaß eine konkave Mulde wie ein großer Suppenlöffel. Diese Einhöhlung wurde mit einem dünnen Holzbrett abgedeckt. Das Holzbrett musste zurechtgesägt und auf den Korpus aufgeleimt werden.
An Holzbaukünstlern mangelte es in Russland nicht. Die Kunstfertigkeit war vorhanden. Die meisten Häuser waren Holzhütten, oftmals vielfältig verziert. Also: Holzbretter zurechtzuschneiden gehörte zur alltäglichen Arbeit.
Die Dombra-Balalaika in Dreiecksform
Die "Bootspaddel"-Form ( oder Schaufel-Form) der aus e i n e m Holzstück herausgearbeiteten Balalaika sieht aus, als ob von einem ursprünglich ovalen Korpus unten ein Stück abgesägt worden sei: hier ist bereits eine D r e i e c k s f o r m zu erkennen: ein symmetrisches Dreieck, dessen beiden gleichlange Seiten in einem sehr spitzen Winkel zueinander stehen.
Die Dreiecksform hat im Musikinstrumentenbau Tradition. Sie ist ein Merkmal der Zitherinstrumente, die eine Vielzahl von Saiten haben. Das Saitenfeld bildet zwangsweise ein Dreieck gemäß physikalischen Prinzip: lange Saite - tiefer Ton, kurze Saite - hoher Ton. Dieses Prinzip, angewandt auf eine Vielzahl von Saiten unterschiedlicher Tonhöhe, baut ein Dreieck auf. Es gilt nicht nur für Saiten, sondern für Hölzer, Metallstäbe und Röhren gleichermaßen. In der Redensart "wie die Orgelpfeifen" ist es sogar sprichwörtlich geworden.
Bei den Saiteninstrumenten begegnet die Dreiecksform bei den Winkelharfen und Psalterien.
Das Dreieck-Psalterium war ein sehr verbreitetes und beliebtes Instrument, dessen Klang den Ohren vertraut war. Das Psalterium war in vielen Varianten seit den alten Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien überall in Europa und Asien anzutreffen und hat auch heute noch in allen Musikkulturen seinen Platz.
Es seien hier nur erwähnt die lange Dreiecksform der finnischen Kantele, viele regional verschiedene Formen der Zither, die russische flügelförmige Gusli
( krylovidnye gusli ), die lange spitzwinklige Form des Streichpsalters, und die russische liraförmige Gusli ( liroobrasnye gusli ).
Ob die in der schaufelförmigen asiatischen Dombra vorhandene Dreiecksform vom Dreieckskorpus irgendeines Psalteriums beeinflußt worden ist, läßt sich nicht beweisen, wäre aber möglich.
(zum Thema "Gusli": siehe Kapitel 3.0 (Gusli und Balalaika)
Balalaika - ein Hals-Psalterium
In Russland aber wurde irgendwann, lange vor Andrejew, der Übergang bzw. die Verbindung zwischen Laute und Psalterium geschaffen. Wohlgemerkt: von der Laute zum Psalterium, und nicht vom Psalterium zur Laute.
Denkbar wäre aber dieser Weg vom Psalterium zur Laute. Man betrachte nur die schematische Skizze einer Trogzither, also eines Psalteriums, das aus einem Stück Holz geschnitzt ist. Bei dieser muß nur der überstehende Rand verlängert und zugleich verschmälert werden. Das bvedeutet: man muß von vornherein ein längeres Stück Holz auswählen, damit aus ihm ein Trog mit Hals aus einem Stück herausgeschhält werden kann. So wird es in dem russischen Volkslied "Auf dem Felsd stand eine Birke" geschildert. Zuletzt wird über die Höhlung des Troges ein dünnes Brett geleimt.
Das Ergebnis: Es entsteht eine rechteckige "Holzpfanne mit Stiel", eine Balalaika mit viereckigem Korpus.
Gestaltet man den Korpus - wie bei der finnischen Kantele - dreieckig, so ist das Ergebnis eine schmale, dreieckige Balalaika, ähnlich dem bei FOLKFRIENS als "Dulcimer banjo" erhältlichen Instrument.
Wenn ein Psalterium mit einem Hals und mit Bünden versehen wird, bringt das den Vorteil, daß die Saitenzahl von z.B. 5 Saiten (wie auf der Skizze) oder 10 Saiten (wie bei der biblischen David-Kinnor) auf eine, zwei oder drei Saiten reduziert werden kann. Das bringt eine Vereinfachung.
Diese drei Saiten der so entstandenen Laute sind aber gleich lang und ergeben kein dreieckiges Saitenfeld, dem die Form des so neu entstandenen Instruments zingend folgen müßte. Der Lautenkorpus muß sich in seiner Form nicht am Saitenfeld orientieren, sondern wäre in der Wahl seiner Form frei.
Wenn aber der vertraute Klang des Dreieck-Psalteriums erhalten bleiben soll, muß auch seine Dreiecksform erhalten bleiben, denn diese ist klangbestimmend.
Von der Laute zum Psalterium
Sehr wahrscheinlich verlief die Entwicklung zur heutigen Balalaika in entgegengesetzter Richtung als oben spekulativ vermutet, nämlich von der Laute (Dombra) ausgehend in Richtung Psalterium.
In der asiatischen kleinen Dombra hat die Balalaika - (aus einem Stück Holz herausgeschält, geschnitzt, geschnitten, geschabt, geschliffen und mit einem Holzbrett verschlossen) - ihr Vorbild.
Die Dombra war in den den asiatischen Nachbarländern Russlands und in Russland selber sehr verbreitet und wurde auch als Balalaika bezeichnet.
Ihren Ursprung hat die Dombra-Balalaika in Persien. Das persische Urbild der Dombra ist die Tanbur, die es als zweisaitige langhalsige Dutar bzw. als dreisaitige Setar gibt. ( du = zwei, se = drei, tar = Saite ). Diese Instrumente werden heute noch gebaut und sind käuflich auch in Deutschland erhältlich.
Wer wissen will, wie ein solches Instrument ausssah , kann sich sehr leicht in einem türkischen Musikaliengeschäft eine Cura kaufen, herausgearbeitet aus einem massiven Stück Maulbeerbaumholz. Der Preis: ca. 40 Euro. Die Cura ist eine kleine Ausführung der Baglama-Saz.
Der Unterschied zwischen Cura und historischer Balalaika ist leicht zu erkennen: die Cura hat einen fülligeren Korpus ("dickeren Bauch") als die aus e i n e m Stück Holz
( Birkenast ) geschnitzte alte russische Balalaika.
Eine solche Balalaika besaß einen flachem Bauch und einen schaufel- bzw. bootspadddelförmigem Korpus. Ihr Korpus wurde später in Richtung auf das dreieckige Psalterium umgeformt.
Die Folkfriends-Balalaika
Wer sich ein Bild machen wollte, wie die im russischen Volkslied besungene flache Birkenast - Balalaika, bei der Korpus u n d Hals aus e i n e m Stück bestanden, ausgesehen hat, der konnte bis vor einigen Jahren auf der Website der Hamburger Musikalienhandlung Folkfriends fündig werden.
Dort wurde ein solches Instrument in zwei Größen gezeigt und angeboten:
Beide wurden verkauft unter dem irreführenden Fantasie-Namen "Dulcibanjo"
(weil angeblich der Klang an ein Banjo erinnert: ein d r e i - seitiges Banjo!?).
Ich habe beide Instrumente erworben. Keiner meiner Zuhörer hat beim Anschauen noch beim Anhören dieser Instrumente nicht im entferntesten an ein Banjo gedacht.
Das kleinere dieser 2 balalaikaähnlichen Instrumente , das "Dulcibanjo C-Dur" weist interessanterweise fast eine originale Balalaika-Mensur von 43,3 cm auf, das sind: 9 6/8 Werschok. Angegeben sind 17 inches = 43,2 cm.
9 6/8 Werschok waren das Näherungsmaß für eine internat. 17 Zoll-Mensur.
Die traditionelle aus einem einzigen Stück Holz geschnitzte Balalaika (Dolbljonaja balalaika) "Nowgorod-Balalaika" als moderner Nachbau
Formverschmälerung
Man nehme eine heutige Prim-Balalaika (Korpusbreite 43 cm) und presse ihre Breite auf die Breite eines schmalen Baumstammes von 12 cm zusammen
(siehe oben 2.2.2.).
Eine solch schmale Balalaika bedsarf keiner zusammengesetzten Spanbauweise: sie kann wie ein Löffel oder ein Paddel aus e i n e m Stück Holz herausgearbeitet werden. Das Ergebnis ist obeb zu sehen:
Man erhält das als "Dulcibanjo C-Dur" verkaufte Instrument, das eigentlich eine früh-historische Balalaika ist. Es weist fünf typische Balalaika-Merkmale auf:
1) Die Länge und die 17´´- Mensur (43,2 cm) entsprechen den Maßen einer
Prim-Balalaika.
(In der Breite aber ist die Balalaika zusammengeschoben - auf die Stärke
eines Birkenstammes, hier: 11.5 cm.)
2) Die symmetrischen beiden Korpus-Seiten sind gebogen wie bei der Balalaika.
3) Die untere kleine Dreiecks-Seite des Korpus demonstriert lehrbuchhaft zwei
historisch bezeugte Balalaika- bzw. Dombraformen gleichzeitig:
a) die dreieckige Schaufelform (in den Ecken sichtbar) und
b) die ovale Lautenform (gewölbtes Mitteltelteil im Untersattelbereich):
4) Die Form des Wirbelbretts ist als historisch-russisch bezeugt
5) Das Instrument ist diatonisch bundiert ("Dulcimer- Bundierung") wie die
historischen Balalaiken vor Andrejew im Jahr 1883. Andrejew führte im
Balalaikabau das chromatisch bundierte Griffbrett ein.
Fazit: Der Entwickler des "Dulcibanjo" muss ein russischer Musikhistoriker gewesen sein!